SOZIALE ORGONOMIE
Paul Mathews (1924-1986):
ANHANG

Ein Angriff der radikalen Linken: Ein Bericht

 

Ein Angriff der radikalen Linken: Ein Bericht

John M. Bell, M.A.

Journal of Orgonomy vol. 8/1, 1974
The American College of Orgonomy

 

Dieser Bericht ist ziemlich ausführlich und langatmig. Seit er im Herbst 1971 geschrieben wurde, hat die Orgonomie weitere „Kooptierungen“(1) und Angriffe von links erlebt. Ich halte es für wichtig, so viel wie möglich von der spezifischen Aktivität von Menschen, wie den im Bericht beschriebenen, zu sehen. Oft lasse ich die Handlungen für sich selbst sprechen. Es gibt viele Details, die ich aus Platzmangel weglassen mußte. Dennoch denke ich, daß das Folgende dem Leser einen hilfreichen Einblick in die Motive, Ideologien, Lebensstile und ethischen Normen der revolutionären Linken gibt. Aus diesem Grund habe ich die Details und die Chronologie beibehalten.

Ich hoffe, daß diese spezielle Episode vorbei ist. Aber ich bin mir nicht sicher, daß sie es ist, auch wenn ich mir sicher bin, daß wir in Zukunft ideologisch begründete Angriffe auf Reich und Orgonomie erleben werden. In diesem Sinne könnte uns der Bericht also dazu dienen, uns zu der großen Vorsicht zu mahnen, die wir im Umgang mit ideologisch engagierten Personen, insbesondere der radikalen Linken, walten lassen müssen. Kapitel Dreizehn von Elsworth Bakers Der Mensch in der Falle macht recht deutlich, warum.

In einer früheren Ausgabe des Journal of Orgonomy (Vol. 5, No. 1) habe ich kurz einen physischen Angriff auf die Mitglieder des Panels während der letzten Sitzung des Kurses für soziale Orgonomie an der New York University (NYU) am Abend des 21. April 1971 vermerkt. Ich erklärte auch, daß eine gerichtliche Anhörung stattgefunden habe und die Verhandlung für den Fall anstehe. Seitdem wurde ein Urteil gefällt, gegen das Berufung eingelegt wurde. Nun, da die Berufung angehört wurde, möchte ich ausführlicher über den Angriff, die Ereignisse, die ihm vorausgingen, den Prozeß selbst und anderes berichten, was die ganze Angelegenheit betrifft.

 

Hintergrund

Es ist unsere Praxis gewesen, bestimmten Leuten, die ein echtes Interesse an Reichs Werk zu zeigen scheinen, sich aber die bescheidenen Studiengebühren für die Orgonomie-Kurse an der NYU nicht leisten können, die Möglichkeit zu geben, an einigen der Kurse teilzunehmen und eine Spende an einen der anerkannten Stipendienfonds an der NYU zu leisten. Diese Regelung wurde von einigen NYU-Offiziellen vorgeschlagen, um Leuten entgegenzukommen, die sonst gar nicht in der Lage wären, die Kurse zu besuchen. Außerdem war man der Meinung, daß eine bescheidene Spende dazu beitragen würde, Neugierige zu entmutigen und nur diejenigen zum Kurs zuzulassen, die ein echtes Interesse haben. Bis jetzt hat diese Politik gut funktioniert.

Zuvorkommenderweise wurde mehreren Personen, darunter insbesondere drei, Miss A., Miss B. und Mr. C., der einmalige kostenlose Zugang zur Vorlesung am 3. März (meine eigene Vorlesung über funktionelle Erziehung) gewährt. Während der Vorlesung stellten Miss A. und Miss B. wiederholt Fragen und brachten Einwände vor, die eine sehr starke linksrevolutionäre Einstellung zeigten. Insbesondere zeigten sie wenig echtes Verständnis für Reichs Konzept der Panzerung und den damit verbundenen Problemkomplex im gesellschaftlichen Bereich. Sie schienen zu glauben, daß Reich auf eine sofortige Revolution in der politischen Sphäre drängte, die irgendwie zu einer Massenentpanzerung und vermutlich zur Rettung der Menschheit führen würde. Außerdem schienen sie in Bezug auf die menschliche Panzerung zu glauben, daß die „Hierarchie“ ihr fons et origo sei, und nicht ihr Ergebnis. Sie zeigten eine gehörige Portion Verachtung und Trotz, wenn sie solche Fragen stellten, und Ungeduld und Feindseligkeit, wenn sie auf Reichs Position zur Hilflosigkeit der Menschheit und deren Unfähigkeit hingewiesen wurden, diese Freiheit auf rationale Weise zu sichern, selbst wenn ihr die Möglichkeit wirklicher Freiheit geboten würde. Ihre Fragen waren so häufig, und es wurde ihnen so viel Zeit eingeräumt, daß mehrere der anderen Studenten ihre Mißbilligung äußerten. Die Mißbilligung war lautstark genug, um Mr. C. zu der Frage zu veranlassen, ob sie und die Klarstellungen und Gegenargumente der Professoren Mathews und Bell nicht gute Beispiele für Emotionelle Pest seien. Eine solche Frage beruhte natürlich nicht auf gutem Glauben und beschuldigte im Endeffekt die Lehrer und die Klasse eines pestilenten Verhaltens. Ich antwortete: „Nein.“ (Während des Unterrichts schien Mr. C. fast alles, was gesagt wurde, mitzuschreiben.)

Nach dieser Stunde fragten Miss A. und Miss B., ob sie weiteren dieser Klassen beiwohnen könnten. Wir wiesen sie auf die Spendenregelung hin, aber sie erklärten, daß sie überhaupt kein Geld hätten und sich nicht einmal eine Spende von 5 Dollar leisten könnten. Stattdessen wollten sie, wenn ich mich recht erinnere, durch Schreiben ihren Beitrag für „die Sache“ leisten, aber dieser Vorschlag wurde nicht angenommen. Es wurde ihnen jedoch erlaubt, anderen Treffen der Klasse beizuwohnen.

Die beiden Frauen weigerten sich, ihre Privatadressen anzugeben und nannten nur ein Postfach in Manhattan, während Mr. C. angab, er sei Psychologiestudent an der Columbia und als Adresse nannte er ein Büro im Mathematikgebäude.

Miss A. bat darum, Kassetten der früheren Vorlesungen, die sie nicht besucht hatte, auszuleihen. Sie äußerte ein so offensichtliches Interesse an den früheren Vorlesungen, daß wir ihr in einer Weise entgegenkamen, die anderen Studenten in der Klasse normalerweise nicht zuteil wird: die Bänder wurden ihr geliehen, darunter auch das Band der Vorlesung vom 3. März.

Miss A. wohnte mehreren anderen Sitzungen des Kurses bei, manchmal in Begleitung von Miss B., aber meistens allein. Und in fast jeder Vorlesung brachte sie Themen zur Sprache, die a) ihre starke linksrevolutionäre Voreingenommenheit und b) eine dünne, unsystematische, ideologisch voreingenommene Lektüre von Reichs Werk offenbarten. Dennoch setzte ihr jeder Dozent die Fragen mit Sorgfalt und Geduld auseinander, gewöhnlich so lange, bis die Möglichkeiten der Klärung erschöpft schienen. Als Miss A. die Bänder zurückgab, bat sie darum weitere auszuleihen, und als man ihr dies verweigerte, wurde sie feindselig und vorwurfsvoll und zeigte keinerlei Dankbarkeit für die ihr bereits gewährten Privilegien.

 

Der Angriff und die Verhaftung

In der letzten Sitzung, die von einem Panel, bestehend aus den Professoren Mathews und Bell und den Doktoren Koopman und Ganz, geleitet wurde, wurde die Klasse gebeten, Themen und Fragen aus der Arbeit des gesamten Semesters zur Diskussion zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt blieb Mr. C. unerkannt. Er war vor Beginn der Klasse mit einer Kamera hereingekommen und hatte sich etwa in die dritte Reihe Mitte gesetzt. Seit dem 3. März, also sieben Wochen zuvor, war er nicht mehr in der Klasse gewesen. Das Panel fuhr fort, und gegen 21:50 Uhr, etwa zehn Minuten vor dem geplanten Ende der Stunde, betraten Miss A. und Miss B. den Klassenraum.

Das Panel, das mit der Beantwortung von Fragen beschäftigt war, schenkte ihnen keine große Aufmerksamkeit. Als ich jedoch bemerkte, daß sie im Begriff waren, eine Art Pamphlet zu verteilen, erzählte ich Professor Mathews davon, und wir einigten uns schnell darauf, dies zu verbieten. Obwohl sie deutlich aufgefordert wurden, mit dem Verteilen der Flugblätter aufzuhören, machten sie weiter. Ich folgte Miss A., sammelte die Flugblätter ein, während ich den Gang hinaufging (die meisten Studenten hatten sich geweigert, sie zu verteilen), und holte sie an der Rückseite des Klassenzimmers ein. Ich sagte ihr, daß sie den Raum sofort verlassen müsse. Sie deutete an, daß sie gehen würde, drehte sich zur hinteren Tür und schien damit einverstanden zu sein. Anstatt jedoch zu gehen, begannen sowohl sie als auch Miss B. damit, die Diskussionsteilnehmer mit faulen Eiern zu bewerfen. An diesen Eiern waren Luftschlangen befestigt, auf denen Namen von Anarchisten und radikaler Begebenheiten standen.

Insgesamt wurden etwa ein Dutzend Eier geworfen. Da diese Art von unverschämtem Angriff völlig unerwartet kam, dauerte es ein paar Sekunden, bis Mitglieder des Podiums und der Klasse reagierten, aber dann wurden Miss A. und Miss B. aus dem Raum geführt. Ich begleitete Miss A. ein kurzes Stück den Flur entlang. Sie drehte sich zu mir um, und ich sagte: „Was in Gottes Namen machen Sie da?“ Mit einem Ausdruck blanken Hasses im Gesicht warf sie ein faules Ei nach mir und traf mich an der Stirn. Dann drehte sie sich um und lief davon. Ich folgte ihr etwa bis zur Hälfte des Flurs und blieb dann stehen, als Mr. C., den ich jetzt erkannte, an mir vorbeiging und die Treppe hinunter verschwand, gefolgt von Schülern, die sagten, er hätte Fotos gemacht. Es stellte sich heraus, daß Mr. C. während der ganzen Stunde Fotos gemacht hatte, vor allem von der Tafel und vom Aufruhr selbst. Er benutzte eine Miniaturkamera und wurde vom Panel nicht registriert, aber einige der Schüler hatten es bemerkt.

Nachdem die Klasse entlassen wurde, traf ich eine Schülerin im Hauptgeschoß des Gebäudes, die mir erzählte, daß sie gesehen hatte, wie Miss A. versuchte, mit einigen (ihr offenbar fremden) Personen das Gebäude wieder zu betreten, um ihnen zu zeigen, wie gut sie „eine Klasse aufgemischt“ hatte, und daß sie sie einlud, sich ihr bei weiteren solchen Aktionen anzuschließen. Eine dieser Personen wurde gehört, wie sie sagte: „Nein, auch ich könnte verprügelt werden.“

Einige Minuten später, als Miss A. am Nordeingang des Gebäudes vorbeikam, nahm Dr. Ganz sein Jedermann-Anhalte- und -Festnahmerecht wahr. Sie versuchte wegzukommen, wurde aber festgehalten und begann den Passanten zuzurufen, daß sie verletzt sei und Hilfe brauche. Einige unserer Studenten waren inzwischen eingetroffen und verhinderten, daß eine sich sammelnde Menschenmenge ihr half wegzukommen. Obwohl keine wirkliche Gewalt ausgeübt wurde, wurde die Situation hitzig. Die Polizei wurde gerufen und traf kurz darauf ein, die Verhaftung wurde vorgenommen, und später erstattete ich eine formelle Anzeige auf dem örtlichen Revier.

 

Anklageerhebung und Verhandlung

Die Anklage lautete auf Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Belästigung, Verschwörung und ordnungswidriges Verhalten. Die Anklageschrift gegen Miss A. wurde aufgesetzt, die Anklage erhoben und ein Verhandlungstermin angesetzt. Aufgrund einer Reihe von Faktoren, einschließlich ihrer Anträge, wurde die Verhandlung selbst immer wieder verschoben, bis am 16. August ihr Antrag auf eine weitere Verschiebung vom Richter abgelehnt wurde und die Verhandlung begann.

Miss A., die als ihr eigener Anwalt auftrat, kam mit einer Liste von Fragen zum Gericht, die angeblich dreißig Seiten lang war und die sie jedem potentiellen Geschworenen stellen wollte. Dies wurde abgelehnt. Ich war nicht Zeuge dieser Vorgänge vor Gericht, aber diejenigen, die dort waren, berichteten von einem großen Gerangel um Details, Verfahren usw. seitens Miss A. als Verzögerungstaktik. Sie versuchte, so berichteten sie, ständig politische Einstellungen in ihre Befragung einzubeziehen, war oft unsachlich und sogar verächtlich gegenüber den Geschworenen. Sie versuchte ständig gesellschaftspolitische Aussagen in das Verfahren einzubringen und wiederholt mußte Richter Irving Smith sie dafür zurechtweisen. Offenbar nutzte sie die Situation als politischen Resonanzboden.

Nach der Auswahl der Geschworenen begann der Prozeß und Dr. Ganz trat als erster Zeuge auf. Seine Aussage beschrieb die Ereignisse im Klassenzimmer, wie oben berichtet. Allerdings – und das wurde zu einem Muster während des Prozesses – formulierte Miss A. in ihrem Kreuzverhör ständig Antworten von Dr. Ganz um und gab ihnen eine verzerrte Bedeutung und/oder eine verächtliche Wendung. Der Richter mußte ihre Befragung wiederholt unterbrechen und ihr sagen, sie solle sich mit den Zeugenaussagen in einer geradlinigen Weise auseinandersetzen. Dennoch versuchte sie beharrlich, politisches Material einzubringen, um den Anschein zu erwecken, daß sie eher wegen ihrer „politischen Überzeugungen“ als wegen ihrer störenden und aggressiven Handlungen angeklagt wurde. Aufgrund solcher Taktiken verzögerte sich der Prozeß so sehr, daß Dr. Koopman aufgrund beruflicher Verpflichtungen nicht aussagen konnte.

Mit jedem Zeugen war es das gleiche. In der direkten Vernehmung schilderten die Zeugen, was sie von den Ereignissen im Klassenzimmer und am Ort der Verhaftung wußten. Dann kamen im Kreuzverhör durch Miss A. Fragen auf, die die politische Überzeugung berühren (z.B. „Wissen Sie, was die amerikanische Revolution war?“), wodurch versucht wurde, den Zeugen als freiheitsfeindlich oder autoritär darzustellen und sie selbst als eine, die unter ihrem Wunsch, frei zu sein, leidet und zu Unrecht für eine legitime Handlung verfolgt wird. Ständig tadelte der Richter sie für die Mißachtung seiner Anweisungen. Doch wie ein Beobachter in seinen Notizen während der Verhandlung schreibt, ignorierte Miss A. solche Anweisungen einfach und provozierte damit weitere, wütende Kommentare des Richters.

Als Teil ihrer Bemühungen den Prozeß in die Länge zu ziehen, wollte Miss A. alle Tonbandaufnahmen, die wir von dem Kurs gemacht hatten, insgesamt etwa zwanzig Stunden, als Beweismaterial den Geschworenen vorspielen, um zu demonstrieren, in welchem Ausmaß die Orgonomen keinen Dialog (!) zuließen und in welchem Ausmaß sie ernste Probleme im Kurs ansprach. Der Antrag wurde abgelehnt, mit der Ausnahme, daß der Teil der Aufnahme des Kurses vom 21. April, auf dem die Störung zu hören war, als Beweis zugelassen wurde. Nachdem das Band dem Gericht vorgespielt worden war, sagte Miss A. laut: „Die Orgonomen sind Betrüger.“ Diese Aussage, die aus den Akten gestrichen wurde, zeigt deutlich die Verachtung hinter den meisten ihrer Aussagen und Handlungen.

Während ihres Kreuzverhörs von mir versuchte Miss A. ständig politisches Material einzubringen, trotz häufiger und wütender Kommentare des Richters. Sie verschwendete unnötig Zeit mit trivialen Faktoren etwa die Art und Weise, wie die Eier geworfen wurden, und die Wirkung der Luftschlangen auf die Kraft der Eier (sie hatte zuvor versucht, einem Zeugen auseinanderzusetzen, daß die Wirkung darin bestünde, die Eier zu verlangsamen, damit sie weich landen würden). Der Endeffekt bestand darin, die Verhandlung zu verwirren und zu verlangsamen. Einmal sagte sie statt etwas wie: „Nun, als ich angeblich das Ei auf Sie warf...“, das folgende: „Nun, als ich das Ei auf Sie warf...“. Sie korrigierte sich sofort, aber ihr Ausrutscher war natürlich ein klares Schuldeingeständnis.

Während meiner eigenen und der meisten anderen Zeugenaussagen forderte der aufgebrachte Richter sie immer wieder auf, mit ihrem Hohn und Spott über das Gericht und sein Verfahren aufzuhören. Das konnte sie natürlich nicht, da es ihr Charakter war, mit einem Lächeln Verachtung und Spott zum Ausdruck zu bringen. Miss A. machte den Eindruck eines überaus trotzigen, verächtlichen, höhnischen Menschen mit viel Energie und Intelligenz. Außerdem schien sie wirklich nicht so sehr daran interessiert zu sein, sich zu verteidigen, sondern die Situation für ihre eigenen Zwecke zu nutzen, und zwar insbesondere 1.) um an Informationen über die Orgonomie und die Orgonomen zu gelangen und 2.) um ihre gesellschaftspolitische Ideologie hinauszuposaunen. Außerdem war eine der Fragen, die sie fast jedem Zeugen der Anklage stellte, so etwas wie: „Glauben Sie, daß dieser Prozeß (oder meine Verhaftung) gerechtfertigt ist?“, was darauf hindeutet, daß sie entweder versuchte, ihr vergangenes Verhalten zu rationalisieren und/oder zukünftiges Verhalten gegen die Orgonomie und die Orgonomen wegen deren vermeintlicher „Feindseligkeit“ ihr gegenüber bzw. „Nachstellungen“ wegen ihrer „politischen Ideen“ zu rationalisieren. Vor allem hatte man den Eindruck, es mit einem grimmigen, gefühllosen, unversöhnlichen Feind der Orgonomie zu tun zu haben.

An dem Tag, an dem ich aussagte, kehrte ich nach dem Ende der Sitzung in den Gerichtssaal zurück, um dem Gerichtsdiener zu zeigen, wie man das Tonbandgerät benutzt, um den Geschworenen den Abschnitt mit der Störung vorzuspielen. In einem informellen Gespräch mit dem Richter, das ich mit anhörte, erklärte Miss A. mit Nachdruck, daß in ihren Augen eines der größten Verbrechen das Lügen sei. Sie erklärte auch, daß sie hart daran arbeite, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wo das Lügen nicht mehr möglich sei. Auf Fragen des Richters zu ihrer Familie gab sie an, daß ihre Eltern einfach nicht verstünden, was sie zu tun habe und daß ihr Mann (mit dem sie offenbar nicht mehr zusammen sei) nicht stark genug für die Aufgaben sei, die erledigt werden müßten, oder so ähnlich. Sie hatte während dieses Austausches einen Hauch von ideologischer Abgeklärtheit und Überlegenheit.

Das Auftreten von Mr. C. zur Verteidigung von Miss A. bestätigte das konspirative Element ihrer Tätigkeit voll und ganz. Er legte einige der Fotos vor, die er während des Ausbruchs gemacht hatte, und entlarvte damit den vorsätzlichen Charakter der Tat. Darüber hinaus enthüllte Mr. C. während des Kreuzverhörs etwas von der Struktur der Gruppe hinter dem Angriff. Der Name der Organisation ist „Research in Daily Living“, und ihre Adresse war zu dieser Zeit 400 West 118th Street in New York City. Der Staatsanwalt ging der Angelegenheit weiter nach, und Mr. C. gab zu, daß das RDL gar nicht offiziell mit der Universität verbunden war, wie er in seiner Aussage zunächst angedeutet oder impliziert hatte. Vielmehr mietete das RDL unter dieser Adresse lediglich Räumlichkeiten in einem Gebäude, das der Columbia gehörte. Außerdem stellte sich heraus, daß die Adresse, die Mr. C. dem Seminarbetreuer am 3. März angegeben hatte, die eines Professors der Columbia University war, der die Staatsanwaltschaft darüber informierte, daß er Mr. C. nicht kenne und daß seine Adresse und seine Telefonnummer ohne seine Erlaubnis verwendet worden seien. Die Staatsanwaltschaft fand auch heraus, daß die Telefonnummer, die bei dem Postamt angegeben war, bei dem Miss A. und Miss B. angeblich eine Postadresse hatten, sich als die des gleichen Professors herausstellte. Mr. C. sagte auch aus, daß er nicht wisse, wo Miss B. wohne.

Im Zeugenstand wirkte Mr. C. verschlagen und undurchschaubar. Er war schwer zu fassen; sogar der Richter schaltete sich in die Befragung ein, um einige Fakten zu klären. Als sich das Bild der Täuschung abzeichnete, zeigte Mr. C. keinerlei Unbehagen darüber, daß er sich in einem Gewirr von kalkulierten Unwahrheiten und Täuschungen verfangen hatte. Die Falschbehauptung von der Zugehörigkeit zur Columbia University, die unbefugte Verwendung der Adresse und Telefonnummer einer anderen Person und die Fragwürdigkeit des Ranges und der Bedeutung seiner Organisation schienen ihn nicht im geringsten zu stören.

Die Aussage von Miss A. ergab, dass sie 1967 einen B.S. in der Ökonomie unterentwickelter Länder und Stadtplanung vom MIT erhalten hatte und daß sie damals bei RDL war, aber nur sporadisch bezahlt wurde. Als sie jedoch zu ihrer Aussage kam (indem sie sich selbst Fragen stellte), stieß sie auf das Problem, das sie während des gesamten Prozesses hatte, d.h. viele, wenn nicht die meisten ihrer Fragen wurden als irrelevant, unwesentlich usw. aus dem Protokoll gestrichen. Sie versuchte ständig, wie bei jedem anderen Zeugen auch, den gesamten gesellschaftlichen Kontext und die Ideen, die zu ihrer Handlung führten, einzubringen. Auch hier mußte der Richter sie immer wieder für ihre Äußerungen und ungeschickten Fragen zurechtweisen und versuchen, sie bei den Fakten zu halten. Sie versuchte zu erklären, daß sie zur Aktion vom 21. April „provoziert“ worden sei, und versuchte ständig, die „Gründe“ oder „Motive“ für ihr Handeln ins Protokoll zu bekommen. Zum Beispiel lautete ihre Antwort auf ihre eigene Frage, was sie am 21. April im Klassenzimmer getan habe, wie folgt: „Einen falschen Dialog unterbrechen.“ Dies wurde aus dem Protokoll gestrichen.

Zum Sachverhalt sagte Miss A., sie habe mich nicht mit einem der Eier auf die Stirn geschlagen, sondern auf den Gürtel. Da ich sehr wohl weiß, wo ich getroffen wurde, hat sie entweder einen Meineid geleistet, oder dies war Ausdruck einer krankhaften Verzerrung dessen, was sie gesehen hat.

Im Zeugenstand war ihre Darbietung nach Aussage eines Beobachters erbärmlich. Da fast jede Frage als unangebracht betrachtet wurde, kam sie kaum voran, und oft verging die Zeit in völliger Stille, während sie versuchte, sich neue Fragen auszudenken. Offensichtlich war sie festgefahren. Das Gericht ließ nicht zu, daß sie ihre rationalisierenden „Motive“ einbrachte, sondern bestand darauf, daß sie sich mit den Vorwürfen auseinandersetzt. Da ihre Motive ihrer Meinung nach völlig legitim waren (oder Teil ihrer Rationalisierung), konnte sie ohne sie sehr wenig sagen. Der Tatsachenbericht war vernichtend.

In ihrer letzten Stellungnahme erklärte Miss A., sie habe die Eier geworfen, weil sie (die Mitglieder des Gremiums) „Lügner“ seien. Dies wurde aus dem Protokoll gestrichen. Schließlich beschuldigte sie mich erneut der Lüge in meiner Aussage über den Schlag auf die Stirn. Des weiteren implizierten ihre Fragen und Kommentare, die aus dem Protokoll gestrichen wurden, daß ich in meinem Vortrag vom 3. März Erziehungsmethoden befürwortet hätte, die Kinder verletzen würden, mit dem Ziel, sie zu kontrollieren, um sie dazu zu bringen, das zu tun, was ich (als Erwachsener) von ihnen wollte, und daß ich die Anwendung von Gewalt gegen sie befürwortet hätte. Unnötig zu sagen, daß solche Kommentare abscheuliche Verzerrungen meines Vortrags über das Problem von Freiheit und Zügellosigkeit und über das rationale Urteilsvermögen sind, das ein kontaktvoller, verantwortungsvoller Elternteil oder Lehrer im Umgang mit Kindern zur Geltung bringt.

Ich habe keine Notizen zu den Plädoyers, da diese im Gerichtsprotokoll selbst stehen, aber ein Beobachter zeichnete einen Teil der ermahnenden und belehrenden Worte des Richters an die Geschworenen auf, bei denen Richter Smith darauf hinwies, daß das RDL-Pamphlet „In Defense of the Real Reich“ (als Beweis zugelassen) keineswegs meine angebliche Befürwortung der Mißhandlung von Kindern beschrieb oder kommentierte, sondern tatsächlich zum gewaltsamen Umsturz der Regierung aufrief. Der Fall ging an die Geschworenen, und in weniger als zwei Stunden befanden die Geschworenen Miss A. in allen fünf Anklagepunkten für schuldig, d.h. in den Punkten Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Belästigung, Komplott und ordnungswidrigem Verhalten. Während der Verlesung des Urteils verlor Miss A. einen Teil ihrer Fassung und blickte die Geschworenen an.

Der Richter verschob die Urteilsverkündung auf den folgenden Freitag und begann, Miss A. im Rahmen seiner Voruntersuchung über ihren Hintergrund und ihre Aktivitäten zu befragen. Er hatte große Schwierigkeiten damit, da sie ziemlich ausweichend blieb. Schließlich legte er sie darauf fest, daß sie normalerweise mit Miss B. im RDL-Büro in der 400 West 118th Street wohnte. Daraufhin bemerkte der Staatsanwalt, daß Mr. C. gelogen hatte, als er sagte, er wisse nicht, wo Miss B. wohne, und deshalb einen Meineid geleistet habe. Miss B. wurde bis zur Urteilsverkündung auf freien Fuß gesetzt, und der Richter legte fest, daß sie in der darauffolgenden Woche bei ihren Eltern bleiben sollte. Die Verhandlung hatte von Montag, den 16. August, bis Freitag, den 20. August, gedauert. Der Staatsanwalt kommentierte, daß ein solcher Prozeß in zwei Tagen hätte abgeschlossen werden können.

Am nächsten Freitag, dem 27. August, erschien der Vater von Miss A., ein Physikprofessor, vor Gericht. Er war sehr besorgt und bat darum, sich vor der Urteilsverkündung an das Gericht wenden zu dürfen. Der Staatsanwalt hatte keine Einwände, und Professor D. wollte gerade etwas sagen, als Miss A., die zum ersten Mal mit einem Anwalt gekommen war, energisch Einspruch erhob. Daraufhin brach Professor D. schluchzend zusammen. Als Miss A. dies sah, brach sie in höhnisches Gelächter aus, das sich nach Aussage eines Beobachters gegen ihren Vater richtete.

Der Richter fragte dann nach der Empfehlung des Staatsanwalts für das Strafmaß: drei Jahre auf Bewährung und eine psychiatrische Untersuchung. Miss A. erklärte, daß sie mit ihrer Bewährung oder einer psychiatrischen Untersuchung überhaupt nicht kooperieren würde, woraufhin der Richter mit der Begründung, daß sie ihm keine Alternative lasse, sie zu zwei Monaten Gefängnis verurteilte. Sie legte gegen das Urteil Berufung ein, und die Berufung wurde schließlich im Februar 1974 verhandelt. Die Verurteilung wurde aufrechterhalten, aber das Urteil wurde modifiziert. Ich habe nicht in Erfahrung bringen können, wie das endgültige Urteil lautete.

 

Das Pamphlet

Ein Fokalpunkt dieses Angriffs und des Prozesses war das Pamphlet „Zur Verteidigung des wahren Reichs“. Dies ist ein ziemlich bedrohliches Dokument. Es ist ein vierseitiges, gefaltetes Flugblatt, das verkündet, die Wahrheit darüber zu sagen, worum es bei Reich geht und was die Orgonomen mit Reichs Arbeit anstellen. Da es so viel über die Haltung der radikalen Linken gegenüber Reich und der Orgonomie verrät, verdient es eine Beschreibung.

Es wurde zum Anlaß des Aufruhrs in der Klasse verfaßt und ist auf den 21. April 1971 datiert. Sein Umschlag zeigt ein Foto des reifen Reich und das folgende Zitat aus Die sexuelle Revolution: „Man wird sich auf einfache Menschen mit einem natürlichen Lebensgefühl verlassen müssen und nicht auf die reaktionären Profis auf dem Gebiet der Pädagogik und Psychologie.“(2)

Auf der zweiten Seite befindet sich ein Zitat aus meiner Vorlesung vom 3. März (von den Tonbändern, die Miss A. geliehen wurden), in der Professor Mathews und ich versuchten zu erklären, warum Reich nicht für eine sofortige Revolution der Massen eintrete. Dieser Austausch entstand aus einer Frage über freiere Kinder und weist auf die Naivität der Vorstellung von Miss A. und Miss B. hin, daß man allein durch den Umsturz der Hierarchie die Menschen sofort massenhaft entpanzern kann. Solche offensichtlichen Verzerrungen und Fehlinterpretationen von Reich sind natürlich Eckpfeiler des aktuellen Versuchs der Linken, Reich als ihr exklusives Eigentum zu „vereinnahmen“.

Auf Seite Zwei findet sich auch ein langer, verworrener Kommentar zum Ausschnitt aus dem Vortrag vom 3. März, in dem generell argumentiert wird, daß Reichs Denken vor den „Abhitzeverwertern“ (den Orgonomen) gerettet werden muß, die die Welt nur verbessern oder „reformieren“ wollen, anstatt sie in einer Revolution umzustürzen. Er argumentiert, daß „der Schock der Freiheit“ Wunder wirkt.

Nichts kann diesem widerstehen, weder die Krankheit des Geistes, noch Gewissensbisse, keine Schuldgefühle, noch das Gefühl der Ohnmacht, noch die Verrohung, die das Umfeld der Macht erzeugt. Reich empfehle Explosionen der Wut für Fälle von Neurotikern, die emotional blockiert und muskulär hyperton sind.

Die Figuren gehören zur typische Pop-Art-Gattung, außer daß sie im Stil von Comic-Helden dargestellt sind. Eine Frau trägt einen Umhang, eine andere hat einen Blitz quer über ihrem Hemd, und ein Mann wird mit stark bemuskeltem nacktem Oberkörper und einer Augenklappe gezeigt. Auch hier haben wir Hinweise auf infantile Projektionen und, wie ich meine, Streben nach unbegrenzter Macht, wie man es bei Comic-Helden findet, was alles ganz offensichtlich faschistischen Charakter hat.

Unten auf Seite Drei findet sich eine ziemlich lange Erklärung, in der behauptet wird, daß die ganze Welt während der Studentenunruhen in Paris, Mai 1968 dem totalen Umsturz nahe kam. Sie ist ziemlich verworren und besagt, daß der totale Umsturz nur eine Stunde entfernt war und daß wir seither wegen der Verschwörung des Schweigens wenig von dem Versuch gehört haben, was angeblich beweist, wie ernst das ganze war. Die vierte Seite des Pamphlets trägt die Überschrift „Die Minimaldefinition der revolutionären Organisation“, eine Erklärung über Aufgabe und Zweck und eine Begriffsbestimmung. Es ist äsopische [amüsant tuende] Sprache vom Feinsten und ruft zur totalen Revolution auf, zur Ergreifung der gesamten Macht, überall. Sie verkündet auch, daß es nirgendwo eine Hierarchie geben darf, nicht einmal in der revolutionären Organisation selbst, und in der Tat ist es einer der Zwecke der Organisation, die „Auflösung ihrer selbst als einer separaten Organisation“ anzustreben. Das heißt, sie soll vermutlich völlig mit dem Prozeß der Revolution identifiziert werden. Aber die Sache ist nicht eindeutig. Das Material wurde der Internationale Situationiste entlehnt, die offenbar ein Organ einer französischen revolutionären Gruppe ist. Bei meinen Nachforschungen über die Internationale Situationiste aus eher „traditionellen“ linken Quellen konnte ich nur herausfinden, daß sie von einer extrem radikalen, „impulsivistischen“ Intellektuellengruppe französischer Marxisten-Anarchisten herausgegeben zu werden scheint. Meine Quelle informierte mich, daß die erfolgreichste Rekrutierung in Frankreich und dort unter extrem intelligenten, großbürgerlichen Universitätsstudenten stattfand. Mein Informant sagte, daß es ziemlich schwierig war, Informationen über diese Organisation zu bekommen, und daß die RDL-Gruppe die erste war, von der man in diesem Land hörte.(3)

Dieses Pamphlet offenbart einen hochkomplexen Gedankengang. Es zeigt die völlige Dominanz der Ideologie über die Realität: die beklagenswert vereinfachende Lesart des Menschen und des menschlichen Organismus auf der einen Seite und das überintellektualisierte Wiederkäuen der Ideologen auf der anderen Seite. Wir sehen hier sowohl die klassische Abspaltung des Intellekts vom biophysischen Funktionieren als auch die damit einhergehende Verachtung für dieses Funktionieren. Darüber hinaus wurde dieses Pamphlet von Miss A. und ihren Kohorten nach ihren Erfahrungen in mehreren der Klassen vorbereitet, in denen sie medizinische Diskussionen über die tiefen Probleme hörte, die mit der individuellen Therapie, der Massenneurose und pestilentem Verhalten verbunden sind. Doch sie war so sehr in ihrer speziellen Art von Ideologie verstrickt, daß sie nicht in der Lage war, die Tiefen der Probleme zu sehen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, oder zu verstehen, wie lange es dauern wird, die Menschheit wieder in Kontakt mit emotionaler Stärke und Anstand zu bringen.

Dieses Pamphlet ist ein Klassiker der Projektion. Man kann darin (S. 1) einen Versuch sehen, den Arbeitern den revolutionären Eifer Marke RDL aufzuzwingen – „Die proletarische Revolution ... erfordert, daß die Arbeiter Dialektiker werden und ihr Denken in die Praxis umsetzen“ – womit die Arbeiter mit Verachtung behandelt werden. Als ob die Lösung des menschlichen strukturellen Elends nur eine Frage der Dialektik wäre! Dieses Pamphlet ist in Wirklichkeit eine Wiederholung des Diktats des Moskauer Kommissars an Reich, was die richtige Haltung gegenüber dem menschlichen Elend ist und was Reichs revolutionäre Theorie sein sollte. Wir haben das alles schon einmal gesehen.

Außerdem hat man bei all dem Gerede über die „Abschaffung aller und unabhängiger Spezialisierungen“ das Gefühl, daß hier Neid eine Rolle spielt – der Neid derjenigen, die entweder nicht in der Lage oder nicht willens sind, eine sinnvolle Arbeit zu finden und zu verrichten, gegenüber denen, die eine solche Arbeit tun und genießen. Man fühlt sich an Reichs Beobachtung erinnert, daß ein Kommunist nicht so sehr einer ist, der den Arbeiter liebt, sondern einer, der den Kapitalisten haßt. Auch sieht man in diesem Pamphlet einen Drang, ja eine Gier nach „absoluter Macht der Arbeiterräte“ – Macht über die Arbeiter selbst und über diejenigen, die produzieren. Das bedeutet, daß, in typisch ideologischer Manier, keine Moral, kein Anstand und keine Ehrlichkeit irgendeine Handlung zurückhalten muß. Es impliziert, was Lenin erklärte: daß eine Handlung, wenn sie die Revolution fördert, moralisch ist, egal was. Es ist ein furchtbares, armseliges, erbärmliches Dokument.

 

RDL als Organisation

Spätere Ereignisse haben ein viel umfassenderes Bild dieser Gruppe ergeben. In der September-Ausgabe 1971 des Scientific American (S. 245) warb die RDL mit einer ganzseitigen Anzeige (im gleichen, aber modifizierten Pop-Art-Stil) für ihre Zeitschrift, das R.D.L. Journal. In dieser Anzeige gibt es die unmißverständliche Andeutung, daß RDL eine offizielle Verbindung zur Columbia University hat: „Diese Anzeige wird von Research in Daily Life, einer gemeinnützigen Gesellschaft an der Columbia University in der Stadt New York, geschaltet.“ Außerdem gibt die Anzeige als Adresse von RDL die gleiche an, die Miss A. und Miss B. bei ihrem ersten Auftritt in der Klasse am 3. März angegeben haben. Ein Vertreter des Scientific American sagte, daß eine solche Anzeige normalerweise 5200 Dollar kostet, daß es aber einen reduzierten Tarif für wissenschaftliche Zeitschriften gibt. Er wisse nicht, ob RDL sich für den niedrigeren Tarif qualifiziert habe, denke aber, daß dies der Fall sein könnte. Ihm war weder die RDL-Aktion an der NYU bekannt noch die Tatsache, daß es keine offizielle Verbindung zwischen der Columbia University und RDL gibt.

Ein Vertreter von Columbia gab an, RDL sei Anfang September 1971 wegen Nichtzahlung der Miete aus ihrem Büro vertrieben worden. Offenbar war eine Art Gerichtsverfahren notwendig, bevor RDL die Räumlichkeiten endgültig räumte. Derselbe Beamte gab an, daß RDL die Quelle für eine Menge anderer Probleme an der Columbia gewesen sei. Ein Mitarbeiter der psychologischen Fakultät der Columbia sagte, daß es nie eine offizielle Verbindung zwischen RDL und der Columbia University gegeben habe und sie auch jetzt nicht bestehe. Als sie auf die Anzeige im Scientific American hingewiesen wurden, sagte diese Person, daß es solche Anzeigen auch in anderen Zeitschriften wie dem Atlantic gegeben habe. Außerdem erfuhren wir, daß diese Gruppe mit ihren Telefonrechnungen im Rückstand war, daß sie unerlaubte Finanzgeschäfte (Rechnungen anhäufen) unter Umgehung der üblichen Prozeduren getätigt hatte, und es wurde erklärt, daß Mr. C. dort gar kein Doktorand mehr sei, da er an der Columbia eine Menge Ärger verursacht hatte. Außerdem habe er seine vorläufige mündliche Doktorprüfung nicht bestanden (an der Columbia hat man, im Gegensatz zu den meisten anderen Graduiertenschulen, nur eine Chance bei den Zertifizierungsprüfungen; ein Versagen bedeutet das Verlassen der Universität), und er habe daher keine Verbindung mehr zur Columbia. Schließlich sagte diese Person, es gäbe eine ganze Akte über Mr. C., RDL und dessen Machenschaften. Man bekam den Eindruck, daß diese Gruppe der Columbia unendlich viele Schwierigkeiten bereitet hatte und daß die Columbia-Leute froh waren, sie loszusein.

Obwohl sie von der Columbia University nach ihrem dortigen geschmacklosen Auftreten vertrieben wurden, setzte die Gruppe ihre Aktivitäten gegen den Kurs an der NYU fort. Am Abend der ersten Vorlesung des Herbstsemesters 1971 bemerkte Professor Mathews ein frisch aufgehängtes Exemplar des Pamphlets „In Defense of the Real Reich“ an der Wand vor dem Klassenzimmer, und mehrere Exemplare wurden gefunden, die an den Wänden im Hauptgeschoß des Gebäudes geklebt waren. Es ist klar, daß RDL das Gefühl hatte, mehr Arbeit leisten, mehr „Dialog“ führen zu müssen. Wie weit das gehen wird, kann man nicht sagen.

Es gibt natürlich einige unbeantwortete Fragen. Woher bekommt RDL Geld? Stammt es aus Arbeit? Von Stiftungsunterstützung? Wer hat die Anzeigen in den Zeitschriften bezahlt? Sind sie bezahlt oder wurden sie Columbia in Rechnung gestellt? Ist RDL eine kommunistische Frontorganisation, die auf die Orgonomie abzielt? Oder wird es von ein oder zwei nachsichtigen Eltern finanziert?

Das Bild, das sich ergibt, ist schmutzig, bedrohlich und häßlich. Einerseits verkündet Miss A., daß das größte Vergehen das Lügen sei. Doch ihre eigene Aussage ist voll von Verzerrungen. Die gesamte Gruppe log in ihrer Aussage über ihr Interesse an Reichs Werk – sie kamen, um zu verletzen, nicht um zu lernen, und sie würden Reichs Werk kastrieren, damit es zu ihrer Ideologie paßt. Sie benutzten fälschlicherweise den Namen einer großen Universität, um ihre Pläne voranzutreiben. Ihr Gehabe ist fast lächerlich, und doch wäre es ein Fehler, sie auf die leichte Schulter zu nehmen. Man spürt in ihnen eine totale Hingabe, die vor nichts zurückschreckt. In diesen Leuten erkennt man die tiefsten Feinde Reichs und der Orgonomie. Der linke und rechte Ideologe schreckt vor der plasmatischen Pulsation zurück und geht in pestilenter Manier daran, sie in anderen zu zerstören, weil sie in ihm selbst zerstört ist. Die Orgonomie ist aufgrund ihrer tiefen Einblicke in die Funktionsweise der Pest ironischerweise der mächtigste intellektuelle Gegner, dem die Pest gegenübersteht. Daher das unerbittliche Streben der Pest, sie zu zerstören.

Bei diesem Fall sehen wir im Kleinen den Versuch der Linken, Reich als einen der ihren zu vereinnahmen. Der Versuch kann verschiedene Formen annehmen, aber er läßt sich auf zwei Grundelemente reduzieren, die eng miteinander verbunden sind. Das erste besteht darin, Reich intellektuell zu vereinnahmen, indem man ihn einen „Revolutionär“ nennt und seinen Namen bei irrationalen, revolutionären Aufwallungen beschwört. Man kann dies an der jüngsten Flut von Artikeln und Büchern der Linken sehen. Das zweite ist, Reich als einen gefährlichen, prinzipienlosen Hausierer von Pornographie, dem Freibrief für alles und jedes und die Revolution erscheinen zu lassen, damit anständige Menschen ihn meiden. RDL geht noch einen Schritt weiter in ihrem Versuch, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die wissen und sich damit auseinandersetzen, worum es Reich wirklich ging, nämlich um eine Revolution der menschlichen [Charakter-] Strukturen, der biophysischen Gesundheit. Die Linken hassen Reich durchweg. Und doch fühlen sie sich von ihm angezogen. Irgendwie scheinen sie zu wissen, daß er recht hat. So wie bei Motten und Kerzenlicht – die Flamme, das Feuer und die Intensität von Reichs Arbeit und des Lebens ziehen sie an, aber sie wissen, daß das, wovon der wirkliche Reich spricht, sie zerschmettern würde, folglich löschen sie lieber die Flamme und leben nur ein Schattenleben.

Reich wußte dies, und wir dürfen es nie vergessen.

 

Nachwort

Ich hätte diesen Bericht nicht vorbereiten können ohne die Hilfe von Freunden, die hier ungenannt bleiben sollen. Einer von ihnen nahm unverdrossen an vier der langwierigen Prozeßtage teil und machte sorgfältig Notizen, besonders von dem Material, das aus dem Protokoll gestrichen wurde. Diese Notizen waren von unschätzbarem Wert, da sie uns halfen, die Taktik, die Einstellung, die Motive und die Hingabe einiger derjenigen, die sich so destruktiv gegen die Orgonomie und alles, wofür sie steht, richten, klarer zu erkennen.

Ich habe mich ziemlich lange mit diesem Fall beschäftigt, da seine Details so deutlich die Mechanismen der Zerstörung und die tiefgreifenden Aufgaben, vor denen wir stehen, illustrieren. Die Freundlichkeit, die Kooperation, die Hilfe und das Wissen, die den RDL-Leuten entgegengebracht wurden, waren wie nichts für sie. Sie haßten den Anstand und revanchierten sich mit Übergriffen, Verachtung und Haß. Es ist eine harte Lektion, aber eine wertvolle.

 

Anmerkungen des Übersetzers

(1) Aufnahme von neuen Mitgliedern durch die bisherigen Mitglieder: die Linke versucht die Orgonomie einzubinden.

(2) Das ist eine deutsche Rückübersetzung der amerikanischen Übersetzung von Theodore Wolfe (unter ausdrücklicher Anleitung Reichs!) aus dem Jahre 1945. Im deutschen Original heißt es: „Es wird uns lehren, daß wir, wenn sich neuerdings eine revolutionäre Gelegenheit dazu ergibt, uns an die Bergarbeiterverbände wenden müssen und nicht an die reaktionär ausgebildeten Psychologen halten dürfen“ (Die sexuelle Revolution, Frankfurt: Fischer Taschenbuchverlag, 1971, S. 250). Einerseits entspricht der ursprüngliche Text natürlich mehr der Intention des besagten Pamphlets, andererseits zeigt es aber auch, wie sich Reich in Amerika von seinen sozialistischen Ansichten bis zur Unkenntlichkeit distanzierte. Das geht soweit, daß man die Orgonomie nur über die Übersetzungen Wolfes richtig verstehen kann und nicht etwa über das deutsche vermeintliche „Original“. Um so bedauerlicher (geradezu verbrecherisch) sind die amerikanischen Neuübersetzungen auf der Grundlage eben dieser Manuskripte!

(3) Um eine ungefähre Ahnung zu bekommen: In Deutschland war der antisemitische Linksterrorist Dieter Kunzelmann wohl der bekannteste Vertreter der Situationistischen Internationale. Die Sex Pistols und damit die ganze Punkbewegung wurden über Malcom McLaren von situationistischen Ideen geprägt. Kurz gesagt sollte durch Provokation die gesellschaftliche Stimmung verändert und so die ideologische Verblendung im Kapitalismus durchbrochen werden.

 

 

zuletzt geändert
01.09.21

 

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