SOZIALE ORGONOMIE
Paul Mathews (1924-1986):
ANHANG

Bewußtseinserweiternde Drogen – Gefahr oder Zeitvertreib?

Der Aufstieg des Psychopathen

Ein Angriff der radikalen Linken: Ein Bericht

 

Bewußtseinserweiternde Drogen – Gefahr oder Zeitvertreib?

Barbara Goldenberg Koopman, M.D., Ph.D.

Journal of Orgonomy vol. 3/2, 1969
The American College of Orgonomy
übersetzt von Robert Hase

 

Da der Gebrauch von bewußtseinserweiternden Drogen, insbesondere bei jungen Menschen, weiter an Dynamik gewinnt, können wir uns fragen, was die biophysischen Auswirkungen des Dauerkonsums sind. Ich stelle diese Frage vor allem in Bezug auf Marihuana, der Schwächsten der Psychedelika, die von ihren Apologeten am meisten verteidigt wird und am weitesten verbreitet ist.

Was LSD betrifft, haben Forscher den Verdacht, es könne für chromosomale Schäden verantwortlich sein und sie wissen, daß es bei dafür Empfänglichen eine Psychose auslösen kann. Marihuana kann letzteres ebenfalls tun und wurde kürzlich gleichfalls Gegenstand einer genetischen Untersuchung. Aber niemand kennt wirklich die langfristigen Auswirkungen des Rauchens von „Haschisch“. Der Trend in den Medien geht dahin, die Bedenken der Menschen zu zerstreuen und eine moderate Nutzung als harmlosen Genuß hinzustellen, auf dem gleichen Level wie der Cocktail vor der Mahlzeit. Auch drängen sie auf Legalisierung.

Ich habe mit vielen Eltern von Teenagern gesprochen, in allen Bereichen des Lebens. Sie trösten sich mit dieser Sichtweise und führen zur Beruhigung an, daß es keine physiologische Abhängigkeit oder damit verbundene Entzugserscheinungen gibt. Dennoch erkennen sowohl Arzt als auch Laie an, daß der fortgesetzte Gebrauch die Passivität fördert, insbesondere bei jungen Menschen, die Motivation erstickt und eine „Null-Bock“-Einstellung gegenüber dem Leben hervorruft. Es gibt eine anonyme Broschüre, die im Rockland County (New York) zur Förderung der schwarzen revolutionären Sache zirkuliert. Ihre Stellung zu Marihuana („Gras“) ist sehr aufschlußreich:

Auch die Drogenfrage muß gelöst werden. Ich habe das Gefühl, daß wir unser Hasch für eine Weile opfern müssen, um erfolgreich zu sein. Nicht nur, daß es uns paranoid macht, es macht uns auch kaputt. Was nützt ein Revolutionär im Gefängnis?
Neben dem rechtlichen Aspekt, warum läßt der Mann(1) die offene Nutzung von Drogen in Harlem, on the Hill(2) oder durch die Hippies zu? Weil er damit die Unterdrückten kontrollieren kann. Es macht uns selbstgefällig, apathisch und inaktiv... [Kursiv von mir – B.G.K.]
Es überrascht, daß allein schon dieser Aspekt, ohne weitere Verweise auf negative Wirkungen, nicht ausreicht, um die Menschen innehalten zu lassen.

Immer mehr Anwender von Psychedelika, insbesondere Marihuana, fallen mir klinisch auf. Ein Muster zeichnet sich ab, das ich das „Haschisch-Syndrom“ nenne. Ein chronischer Konsument oder eine Person, die Marihuana innerhalb der letzten 48 Stunden geraucht hat, bietet bei der Betrachtung ein charakteristisches biophysikalisches Bild, das für den geübten Beobachter schnell ersichtlich ist. (Dies wird nach der „Diskussion“ beschrieben.)

 

Der folgende Fall veranschaulicht einige der Fallstricke, die bei der Behandlung einer Patientin mit einer zweijährigen Marihuana-Vorgeschichte, plus drei LSD-„Trips“, aufgetreten sind. Zu der Zeit, als sie sich zur Behandlung vorstellte, hatte sie ein Jahr lang keine Drogen mehr genommen. Ein großes Problem überschattete jedoch den gesamten Verlauf der Therapie: Inwiefern hatte der vorangegangene Drogenkonsum den biophysischen Status der Patientin „kontaminiert“? Man war sich von einer Sitzung zur nächsten nie sicher, was sich aus den energetischen Wechselfällen der Therapie ergab, was historisch überdeterminiert war und was von möglichen Schäden durch Drogen ausgelöst wurde.

 

Fallgeschichte

Die 25-jährige weiße geschiedene Pädagogin/Psychologin und Mutter eines Kindes kam auf eigene Initiative im April 1968 zur Orgontherapie. Ihre Hauptbeschwerden waren Gefühle von Unruhe, Kummer, nicht mehr in Kontakt mit den Dingen zu stehen und zwanghaftes Grübeln über Tagesereignisse.

Die vorgebrachten Beschwerden schienen mehrere Jahre lang chronisch zu sein, mit akuten Verschlimmerungen bei der Auflösung ihrer sechsjährigen Ehe im Jahr 1965. Acht Monate bevor ich sie sah, hatte Frau M. einen Therapeuten besucht, der seine Praxis anschließend in einen anderen Bundesstaat verlegte. Zu dieser Zeit kam sie „gerade von den Drogen runter“, hauptsächlich Marihuana, und fühlte sich generell „zerrissen“. Die Therapie war darauf ausgerichtet, sie wiederherzustellen und ihr in der schwierigen Übergangszeit zu helfen. Die endgültige Trennung von ihrem Mann, an den sie sich noch emotional klammerte, war ebenfalls ein zentrales Thema. Es gab keinen Versuch des Therapeuten, sich mit der negativen Übertragung zu befassen.

Vorgeschichte: Der Vater von Frau M. war ein kleiner Beamter im diplomatischen Dienst, ein Posten der bedingte, daß sie ihre frühen Jahre im Ausland verbrachte. Die Eltern trennten sich, als die Patientin sechs Jahre alt war und beide heirateten wieder. Danach gab es sporadische Besuche beim Vater, bis zur frühen Pubertät, als der Vater starb. Frau M. erinnert sich, wie sie sich nach ihm sehnte, aber nicht in der Lage war, ihn zu erreichen, da er in beiden Ehen von Frauen dominiert wurde und passiv war. Die Mutter, die sie als starke Trinkerin darstellt, ist manipulativ, leidet unter Migränekopfschmerzen, schreit die Patientin ständig an oder schlägt ihr auf den Kopf. Die wichtigste mütterliche Botschaft war, die Patientin solle keinen Lärm machen, solle nicht zu hören sein und keine Gefühle ausdrücken. Sie ließ die Patientin stundenlang unbeaufsichtigt und schreiend zurück oder widersetzte sich ihren Annäherungsversuchen mit einem harten: „Laß mich in Ruhe“. Eine zwei Jahre jüngere Schwester war ihr wichtigster Trost; die einzige, die für sie „da“ war.

Frau M., die eine ausgezeichnete Studentin war, spricht von ihren College-Aktivitäten als dem glücklichsten Aspekt ihres Lebens. Sie hat ihren Abschluß mit hohen Auszeichnungen gemacht, verfügt über eine solide Berufserfahrung und einen beeindruckenden Lebenslauf.

Diese Funktionsbereiche stehen in scharfen Kontrast zu der Geschichte ihrer Objektbeziehungen, die die Heirat mit siebzehn Jahren mit einer borderline-gestörten, gleichwohl talentierten Person mit psychopathischen und schizoiden Eigenschaften, einschließt.

Die stürmische und sadomasochistisch geprägte Ehe brachte ein siebenjähriges Mädchen hervor. Im Rückblick auf ihr Leben konstatiert die Patientin einen Zustand tiefgehender Kontaktlosigkeit. Mit viel Bedauern erkennt sie jetzt, daß sie ihr Kind aufgezogen hat, wie ihre Mutter sie aufgezogen hatte – sie hat ihren Gefühlsausdruck unterbunden, es in der frühen Kindheit viele Stunden allein gelassen, es am Kopf geschlagen und angeschrien usw. Der Vater des Kindes, ein starker Konsument von Marihuana, war ebenfalls hart und verhielt sich dem Kind gegenüber wie ein Leuteschinder.

Drogenvorgeschichte: Frau M. beschreibt den Marihuana-Konsum in ihren Kreisen als Lebensweise und Selbstverständlichkeit. Sie selbst rauchte zwei Jahre lang jeden zweiten Tag „einen halben Joint mit Haschisch“. Sie unternahm auch drei LSD-„Trips“, jeden mit einer geschätzten Dosierung von 500 mcgm.(3) Dies geschah während ihrer Scheidung, als sie besonders einsam war, sich um ihr kleines Kind kümmerte, den ganzen Tag arbeitete und jeden Abend den Unterricht besuchte. Beim ersten Drogenrausch erlebte sie eine Intensivierung ihrer Einsamkeit und Sehnsucht nach ihrem Mann. Ihr zweiter Drogenrausch, der als „übel“ bezeichnet wird, war eine Erinnerung an ihr Leben im Ausland im Alter von fünfeinhalb Jahren. Bei ihrem dritten Rausch sah sie einen Mann und eine Frau, die sich gegenseitig verprügelten. Er war voller Bilder von Terror, Vergewaltigung und Mord.

Untersuchung: Frau M. präsentierte sich als zierliche, gesund wirkende, adrette und ansprechende junge Frau, die angemessen gekleidet war. Sie war artikuliert und vermittelte den Eindruck eines „netten kleinen Mädchens“. Abhängigkeit und Fügsamkeit stachen ebenfalls hervor. Der Affekt war mäßig ängstlich. Ihr Aussehen und ihre allgemeine Fassade, wie ihr beruflicher Werdegang, schienen der frühen, bösartigen Kindheitsgeschichte zu widersprechen. Es gab nichts Bizarres. Sie erweckte den Eindruck von Naivität, die sich als Abwehr erwies, da im Laufe der Behandlung eine sehr hohe Intelligenz und eine raffinierte Scharfsinnigkeit zu Tage trat.

Biophysisch stellte sich ein Bild dar, das im Gegensatz zur angenehmen Fassade stand, mit starker Blockade im Augenbereich. Bei der Atmung waren die Brustbewegungen flach und von sehr „vorsichtiger“ Qualität. Bei manuellem Druck gab die Brust ziemlich leicht nach. Die paraspinalen(4) Muskeln waren straff, mit relativ wenig Halten im übrigen Körper. Energetisch war sie weit nach innen gezogen und es fühlte sich für mich nicht so an, als wäre sie im Raum. Durch eine Lockerung der Brust konnten Beinklonismen hervorgerufen werden. Mein vorläufiger diagnostischer Eindruck war Hysterie mit einem Augenblock, obwohl Schizophrenie als eine wenig anzunehmende Möglichkeit blieb.

Therapieverlauf: Angesichts des Krankheitsbildes war es mein vorrangiges Ziel, mich auf das Kopfsegment und die Kontaktprobleme zu konzentrieren. Ich war auch auf eine starke latente negative Übertragung vorbereitet, die sich aus der tiefen Ambivalenz, den intensiven Abhängigkeitsbedürfnissen und der geheimen narzißtischen Erwartung (unbewußt) ergibt, daß ich mich um sie kümmern würde. Ich konnte nicht sicher sein, wie sehr das Krankheitsbild durch den Drogenkonsum verzerrt und wieviel durch andere lebensgeschichtliche Faktoren vorgegeben war. Dies ist bis heute ein Problem geblieben. Bisher habe ich die Patientin in insgesamt 25 Sitzungen behandelt.

Die ersten Gespräche vor der Sommerpause umfaßten die Anamnese, weitere Abklärung und das Auftreten sowohl eines Augen- als auch eines Ohrenblocks, der sich durch die Weigerung äußerte, auf der Couch zu sehen bzw. zu hören. Deutlicher Negativismus und Trotz lagen dicht unter der Oberfläche.

Die Sitzungen, die im Herbst nach der Scheidung der Patientin und dem Umzug an einen neuen Ort begannen, beschäftigten sich mit diesen unmittelbaren traumatischen Ereignissen ihrer Lebenssituation. In diesem Kontext ging ich mit verschiedenen Manövern das Augensegment an, einschließlich der Anwendung eines Flimmerlichts und der Mobilisierung der Augen durch rasches Verfolgen des Fingers. Zuerst bewegten sich die Augen ruckartig, als wären sie in ihren Höhlen eingerostet. Dies löste wiederum viel Wut gegen den Ehemann aus, den sie symbolisch auf der Couch verprügelte. Während jeder Sitzung ging die Patientin in den Kontakt und wieder hinaus und ich rief sie ständig zurück. Sie selbst hatte das Gefühl, daß sie zuvor die Drogen als Fluchtweg benutzt hatte und jetzt nur noch in den Augen weggehen konnte, ein Manöver, das ich ständig in Frage stellte.

Eine Mutterübertragung auf mich ließ nicht lange auf sich warten. An der Oberfläche nahm sie die Form an, daß sie das gute, klagende kleine Mädchen war, die der Mutter gefallen wollte. Dies bannte einen starken Negativismus, Boshaftigkeit und sadomasochistische Provokation. Nachdem oberflächliche Wut in den Augen mobilisiert war, konnte ich diesen Trotz ohne Probleme in unbegrenzten Mengen anzapfen, indem ich sie treten und „Nein!“ schreien ließ. Gleichzeitig wies ich immer wieder auf den Abwehrcharakter der Fassade des „guten kleinen Mädchens“ hin.

Die Therapie wurde auf dieser Schiene über etwa ein Dutzend Sitzungen mit konstanter Charakterarbeit fortgesetzt. Der Negativismus schien unermeßlich zu sein – „‚Nein‘ unter Schichten von ‚Nein‘“, wie es die Patientin formulierte. Die Arbeit am Augensegment setzte sich in verschiedenen Verästelungen fort: Augenkontakt mit mir, wobei verschiedene Emotionen zum Ausdruck gebracht werden, die Augen weit aufreißen beim Einatmen, gleichzeitige stimmliche und Licht-Stimulation usw. Ich mußte vorsichtig sein, da die Augenarbeit schnell Schwindel hervorrufen konnte, gefolgt von einer Kontraktion des gesamten Organismus und dem Gefühl, das Drogenerlebnis neu durchzumachen. Letzteres war nie allzu klar definiert, sondern bestand aus einem umfassenden Entsetzen oder einer schweren Angst, die manchmal von Angst vor Auflösung geprägt war. Ich sah mich daher einerseits mit extremem Negativismus konfrontiert, andererseits mit einer beunruhigenden Fragilität. Das Problem bestand darin, sie zwischen den beiden zu „titrieren“(5), ohne sie zu überfordern. Ich warnte sie, sie solle mir sagen, wenn sie das Gefühl habe, daß es ihr zu viel werde.

Während dieser Zeit nahm die Mutterübertragung eine weitere Verzweigung an. Ein Teil des Negativismus schien eine Abwehr gegen scheinbar positive Gefühle gegenüber mir zu sein. Eine Sondierung offenbarte tiefe Trennungsangst, die regelmäßig durch das bloße Ende einer Therapiesitzung hervorgerufen (aber regelmäßig unterdrückt) wurde. Sich auf mich einzulassen, bedeutete demnach die Möglichkeit, mich zu verlieren. Dies beruhte alles auf ihren tiefen Abhängigkeitsbedürfnissen und dem Wunsch, daß ich diese befriedigen würde.

Nach weiteren zwei Monaten „Titrieren“ zwischen der negativistischen Kontaktverweigerung und der Mobilisierung der Fernwahrnehmung begann Frau M., sich ihres eigenen Weggehens aus dem Kontakt, wie es sich in ihrem Alltag ereignete, gewahr zu werden und sich selbst zurückzurufen. Zum ersten Mal berichtete sie über eine klarere Wahrnehmung; wie es sich anfühlt, in Kontakt zu sein.

Ich machte weiter auf den Abwehrcharakter ihrer „gutes kleines Mädchen“-Fassade aufmerksam. Trotz ständiger Bemühungen ihre negativen oder mißtrauischen Gefühle über mich auszuloten, konnte sie erst im darauffolgenden Monat eine direkte Feindseligkeit gegenüber mir verbalisieren. Schließlich kam es zu einer Fülle von Beschwerden: Ich hätte keine Entscheidungen für sie getroffen; die Therapie ließe sie „zu viel fühlen“, sie wollte sich nicht vor mir „emotional verausgaben“, Kindheitserinnerungen kehrten zu unpassendsten Gelegenheiten zurück, ungewollt und unwillkommen, so wie damals, als sie auf Droge war, ich sollte mehr körperlich mit ihr arbeiten. Ich wies darauf hin, daß sie wütend auf mich sei, mir mißtraue und Dinge von mir wolle, die ich ihr vorenthalte. Sie antwortete, indem sie den Wunsch äußerte, mir, entsprechend ihrer Tochter, auf den Kopf zu schlagen, so wie es die Mutter mit ihr getan hatte. Sie war dann in der Lage, eine Menge Wut direkt gegen mich loszulassen, während sie auf die Couch schlug.

Die nächsten paar Sitzungen waren weiterhin durch ihre direkt gegen mich gerichteten aggressiven Wünsche geprägt. Die Abwehr „gutes kleines Mädchen“ wurde intensiviert. Ich wies darauf hin, daß dies eine Abwehr gegen Kontakt und ihren Wunsch sei, daß ich mich um sie kümmern soll. Ihre Wut nahm zu, aber mit ihr kam die Angst vor Vergeltung. Ich brachte sie dazu, ihre Wut in den Augen zum Ausdruck zu bringen. Sie wollte nicht glauben, daß es sicher war, Wut zu entladen und hatte das Gefühl, sie würde eine gewischt kriegen (trotz ihrer Entladung feindseliger Gefühle in früheren Sitzungen). Hier war wieder eine Vertiefung ihrer Mutterübertragung: sie erwartete von mir die gleiche Bestrafung, die ihre Mutter ihr in der Vergangenheit zu Teil hat kommen lassen.

Auf Wunsch der Patientin folgte ein Monat Urlaub von der Therapie. Sie wechselte den Beruf, hatte einen neuen Zeitplan und brauchte Zeit, um ihr Leben neu zu organisieren. Ich hatte den Eindruck, daß sie vor ihren Wutgefühlen auf der Flucht war, es ihr zu viel wurde und sie eine Verschnaufpause brauchte.

Nach einem Monat kam sie zurück. Sie hatte einen viel besseren und befriedigenderen Job gefunden und war sehr gut darin. Die Augen waren jedoch blockiert und sie konnte sie nur schwer drehen. Auf der Couch konnte sie viel Boshaftigkeit ausdrücken. Die Trennung für einen Monat schien die Mutterübertragung auf mich und die Verwechslung mit der Mutter, die sie verlassen hatte, mit mir zu vertiefen. Ich benutzte die Stiftlampe bei ihren Augen und weckte zunächst tiefe Wut, danach Schrecken und schließlich intensive Sehnsucht. Sie streckte ihre Arme aus und rief: „Mami, Mami!“

Die nächsten beiden Sitzungen brachten durch die Intensivierung der Übertragung einen erhöhten Widerstand. Dieser lag nahe an der Oberfläche und konnte leicht interpretiert werden. So konnte sie nun ihre bisher unausgesprochene Sicht auf mich als „hysterisch“ und „ungepflegt“ auf die Art in Bezug setzen, wie sie ihre Mutter sah. Sie drückte auch ein Schuldgefühl darüber aus, daß sie mich umbringen würde. Ich benutzte die Stablampe und sie konnte mich mit großer Überzeugung und Engagement symbolisch auf der Couch schlagen. Es folgte entweder das Auftreten einer spontanen frühen Erinnerung (wie es bei einer starken affektiven Entladung auftreten kann) oder das Wiedererleben eines psychedelischen Erlebnisses: Sie fühlte sich plötzlich sechs Monate alt und konnte ihre Angst vor dem Verlassenwerden deutlich erleben, die sie als die Angst erkannte, dem Tod überlassen zu werden. Sie konnte regredieren und trotzdem gleichzeitig das beobachtende Ich ausreichend intakt halten, um über die Erfahrung zu berichten. Die laufenden Sitzungen waren hauptsächlich mit einer Intensivierung der Trauerreaktion hinsichtlich der Mutter angefüllt.

Die Patientin berichtet, daß sie nach ihren Sitzungen manchmal tagelang weint und dies als unerträglich und überwältigend empfindet. Es gibt jedoch keinen Funktionsverlust bei der Arbeit oder im Studium. Sie bemerkt auch, daß das zwanghafte Grübeln verschwunden ist und sie beginnt zu verstehen, wie es sich anfühlt, in Kontakt zu sein. In letzter Zeit hat sie Episoden, manchmal Stunden lang, von echtem binokularem Sehen erlebt.(6) Doch sie fühlt sich unsicher und ist voller Angst, gefühlsmäßig „zu viel Staub aufzuwirbeln“. Ich habe ihr gesagt, daß ich auch sehr besorgt bin, sie nicht überwältigt werden solle, ich die Situation sorgfältig überwache und daß sie mir sagen müsse, wenn sie das Gefühl hat, daß wir zu weit gehen. Das Problem scheint eine intensive Intoleranz für Expansion und eine zu leichte Freisetzung des Verdrängten zu sein – insbesondere dessen, was sie bei ihren früheren Drogenerfahrungen wachgerufen hat. Die Fähigkeit ihres Biosystems, Angstzustände zu binden, ist ziemlich gering. Wie sehr der Drogenkonsum dies beeinflußt hat, ist schwer zu sagen. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, daß diese Patientin aus gutem „Material“ besteht und in der Lage sein wird, dem letztendlichen Schrecken der Auflösung zu widerstehen. In der Zwischenzeit ist Vorsicht geboten.

 

Diskussion

Bei dem vorliegenden Fall gab es zwei schwerwiegende Probleme, die beständige Arbeit erforderten: die Kontaktlosigkeit und die ausgeprägte Intoleranz für Expansion. Letzteres ging einher mit einer geringen Befähigung zu Angstbindung. Die Patientin war ein wandelndes Schlachtfeld, auf dem verdrängtes Material aus allen libidinösen Ebenen chaotisch durchbrechen und sie mit einer verheerenden Überlastung überschwemmen. Eine tiefe Panzerung im Kopf mit daraus folgender Flucht vor dem Kontakt wurde zur Hauptabwehrlinie.

Die maligne frühe Geschichte von Frau M. sowie konstitutionelle Faktoren können das vorliegende Krankheitsbild weitgehend geprägt haben. Einige Patienten, die nie auf Droge waren, präsentieren sich auf diese Weise. Auf der anderen Seite deuten ihre solide Arbeitsgeschichte und die konstant hohe intellektuelle Leistung darauf hin, daß die eigentümliche biophysische Brüchigkeit zum Teil ein Drogenartefakt gewesen sein könnte. Patienten mit grundsätzlich „mangelhaftem Protoplasma“ und schlechtem „Ich-Zement“ schneiden in der Regel nicht so gut ab wie Frau M., auch wenn sie hochbegabt sind.

Die okulare Panzerung selbst war schwer abzuschätzen. Offenbar ist sie bei Frau M., so scheint es, eine frühe Entwicklung, die vor der Drogenzeit lag und die darauf abzielte, die schreiende, sadistische Mutter, die dazu neigte, der Patientin auf den Kopf zu schlagen, auszublenden. Die „Abstumpfung“ im Kopf wurde zu einer Herausforderung für Frau M., die ganz bewußt versuchte, mit Hilfe der Drogen „durchzubrechen“ und mittels der Drogen „etwas zu fühlen“.

Auf tieferer Ebene können wir postulieren, daß Drogen im Dienste der Verstärkung der Kopfpanzerung bei denjenigen Menschen stehen, die ihre extrem negativen Gefühle nicht binden oder anderweitig bewältigen können. Für einen solchen Drogensüchtigen wäre dieses Motiv im Unbewußten verborgen und würde als Wunsch, sich „anzutörnen“, rationalisiert. Die daraus resultierende Apathie würde dann als willkommene Befreiung von unerträglichen Aggressionsgefühlen erlebt werden. Es scheint wahrscheinlich, daß Frau M. Drogen nahm, um ihre Kopfpanzerung zu verstärken, den Haß zu dämpfen und den Sadomasochismus in Schach zu halten. Ein solcher Konsument befindet sich damit in einem Teufelskreis folgender Art: Verkrampfung des Kopfsegments (Abwehr von sekundären Trieben); der Versuch mittels Drogen die „Leblosigkeit“ im Kopf zu bekämpfen und die Feindseligkeit zuzuschütten; mit der daraus resultierenden Verstärkung der Kopfpanzerung und der Notwendigkeit vermehrter Drogen (Toleranz). Aber was sind die biophysischen Auswirkungen einer solchen Kette von Ereignissen? Was passiert mit dem chronischen Drogennutzer, der versucht, sich einer orgonomischen Behandlung zu unterziehen?

Kontaktstörungen – seien es die neurotischen Charakterzüge des Pseudokontaktes oder der vollständige energetische Rückzug des Katatonen – sind ein zentrales Thema der Orgontherapie. Die Therapie kann nur dann stattfinden, wenn der Kontakt zwischen Arzt und Patient hergestellt wird. Alle Hindernisse, die der Fähigkeit des Patienten zum vollständigen orgonotischen Kontakt entgegenstehen, müssen während der Behandlung so weit wie möglich systematisch beseitigt werden. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Intaktheit der Fernrezeptorfunktionen (Hören, Sehen und Riechen),(7) die über das Kopfsegment vermittelt werden. Die physischen und expressiven Aspekte der Augenpanzerung wurden in Bakers Buch ausführlich diskutiert und müssen hier nicht wiederholt werden (1, S. 91-92 und 212-226). Neben dem Krankheitsbild der schweren Kopfpanzerung entsteht der Eindruck, daß sich der Patient gar nicht im Behandlungszimmer befindet. Denn bei einem solchen Patienten ist die Energieladung minimal; die Erregung wird auf einem Tiefstand gehalten, das Feld ist stark zusammengezogen, die emotionale Resonanz zwischen Arzt und Patient fehlt. Man fühlt sich allein im Raum.

 

Das „Haschisch“-Syndrom

Nach meiner Erfahrung zeigen Patienten unter dem Einfluß von „Haschisch“ ein Bild, das energetisch dem der erheblich okular gepanzerten Menschen sehr ähnlich ist. Dies, obwohl der Patient „auf Droge“ ein ausgeprägtes Maß an scheinbarer Verbundenheit, Heiterkeit und verminderter Gehemmtheit aufweist – ein typisches Bild dessen, was Reich Pseudokontakt nannte. Was fehlt, ist die energetische Ladung, das Ausstrecken hin zur Außenwelt (vgl. die „Objektbesetzung“ der Psychoanalyse). Die Energie wird in das Selbst zurückgezogen. Subjektiv erlebt der Benutzer eine „Spaltung“, ein Gefühl der Entpersönlichung oder Abtrennung. Es ist, als ob er sich die Illusion von Kontakt oder Nähe nur aus der sicheren Distanz der drogenbedingten Isolation erlauben könnte. Ein Beispiel aus der psychedelischen Literatur(8) veranschaulicht sehr gut die Abspaltung von Kontakt:

Inmitten meiner komplizierten Halluzinationen konnte ich wahrnehmen, daß ich eine doppelte Existenz hatte. Ein Teil von mir wurde widerstandslos auf der Bahn dieser gewaltigen Erfahrung mitgewirbelt, der andere saß auf einer Höhe, schaute auf sein Double herab, beobachtend, überlegend und gelassen alle Phänomene abwägend. (2, S. 151-2)
Darüber hinaus zeigte jeder meiner Probanden eine intensive Panzerung von Stirn, Augen, Lidern und Hinterhaupt. „Eingefroren“, „steinern“ oder „tot“ waren die Adjektive, die am ehesten bei der Betrachtung und Abtastung des Kopfsegments in den Sinn kamen. Gelegentlich konnte eine tiefe Anorgonie das unnachgiebige Festhalten überflüssig machen, aber der Eindruck der Leblosigkeit blieb ausgeprägt. Bei jedem von ihnen spürte man eine mangelnde Präsenz im Raum.

Die physiologischen Auswirkungen von Marihuana sind wohldefiniert. Die pharmakologische Wirkung der Droge wurde in ihren Ausprägungen als atropin-artig(9) beschrieben, wie der folgende Bericht zeigt:

Innerhalb einer halben bis einer Stunde nach der Einnahme von Marihuana wird die Bindehaut rot, die Pupillen erweitern sich und reagieren träge auf Licht. Lichtempfindlichkeit, Tränenfluß, Zittern der Augenlider und Augenzittern beim Blick zur Seite werden augenfällig. Die augenärztliche Untersuchung ergibt nichts Ungewöhnliches im Blinden Fleck, in den Gefäßen oder im Hintergrund der Netzhaut. Die Sicht auf Entfernung, Nähe und Farbe ändert sich nur geringfügig. Die Zunge wird zittrig und trocken; Mund und Rachen trocknen aus, was auf eine Verminderung des Speichelflusses hindeutet. Die Herz-Kreislauf-Veränderungen bestehen aus einer Erhöhung der radialen(10) Pulsfrequenz und einem Anstieg des Blutdrucks, der unmittelbar dem Pulsanstieg folgt. Die Extremitäten fangen an zu zittern und unwillkürliches Zucken tritt auf, Hyperreflexie(11), erhöhte Empfindlichkeit bei Berührung, Druck und Schmerzreizen. Pyramidale Nervenbahnsignale(12) werden nicht hervorgerufen. Es gibt eine ausgleichende und nicht ausgleichende Ataxie(13), die sich durch starkes Schwanken und abnorme Finger-zu-Finger-Bewegungskoordination zeigt. Nicht alle diese Phänomene treten bei jedem Subjekt auf, aber wenn eines von ihnen auftritt, dauert es ungefähr zwölf Stunden an. (2, S. 362f)
Wir sehen also autonome Wirkungen sympathisch-tonischer Natur zusammen mit ausgedehnten neurologischen Manifestationen, was auf eine diffuse Beteiligung des gesamten Großhirnkortexes, des Mittelhirns, des Kleinhirns und der vegetativen Zentren schließen läßt. Nach Allentuck (2) begleiten Gefühle von Euphorie und Besorgnis die überwiegend sympathische Innervation. Bioenergetisch würde man erwarten, daß ein Rückzug der Ladung von der Peripherie zum Zentrum die Sympathikotonie begleitet. (14) Dies ist verbunden mit dem orgonomischen klinischen Eindruck, daß das Energiefeld eingezogen wird, die Erregung minimal ist und der Patient wie „nicht da“ wirkt.

Die Wahrnehmungsveränderungen sind dem Eingeweihten gut bekannt. Die Beschreibung von Allentuck deutet auf eine umfassende Beteiligung des Augensegments hin:

Mentale Phänomene treten zwei bis drei Stunden nach der Einnahme bzw. fast unmittelbar nach dem Einatmen der Droge auf. Das Subjekt gibt an „high“ zu sein. Dieser Zustand ist gekennzeichnet durch ein Gefühl von „in der Luft schweben“, „auf Wellen gleiten“, Leichtigkeit oder Schwindel im Kopf, Klingeln in den Ohren und Schwere in den Gliedmaßen. Euphorie manifestiert sich zunächst objektiv in Redseligkeit und erhöhter psychomotorischer Aktivität, später subjektiv in einer köstlich benebelten Mattigkeit. Entfernungen und Zeitintervalle erscheinen subjektiv elastisch. In drei bis sechs Stunden nach der Einnahme von Marihuana manifestiert sich Hunger, vor allem in einem Verlangen nach Süßigkeiten, und ein Gefühl von Müdigkeit und Schläfrigkeit tritt in den Vordergrund. Das Individuum kann ein bis sechs Stunden schlafen und ist beim Erwachen „down“, d.h. es fühlt sich nicht länger „high“. Die klinischen Phänomene können noch einige Stunden anhalten.
Der mentale Status offenbart in der Regel ein hyperaktives, ängstliches, redseliges, etwas mißtrauisches Individuum. Sein Redefluß kann umständlich sein, seine Stimmung kann gehoben sein, aber er beinhaltet keine offenen anormalen mentalen Inhalte wie Wahnvorstellungen, Halluzinationen, Phobien oder autistisches Denken. Aufmerksamkeit, Konzentration und Verständnis werden nur geringfügig gestört, was sich daran zeigt, daß die Ergebnisse seiner Bildungsabschlußprüfungen nur geringfügig gesunken sind.
Marihuana kann eine Psychose in einer instabilen, unorganisierten Persönlichkeit auslösen, wenn sie in größeren Mengen eingenommen wird, als sie tolerieren kann. (2, S. 363)
Wie funktionieren die Psychedelika? Einige Hinweise des Eingeweihten regen zum Nachdenken an, erklären jedoch den Prozeß nicht. Cholst (2), ein Arzt und Konsument, vergleicht die Erfahrung von Marihuana mit Altersrückversetzung.(15) Er berichtet, daß ein Babinski(16) sowohl während hypnotischer als auch während psychedelischer Erfahrungen hervorgerufen wurde. Die Analogie zur Hypnose ist interessant; wie bei den Psychedelika ist ihr Wirkmechanismus noch unerklärt. Meine eigenen Beobachtungen zur Hypnose lassen mich glauben, daß der hypnotische Prozeß (wie der psychedelische) unter anderem eine Verkrampfung des Kopfsegments in Form einer akuten Panzerung beinhaltet. Leary (2) sieht den Einsatz von Psychedelika als Disziplin zur Erlangung kosmischen Kontakts und beschreibt dabei sechs Stufen des „Bewußtseins“. (Mein Eindruck ist, daß dieser Ansatz sehr mystisch ist und auch eine gewisse Art von Hypnose beinhaltet.)

Aus orgonomischer Sicht kann man postulieren, daß das eigentliche Zielorgan der Psychedelika das gepanzerte Gehirn selbst ist und daß der ständige Konsument verzweifelt versucht, sein kontrahiertes Kopfsegment zu öffnen. Frau M., die eine intelligente Beobachterin ist, hatte das Gefühl, daß dies bei ihr der Fall war. Sie beschrieb detailliert zwei Phasen, die sie während der Droge durchlaufen hatte. In der ersten lag der Schwerpunkt auf der sensorischen Erfahrung, insbesondere visuell und auditiv, als sie in ihren empfindungshungrigen Rezeptororganen schwelgte. Später folgte eine Phase der Erinnerung an das Verdrängte, ein fürchterliches Schlachtfeld für sie. Sie sieht den Einsatz der Drogen als verzweifelten Versuch, etwas zu fühlen und ihre lebenslange Kontaktlosigkeit zu durchbrechen. Leary (2, S. 87) und Halpern (2, S. 335) haben auch beobachtet, daß chronische Konsumenten meistens introvertierte, emotional unterdrückte Typen sind.(17)

Ein anderer Patient von mir, der als Studienabbrecher mit einem Alkoholproblem begann, machte Fortschritte in der Therapie, schloß seine Berufsausbildung ab und wurde in seinem Fachgebiet sehr erfolgreich. In etwa dem vierten Jahr der Therapie begann er mit Marihuana und LSD zu experimentieren und wurde bald psychologisch abhängig vom Ersteren. Therapeutisch habe ich beim Patienten versagt, weil ich das nicht früh genug erkannt habe. Er begann, „high“ zu den Sitzungen zu kommen und oft beobachtete ich ihn biophysisch in diesem Zustand. Der energetische Rückzug, die Kontaktlosigkeit und die Pseudo-Geselligkeit waren sehr auffällig. Es wurde unmöglich, ihn zu behandeln: Jede im Verlauf der Therapie entstandene Angst war bald in der Droge ertränkt. Wir kamen in eine Sackgasse und vereinbarten, die Behandlung abzubrechen. Ich habe ihn ein Jahr später gesehen. Er hatte weiterhin eine zufriedenstellende Arbeitsleistung trotz Marihuana erbracht, war jedoch unglücklich über seine Abhängigkeit davon. Er hatte eine gewisse beschränkte Reizschwelle der Erregung erreicht und die Droge hielt ihn an dieser fest. Er hatte sich in Bezug auf seine Kontaktfähigkeit mit weniger zufrieden gegeben und war nicht bereit oder nicht in der Lage, etwas dagegen zu unternehmen. Das Kopfsegment blieb geschlossen.

In einem anderen Fall hatte ich eine Notfallkonsultation mit dem Patienten eines Kollegen, der sich einer LSD-Psychotherapie unterzogen hatte. Er war in großer Bedrängnis wegen der spontanen und unerwünschten Erinnerungen von Verdrängtem (zuvor durch LSD wiederbelebt), die ihn zu ungewöhnlichen Zeiten unerwartet überfielen. Dies wurde begleitet von Mikropsien(18) und suizidalen Impulsen. Ich kann mich nicht erinnern, ein stärker geschädigtes Kopfsegment als bei diesem Patienten gesehen zu haben. Das Hinterhaupt war wie ein Schraubstock. Die Augen und die Stirn waren starr. Die geringste Mobilisierung des Kopfsegments führte zu quälendem Schrecken. Es war große Vorsicht geboten, damit der Patient nicht zusammenbricht. Die Photostimulation brachte etwas Erleichterung.

Ein andere Patientin (eine von meinen), die noch nie Marihuana konsumiert hatte, kam eines Tages zu einer Sitzung, auf seltsame Weise ohne Kontakt. Sie schien nicht sie selbst zu sein, aber es war eine sehr subtile Veränderung. Es gab nichts Absonderliches. Die Abtastung des Hinterkopfes zeigte ein intensives Festhalten, das für diese Frau ungewöhnlich ist. Ich kommentierte diesen Zustand. Die Patientin erzählte dann, wie sie vor zweieinhalb Tagen mit einer Freundin experimentiert hatte und zum ersten Mal in ihrem Leben „einen halben Joint mit Hasch“ geraucht hatte. Seitdem hatte sie sich außer Kontakt gefühlt. Während dieser Sitzung war es unmöglich, bei dieser gewöhnlich labilen Patientin eine Energiebewegung zu erzeugen. Sie war erstarrt.

Obwohl dies nur vorläufige Beobachtungen sind, hoffe ich, daß sie dazu beitragen werden, einige mögliche biophysische Konsequenzen der Verwendung von Marihuana und dessen Unvereinbarkeit mit der orgonomischen Therapie aufzuzeigen. Mit Vorsicht würde ich postulieren, daß der chronische Konsument seine Kopfpanzerung vorzeitig aufbricht, in einem verzweifelten Versuch, seine Kontaktlosigkeit zu durchbrechen. Gleichzeitig gibt es eine unerträgliche energetische Expansion und eine chaotische Rückkehr des Verdrängten. Der Organismus antwortet mit einer Sympathikotonie – einer Kontraktion gegen die Expansion. Es besteht also die Gefahr, daß im Okularsegment ein „Haken“ entsteht, der bei manchen Personen durchaus irreversibel sein kann. In der psychedelischen Episode gibt es eine Abspaltung des direkten Kontakts, einen scharfen energetischen Rückzug und eine Ausdünnung und Streuung des Feldes als Folge der zentripetalen Energiebewegung. Wahrnehmungsveränderungen und regressive Phänomene sind die Regel. Im intensiven Erleben gibt es eine Verwechslung von Sinnesmodalitäten – ein „Sehen“ von Klängen und ein „Hören“ von Farben, die an archaische Wahrnehmungsfunktionen erinnern, die Spitz als Merkmale der „konästhetischen Organisation“ (4)(19) beschrieben hat. Die Distanzrezeptoren scheinen die primären Zielorgane zu sein. Eine steinharte Kontraktion des Kopfsegments ist ein ständiger Befund bei den chronischen Konsumenten, die ich gesehen habe. Intensive Kontaktlosigkeit gepaart mit Pseudo-Geselligkeit runden das Bild ab. Unter diesen Umständen kann sehr wohl eine tiefe Anorgonie des Gehirns folgen.

Im vorgelegten Fall hatte die Patientin eine Vorgeschichte mit Langzeitkonsum, war aber während der Behandlung ohne Drogen. Dennoch war es äußerst schwierig, die biophysischen Wirkungen der Therapie von den Stigmen des chronischen Konsums zu separieren. Wo der Patient fortfährt bewußtseinserweiternde Drogen zu verwenden, halte ich es für unmöglich, eine sinnvolle orgonomische Behandlung durchzuführen. Nach meiner Erfahrung sind Therapie und bewußtseinserweiternde Drogen aufgrund der durch Drogen induzierten Kontaktlosigkeit und der besonderen Beharrlichkeit der Kopfpanzerung energetisch inkompatibel.

Die obigen Ausführungen sind vorläufige Feststellungen. Zur Verifizierung bedarf es noch weiterer Studien und Erkenntnisse zu den bioenergetischen Vorgängen. In der Zwischenzeit gibt es genügend Beweise, um bei der Verwendung aller Psychedelika, obwohl sie für unbedenklich erklärt werden, große Vorsicht walten zu lassen.

 

Literatur

  1. Baker, E.F.: Der Mensch in der Falle, München: Kösel, 1980
  2. Solomon, D., ed.: The Marihuana Papers. Indianapolis: Bobbs Merril Co., Inc., 1966
  3. Reich, W.: Die bio-elektrische Untersuchung von Sexualität und Angst, Frankfurt: Nexus, 1984
  4. Spitz, R.: The First Year of Life. New York: International Universities Press, Inc., 1965

 


Fußnoten

(1) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Umgangssprachlich für das weiße Establishment oder die Polizei.

(2) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: The Hill = The Capitol Hill = der US-Congress. Abwertende Anspielung auf den behaupteten Drogenkonsum unter Parlamentariern.

(3) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: 500 mcgm (Micrograms) = 0,0005 Gramm.

(4) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Paraspinal bedeutet „entlang der Wirbelsäule“ bzw. „neben der Wirbelsäule“.

(5) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: In der medizinischen Umgangssprache wird der Begriff Titration für die schrittweise Anpassung einer Medikamentendosis verwendet.

(6) Beschrieben bei Baker (1, S. 56).

(7) Streng genommen gilt der Geruchssinn als Zwischenrezeptor.

(8) Haschisch ist die Droge, die hier verwendet wird. Wie Marihuana wird es aus Hanf (Cannabis) hergestellt, ist aber stärker.

(9) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Es handelt sich bei Atropin um ein Alkaloid, das das Herz-Kreislauf-System, vor allem aber das vegetative und zentrale Nervensystem beeinflußt. In seiner Wirkung als Rauschmittel erzeugt Atropin u.a. Erregung, stark beschleunigte Herztätigkeit, Rededrang, Euphorie und (erwünschte oder unerwünschte) Halluzinationen, es kann aber auch zu Unruhe, Krämpfen und Herzrhythmusstörungen führen.

(10) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Handgelenkpuls (daumenseitig).

(11) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Gesteigerte Erregbarkeit der Reflexe.

(12) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Pyramidenbahn: wichtigste der motorischen Nervenbahnen, die von der Hirnrinde ins Rückenmark zieht.

(13) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Störung im Bereich der Bewegungskoordination.

(14) Reich (3, S. 152) stellte einen deutlichen Rückgang des bioelektrischen Hautpotentials von Probanden im Zustand der sympathikotonen Kontraktion fest.

(15) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Hypnotische Rückführung in die Kindheit.

(16) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Babinski-Reflex, beim festen Bestreichen des seitlichen Fußsohlenrandes erfolgt eine Rückwärtsbewegung der Großzehe. Bei Kindern im ersten Lebensjahr ist dieser Reflex normal, später hingegen als Zeichen einer Pyramidenbahnschädigung zu werten.

(17) „Individuen mit einer begrenzten Fähigkeit zu affektiver Erfahrung und Schwierigkeiten bei der Herstellung sozialer Kontakte greifen eher auf Marihuana zurück als diejenigen, die eher aufgeschlossen reagieren können.“

(18) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Subjektives Phänomen, bei dem Sehobjekte kleiner wahrgenommen werden, als es der Objektgröße entspricht.

(19) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Deutsche Ausgabe: Vom Säugling zum Kleinkind. Naturgeschichte der Mutter-Kind-Beziehungen im ersten Lebensjahr.

 

 

Der Aufstieg des Psychopathen

Barbara G. Koopman, M.D., Ph.D.

Journal of Orgonomy vol. 7/1, 1973
The American College of Orgonomy
übersetzt von Robert Hase

 

Ein mir bekannter Top-Analytiker bemerkte kürzlich: „Die heutigen Jugendlichen haben alle sexuelle Freiheit, die sie wollen – sie geben sich ihr nach Herzenslust hin. Doch wenn ich sie auf meiner Couch sehe, stelle ich fest, daß sie genauso viele sexuelle Probleme haben wie ihre Pendants von vor zwanzig Jahren: Frigidität, Impotenz, wilde Promiskuität, sexuelle Frustration, unstillbare Suche nach dem Nervenkitzel. In der Tat geht es ihnen vielleicht schlechter. Die sexuelle Revolution hat ihnen überhaupt nicht geholfen!“ Diese Ergebnisse entsprechen der Beobachtung vieler heutiger Orgonomen. Der problemlose Zugang zu Sex und Empfängnisverhütung hat unsere Jugendlichen nicht befreit.

Was ist schiefgelaufen? Anstatt sexueller Freiheit verbunden mit Verantwortung herrscht Zügellosigkeit. Anstelle einer ernsthaften sexuellen Verpflichtung ist das mit jemandem Schlafen so beiläufig geworden wie ein Bier zusammen trinken. Statt der Belastbarkeit und Reife, die mit der orgastischen Potenz einhergeht, gibt es eine nicht enden wollende Anspannung, die den verzweifelten Organismus dazu treibt, seinen Frieden in Drogen, im Rückzug oder der gewaltsamen Entladung auf dem gesellschaftlichen Schauplatz zu suchen.

Das obige Bild ist weit entfernt von dem selbstregulierten, genitalen Charakter, der aus der sexuellen Revolution hervorgegangen sein sollte. Was ist schiefgelaufen?

 

Unterdrückung gegen Selbstregulierung

Untersuchen wir die Grundprinzipien der sexuellen Revolution, wie sie von Reich circa 1935 dargelegt wurden (1): Eines davon war der Schutz der genitalen Rechte von Kindern und Jugendlichen nach sexualökonomischen Grundsätzen. Das andere war die Ersetzung der patriarchalischen Familie durch die natürliche Familie. Beide umfaßten Erziehungspraktiken, die auf Selbstregulierung und der Abschaffung der sexuellen Zwangsmoral gründeten. Reich glaubte zunächst, ein solches Programm sei eng mit dem Klassenkampf nach marxistischem Konzept verbunden. Er wurde schnell von den Marxisten enttäuscht und brach mit ihnen vollständig – eine historische Tatsache, trotz der gegenwärtigen Bemühungen der Neuen Linken, Reich als einen der ihren zu beanspruchen. 1944 erklärte Reich ausdrücklich, das Problem sei nicht der Klassenkampf zwischen Bourgeoisie und Proletariat und daß es hinsichtlich der Charakterstruktur keine Klassengrenzen gebe. Er bemerkte weiterhin, daß die gesellschaftliche Ideologie kein Spiegelbild der ökonomischen Zustände sei, sondern daß sowohl die Ideologie als auch die Ökonomie in der psychischen Struktur der Massen verankert seien.

Reichs ganze Sorge galt jeder Facette des menschlichen Elends, er war jedoch der Ansicht, daß das Kernproblem die kranke Charakterstruktur des Menschen sei, die von Energieblockaden im Organismus herrührt. Die Hauptschuldigen sah er in der Sexualmoral und ihrer Dienstmagd, der religiösen Mystik, die die Massen davon abhalten, Herren ihres eigenen Geschicks zu werden. Im Jahre 1949 mahnte er, daß die Zukunft der Welt von der Lösung des Problems der Charakterstruktur der Massen abhängt.

Die Rolle der blockierten Energie bei der Entstehung von Neurosen ist von Reich ausführlich behandelt worden. Ich möchte hier nur einige Grundbegriffe streifen, um zu verdeutlichen, was ich als gegenwärtige Entwicklung betrachte.

Der Leser wird sich daran erinnern, daß die sexuelle Zwangsmoral zu sexueller Unterdrückung im Rahmen der patriarchalischen Familie führt. Freuds Libidotheorie wirft ein beträchtliches Licht auf diesen Prozeß. Nach Freud kommt jedes Individuum mit einem bestimmten Quantum an psychischer Energie auf die Welt. Zunächst ist es eine rein „narzißtische“ Energie, die sich ganz auf das Selbst konzentriert. Nach und nach greift diese Energie wie die Pseudopodien einer Amöbe aus und bindet sich an die Welt der Objekte (oder, strenggenommen, an ihre „mentalen Repräsentationen“). Wenn der Prozeß einigermaßen erfolgreich ist, entwickelt die Person die Fähigkeit zu zufriedenstellenden Objektbeziehungen. Dies geht Hand in Hand mit einer gewissen Reifung und Integration des Ichs. Manche Menschen kommen nie weit über dieses Stadium des Narzißmus hinaus und ihre Objektbeziehungen verharren zusammen mit ihrer Ich-Struktur auf einer primitiven, prägenitalen Stufe.

Im Verlauf der Ich-Entwicklung muß sich die psychische Energie durch verschiedene erogene Zonen bewegen – oral, anal, phallisch und genital – von denen jede ihre eigenen charakterologischen Merkmale aufweist. Jede Fixierung oder Regression von Energie in den ersten drei Zonen wird die Persönlichkeit ihren Stempel aufdrücken und ein bestimmtes Quantum psychischer Energie binden – das dem Ich nunmehr nicht mehr zur Verfügung steht und zu einer Einschränkung führt. Wenn sich die Person normal entwickelt, bewegt sich die Energie auf natürliche Weise von einem Stadium zum nächsten, ohne gebunden zu werden, und das genitale Primat wird erreicht. Das Genital wird zum Hauptkanal für die Entladung der sexuellen Energie. Jegliche prägenitalen Restmengen werden im Vorspiel abgebaut und bleiben nicht dem Charakter eingeprägt. Das genitale Primat signalisiert die vollständige Reifung des Ich.

Dieser Prozeß der Ich-Entfaltung wird von der Charakterstruktur der Eltern bzw. Elternsurrogate zutiefst beeinflußt und ist durch Krisen von Realitätsprüfungen, drohenden oder realen Verlusten und Trennungen, Bewältigungs- und Identifikationskonflikten usw. geprägt, die schließlich in der ödipalen Krise (im Alter von vier Jahren) gipfeln. Wie mit diesen Wechselfällen umgegangen wird, bestimmt die letztendliche Persönlichkeit. Freud und Reich divergieren darin, wie sie gehandhabt werden sollen. Selbstregulierung, nicht sexuelle Unterdrückung, war Reichs Antwort auf das Problem, gesunde Kinder aufzuziehen.

Um den Unterschied zu würdigen, betrachten wir das klassische Konzept der Verdrängung als einen Abwehrmechanismus, bei dem das Ich den verbotenen Trieb oder eine seiner Abkömmlinge bzw. Fantasien vom Bewußtsein ausschließt. Sobald dies geschieht, wird der Originaltrieb aus dem Bewußtsein verbannt, als hätte es ihn nie gegeben. Er hat jedoch weiterhin eine eigene energetische Existenz und drängt weiter auf Entladung. Um dies zu verhindern, verbraucht das Ich viel Energie bei dem als Gegenbesetzung bekannten Prozeß. Es gibt einen dynamischen Widerstand, den Trieb außen vor zu halten und das Ich zahlt den Preis für die „gebundene“ Energie und einen eingeschränkten Reaktionsspielraum. Zunächst kommt es zur Symptombildung, aber, wie Reich betonte, führt die Schichtung von blockierten Trieben und den Gegenbesetzungen schließlich zu einem sehr aufwendigen Überbau, den er als Charakterpanzerung bezeichnete. Der somatische Ort der Panzerung spiegelte das Entwicklungsstadium wider, in dem die Verdrängung erfolgt ist.

Für Freud war die „psychische Energie“ eine Metapher, während sie für Reich eine physische objektive Existenz als „Orgonenergie“ hatte, die er experimentell nachweisen konnte. Reich argumentierte, daß ein Mensch zur Erhaltung seiner Gesundheit einen geordneten Energiestoffwechsel haben müsse, was eine periodische Entladung durch einen genitalen Orgasmus erforderlich mache. Die Fähigkeit dazu bedeutete emotionale Reife (Genitalprimat) und Freiheit von somatischer Panzerung (pulsierende Motilität). In Ermangelung dieser Fähigkeit würde die libidinöse Energie im Organismus aufgestaut (Stase) und bilde den somatischen Kern der Neurose. Als Hauptursache dieser Stauung sah er die sexuelle Unterdrückung.

Mit dieser Ansicht entfernte sich Reich radikal vom analytischen Rahmen (obwohl er einen großen Teil von Freuds Theorie der psychosexuellen Entwicklung beibehielt). Es ist außerdem diese Sichtweise, die größtenteils den Anlaß zu den Entstellungen und Fehlinterpretationen über Reich geführt hat. Während Freud das Kind als triebdominierte Bestie sah, die durch sexuelle Unterdrückung (Frustration des ödipalen Inzestwunsches) gezähmt werden muß, sah Reich in der sexuellen Repression die Wurzel der Krankheit des Menschen.

Einer von Freuds monumentalen Beiträgen war die Entdeckung von sexuellen Regungen in der Kindheit; eine Enthüllung, die die wissenschaftliche Welt auf den Kopf stellte. Zu diesen Regungen gehörten nicht nur alle Arten von „polymorph-perversen“ Tendenzen, sondern auch die berühmte und schockierende Enthüllung des Ödipus-Komplexes, wonach das Vierjährige den Elternteil des anderen Geschlechts begehrt und seinen Rivalen, den gleichgeschlechtlichen Elternteil, eliminieren möchte. Er vertrat ferner die Ansicht (obwohl nicht alle Analytiker ihm zustimmten), daß destruktive Triebe mitsamt den sexuellen ebenfalls angeboren (d.h. primär) seien. Daher sei Verdrängung unbedingt erforderlich, um die Schaffung hedonistischer Wilder zu vermeiden, die keinerlei integrierte moralische Abschreckung aufweisen. Kultur und Moral könnten ohne diese nicht existieren.

Reich hingegen hatte eine rousseauistische Sichtweise: Der Mensch im Zustand der Natur ist inhärent gut. Wenn man den Menschen in Harmonie mit der Natur erzieht, wird das Ergebnis gut sein. Aber das erfordert eine einheitliche Sicht des Menschen, die seine dualen Aspekte, psychologisch und physisch, zu einer einzigen Gesamtheit vereint, die von Energiefunktionen reguliert wird. Der Mensch ist ein pulsierendes Wesen, dessen Energie ständig Psyche und Soma, Kern und Peripherie aktiviert. Darüber hinaus erzeugt er kontinuierlich ein Orgonenergiefeld, das mit dem der anderen sowie mit dem atmosphärischen Orgon in Resonanz steht und interagiert.

Grundlegend für dieses Konzept ist die Akzeptanz eines Sexuallebens für Kinder auf altersgerechtem Niveau. Reich glaubte, daß Kindern die Entladung ihrer sexuelle Energie mit Gleichaltrigen zu erlauben, den ödipalen Wunsch von seiner libidinösen Aufladung befreien würde. Mit der Dekathexis(20) des Wunsches gäbe es keine Notwendigkeit, ihn zu unterdrücken. Selbstredend hat Reich niemals sexuelle Aktivitäten zwischen Kindern und Erwachsenen, inzestuöses Ausleben, elterliche Masturbation von Kindern oder die lüsterne Förderung sexueller Aktivitäten von Kindern durch Erwachsene befürwortet. Vielmehr beinhaltete sein Konzept die Nichteinmischung sowie den Schutz von sexuellen Äußerungen zwischen Gleichaltrigen als Teil der natürlichen Lebensfunktionen von Kindern. So sollte es Kindern erlaubt sein, in ihrer Privatsphäre zu masturbieren, sich zu umarmen oder sich gegenseitig sexuell zu erkunden. Sie sollten keinen Geschlechtsverkehr oder Nacktheit bei Erwachsenen erleben, da ihnen die energetische Fähigkeit fehlt, diese zu tolerieren. Aber wenn sie zufällig darauf stoßen, sollte kein Aufhebens darum gemacht werden. Wichtig war hier vor allem eine unterstützende, nicht pornographische Haltung der Eltern. Sexuelle Angelegenheiten sollten mit Feingefühl (nicht Prüderie), ernsthaft (nicht scherzhaft) und vor allem mit Verantwortungsbewußtsein behandelt werden.

Vor diesem Hintergrund wird Reichs Konzept der Selbstregulation, die an die Stelle der sexuellen Unterdrückung tritt, verständlicher.

Säuglinge werden auf Wunsch gestillt. Routinemäßige Beschneidung ist tabu. Kinder sollen essen dürfen, was sie wollen und sich selbst auf die Toilette setzen, wenn sie dazu bereit sind. Das Grundbedürfnis nach liebevollem Umgang soll gestillt werden, nicht aber die unüberlegte Befriedigung jeder Laune. Kindern soll beigebracht werden, die Rechte anderer zu respektieren, Maßnahmen für ihre eigene Sicherheit zu ergreifen und Freiheit mit Verantwortung zu verbinden.

All das steht in scharfem Kontrast zu dem harten Regime, das der Jugend durch sexuelle Unterdrückung auferlegt wird, angefangen von planmäßigen Fütterungen, strikten Toilettengängen und Masturbationsverboten bis hin zum absoluten Tabu für sexuelle Aktivitäten in Kindheit und Jugend. Das Endprodukt kann nur ein schuldbeladener, unsicherer, triebgehemmter Neurotiker sein.

 

Entsteht ein neuer Trend?

Kehren wir zu unserer ursprünglichen Frage zurück, was in der sexuellen Revolution schiefgelaufen ist. Zufällig kamen mir einige Gedanken zu dieser Frage in den Sinn, als ich gerade dabei war, Reichs The Impulsive Character (2)(21) zu übersetzen, eine klassische Monographie, die 1925 geschrieben wurde, die aber immer noch bedeutend und aktuell ist. Im Jahr 1925 ließ kein angesagter Analytiker jemals einen triebhaften Charakter in sein Büro kommen. Die Analytiker der damaligen Zeit beschäftigten sich hauptsächlich mit Neurotikern und deren Verdrängungen. Aber in der kostenlosen Klinik, die er leitete, hatte Reich seinen ersten Kontakt mit den mittellosen Schichten. Dies führte zu einer eingehenden Untersuchung einer Art von Charakterstörung, die er als „triebhaft“ bezeichnete und die eine starke Verwandtschaft mit dem Psychopathen aufweist. Obschon einige von Reichs Fällen kaum vom Schizophrenen zu unterscheiden sind, wird die Charakterstörung allgemein als ein Zwischentyp zwischen einem neurotischen Charakter (z.B. hysterisch, zwanghaft, etc.) und einem psychotischen angesehen. Wie dem auch sei, Reichs Studie über die Genese und Struktur des Triebhaften von 1925 hat unser Verständnis des gegenwärtigen Psychopathen erheblich bereichert.

Im heutigen Umfeld der scheinbaren sexuellen Freiheit weichen die alten Zwänge – doch die daraus hervorgehende Charakterstruktur ist weit entfernt von Genitalität. Ich glaube, daß sich in unserer Gesellschaft ein neuer Trend emotionaler Krankheiten abzeichnet: Der praktizierende Psychiater von heute sieht möglicherweise eine andere Art von Patienten im Entstehen – eine Übergangsform zwischen dem triebgehemmten Neurotiker und dem triebgesteuerten Psychopathen. Es ist der letztere Typus, der einige Gemeinsamkeiten mit dem von Reich beschriebenen triebhaften Charakter aufweist. Man muß sich nur im Fernsehen die Filme der 50er Jahre ansehen, um den eklatanten Wandel in der Kultur zu erkennen, der sich innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte vollzogen hat. Die jungen, anständigen Leute in diesen Filmen sehen für die abgestumpften Augen der „coolen Typen“ von heute wie „Spießer“ aus. Erstere sind die triebgehemmten neurotischen Typen, die in einer Atmosphäre der sexuellen Unterdrückung aufgewachsen sind, während unsere coolen „Hipster“ von heute eine lockerere psychische Struktur verkörpern, die von gemischten Übergangstypen bis, im Extrem, hin zum ausgewachsenen Psychopathen reicht.

Ich will damit nicht implizieren, daß die Mehrheit der heutigen jungen Menschen diese Entwicklung beispielhaft zeigen. Es gibt jedoch zwei Gruppen in unserer Gesellschaft, bei denen ich das Gefühl habe, daß sie erkennbar ist: die Gruppe der städtischen Hochschüler und die der Benachteiligten. Hier kann man ein breites Spektrum von Übergangstypen sehen, alle Formen von Neurotikern mit einem Hauch von Psychopathie (deren Kinder oder Enkelkinder zunehmend triebhafte Züge zeigen können) bis hin zu den ausgewachsenen, triebgesteuerten Psychopathen, die sich am äußersten Pol sammeln.

 

Reichs Triebhafter Charakter

Der Begriff „Psychopath“ bedeutet für viele Menschen mehrere Dinge. Die vielleicht populärste Vorstellung ist die des skrupellosen Hedonisten, der seinen Impulsen nachgeht, ohne das geringste Schuldgefühl oder Skrupel zu haben. In Wirklichkeit ist das Bild viel komplizierter und wird oft mit anderen Diagnosetypen vermischt. Hier kann Reichs Monographie ein beträchtliches Licht auf die Ätiologie und die hervorstechenden Merkmale dieses Typs werfen.

Nach Reich ist das Kennzeichen des Triebhaften ein schwerer Defekt in seiner Fähigkeit, Verdrängungsmechanismen zu nutzen. Er steht dabei im Kontrast zum triebgehemmten Neurotiker, der sich stark auf Verdrängungsmechanismen stützt, um sich gegen den Durchbruch unbewußter Wünsche zu wehren. Der letztere Typus kann Ängste binden, der erstere nicht.

Aber die Fähigkeit, Angst zu binden, wenn auch oft im Dienste der Neurose, zeugt immer noch von einem gewissen Maß an Ich-Reife. Hierin liegt ein zweites Unterscheidungsmerkmal: Der triebhafte Charakter leidet unter schweren Entwicklungsdefekten des Ichs. So ist der größte Teil seiner libidinösen Energie auf einem sehr primitiven Entwicklungsstadium festgelegt und er behält ein übermäßiges Maß an Narzißmus bei. Während sich alle prägenitalen Stadien bis hin zum Phallischen in seiner Struktur widerspiegeln, zeigt er eine extreme Instabilität und Brüchigkeit, ganz anders als jeder andere Typ. Die Fähigkeit zu sinnvollen Objektbeziehungen ist nicht entwickelt. Was an Objekten vorliegt, dient lediglich als Versorgungsquelle. Der Neurotiker zeigt ebenfalls viele prägenitale Komponenten, aber aufgrund seiner Fähigkeit, Energie zu binden, leidet er nicht unter der extremen Instabilität des Triebhaften. Der Triebhafte wird von sekundären (d.h. sadistischen, destruktiven) Trieben bombardiert, die seine unreife Ich-Struktur nicht eindämmen kann, während der Neurotiker in der Lage ist, eine Reaktionsbildung herbeizuführen, die den Durchbruch der antisozialen Triebe verhindert.

Aufgrund der Unreife des Ichs funktioniert der Triebhafte hauptsächlich nach dem Lustprinzip, d.h. sofortiger Befriedigung. Seine Frustrationstoleranz ist sehr gering. Gleichzeitig fehlt ihm aufgrund der gestörten libidinösen Ökonomie die Fähigkeit, Spannungen effektiv abzubauen. In Folge leidet er unter einer übermäßigen Ladungsspannung, die er weder, wie der Neurotiker, binden noch verdrängen kann. Das Ausagieren wird dann zu seiner einzigen Möglichkeit der Entladung.

In Der triebhafte Charakter untersuchte Reich sehr detailliert die Genese dieser Störung anhand von Fallgeschichten seiner klinischen Patienten. Zu dieser Zeit (1925) bewegte er sich noch innerhalb des psychoanalytischen Rahmens (wenngleich in der Monographie bereits Andeutungen seiner Abkehr erkennbar sind). So sind, erklärt der junge Reich, Triebunterdrückung und Sublimierung die Eckpfeiler der Kultur. Das infantile Lust-Ich muß eine Versagung erfahren, damit Reifung stattfinden kann. Damit einher geht die Etablierung der Realitätsprüfung und die Bildung von Objektbeziehungen. Aber jede Versagung führt zu einer Aufspaltung der libidinösen Energie. Einem Säugling die Brust anzubieten und sie ihm dann wieder zu entziehen stellt zum Beispiel die Dualität von Triebbefriedigung und Triebverweigerung dar – das früheste Modell für Ambivalenz. (Zu dieser Zeit wurde allgemein angenommen, daß ohne Ambivalenz keine psychische Entwicklung stattfinden könne.) Reich schlug vier mögliche Verläufe der Ambivalenz vor, wobei alle bis auf den ersten zu einem pathologischen Ergebnis führen:

1. Bei einer liebevollen Bezugsperson erfährt der Säugling partielle Triebbefriedigung und partielle Versagung und entwickelt dadurch allmählich eine gewisse Fähigkeit zur Verdrängung. Das Kind kann die Versagung aufgrund seiner Liebe zur Bezugsperson tolerieren; die partielle Verdrängung läßt anschließend Raum für die Ersatzbefriedigung des Triebes.

2. Das Kind erfährt gleich zu Beginn eine vollständige (und nicht nur allmähliche) Triebfrustration, z.B. durch harte Entwöhnung oder totale Einschränkung der Masturbation. Dies führt zu einer totalen Verdrängung, wobei die Ambivalenz dem Haß Vorrang gibt. Die Fähigkeit zur Liebe ist stark beeinträchtigt und es entsteht ein zwanghafter Charakter.

3. Im frühesten Stadium besteht eine völlige Abwesenheit von Triebfrustration. Das Kind wächst z.B. ohne Aufsicht und mit uneingeschränkter Triebbetätigung auf, nur um später im Leben in einen schweren Konflikt mit der Umwelt zu geraten. Vor einem solchen Hintergrund entstehen die kriminellen Typen.

4. Einer ausgiebigen frühen, uneingeschränkten Triebbefriedigung steht eine plötzliche, verspätete Triebfrustration brutaler, traumatischer Natur gegenüber. Daraus entsteht der Triebhafte, der in der Regel eine Vorgeschichte von unbeständiger Erziehung besitzt und früh der Sexualität von Erwachsenen ausgesetzt ist.

Beim Triebhaften wird die Sexualität in einem abnorm frühen Stadium stimuliert und ausgelebt. Dies ist nicht zu verwechseln mit dem Selbstregulationsansatz, der den Ausdruck der kindlichen Sexualität auf einem altersgemäßen (und energetisch angemessenen) Niveau zuläßt. Aus den Fallgeschichten wird ersichtlich, daß Reichs triebhafte Patienten ein pornographisches sexuelles Umfeld erlebten, in dem die Betreuer oder Außenstehende Überstimulation offerierten und sexuellen Mißbrauch, einschließlich Inzest, ausübten. Sie waren folglich sexuell sehr überladen und überstimuliert. Von gesunder Genitalität konnte hier aber keine Rede sein, sondern eher von einer Eruption prägenitaler Triebe und polymorph-perverser Neigungen.

. Energetisch gesehen kann eine solche Triebhaftigkeit, wenn ihr freier Lauf gewährt wurde, nicht mehr vollständig eingedämmt werden. Schwere Defekte in der Ich-Entwicklung sind die Folge. Und wir wissen aus Reichs späteren Arbeiten, daß die ungezügelte Entladung sekundärer Triebe ökonomisch gesehen mehr Spannung erzeugt als sie löst. Daher das unerträgliche innere Bombardement und das unaufhörliche Ausagieren. Wie Reich später feststellte, stellt die amorphe Charakterstruktur des Triebhaften das genaue Gegenteil von Panzerung dar. Die Triebe, insbesondere die sadistischen, werden nicht durch Reaktionsbildung gehalten, sondern als Abwehr gegen die Triebe selbst und die imaginäre Gefahr, die von den Trieben ausgeht, genutzt.

Der Triebhafte ist durch Extreme und Exzesse gekennzeichnet. Die Symptome sind grotesk, wobei im Verhalten unverhüllte, primitive Triebe zum Ausdruck kommen. Ein solches Verhalten wird von dem Patienten nicht als Krankheit angesehen, außer in seltenen Momenten der Einsicht. Er ist oft sehr lebhaft und bizarr in seiner Art, sich mit der Außenwelt auseinanderzusetzen. Unverhohlene Perversionen, insbesondere sadomasochistische, sind häufig. Der Inzestwunsch ist meist bewußt.

Ein hoher Grad an Ambivalenz ist nach Reich der Regelfall und weist folgende Merkmale auf: stetiger Haß auf und Angst vor den Bezugspersonen; uneingeschränkte Triebhaftigkeit, gelegentlich verstärkt durch Unnachgiebigkeit; ungestillte Sehnsucht nach Liebe, dem Haß in gleicher Intensität entgegensteht; eine ausgeprägte Liebesunfähigkeit. Im Gegensatz zu Zwangshaften verlagern diese Patienten ihre Ambivalenz nicht auf Ersatzobjekte, sondern behalten das ursprüngliche Objekt im vollen Bewußtsein.

Um den Triebhaften besser begreifen zu können, hat Reich das Über-Ich eingehend studiert. Im analytischen Sinne ist das Über-Ich die Einverleibung der moralischen Vorschriften (normalerweise der Verbote) der Eltern. Seine Hauptfunktionen haben mit der Billigung oder Mißbilligung von Handlungen auf der Grundlage der eigenen Vorstellung von richtig oder falsch, mit Selbstkritik, Selbstbestrafung, Sühne und Reue sowie Selbstbestätigung für gutes Verhalten zu tun (3). (Die populäre Vorstellung von der Stimme des Gewissens ist eine stark vereinfachte Version davon.) Es entwickelt sich durch einen Prozeß der Identifikation, der seine Vorläufer in der frühesten Phase der Bildung von Objektbeziehungen hat. In diesem Stadium wird der Prozeß als Inkorporation bezeichnet und das Modell ist eines der oralen Aufnahme. Dies muß sich im Rahmen einer guten Bemutterung entfalten, wenn sich das Individuum auf gesunde Weise entwickeln soll. Reich war der Meinung, daß diese frühesten Identifikationen von wesentlicher Bedeutung dafür sind, wie das Kind den Ödipuskonflikt und spätere Wechselfälle des Lebens verarbeitet.

Die Über-Ich-Bildung steht in einer engen Beziehung zur Ambivalenz. Es sei daran erinnert, daß jede Frustration eines libidinösen Triebes eine Aufspaltung des Triebes in die gegensätzlichen Komponenten der Ambivalenz bewirkt. Je härter die Umstände der Frustration, desto größer die Ambivalenz, der Haß und die Schuldgefühle und desto strafender das Über-Ich. Zu der Zeit, als Reich die Monographie schrieb (1925), wurde die Über-Ich-Bildung als normaler und notwendiger Teil der psychischen Entwicklung angesehen – und als Bollwerk gegen die ungezügelte Entladung von Triebregungen (die Vorstellung vom Kind als wilder Bestie). Nur ein Über-Ich, das zu strafend ist, wurde als pathologisch angesehen. Obwohl die Über-Ich-Bildung ihre Wurzeln in den frühesten Stadien der Objektbesetzung und der Triebverleugnung hat, beginnt sie tatsächlich etwa im Alter von 4 Jahren und ist im Alter von 9 oder 10 Jahren verinnerlicht. Sie wird hauptsächlich als Abwehr gegen den Inzestwunsch des Ödipuskomplexes hervorgerufen und basiert immer auf sekundären (sadistischen) Trieben. Sie funktioniert weitgehend auf einer unbewußten Ebene (im Gegensatz zum „Gewissen“, welches im Bewußtsein ansässig ist).

Reich fand später heraus, daß die Über-Ich-Bildung funktionell identisch mit der Panzerung war – die elterlichen Einstellungen werden also nicht nur psychisch, sondern auch somatisch inkorporiert. Gewissermaßen „kleiden“ wir uns mit unseren Eltern – insbesondere mit ihren negativen Aspekten. Obwohl man sich im Prozeß der Über-Ich-Bildung mit beiden Elternteilen identifiziert, ist die Hauptidentifikation gewöhnlich mit dem Aggressor (d.h. dem strengeren, restriktiveren Elternteil). Die Identifikation mit den positiven Aspekten der Elternfiguren erfolgt natürlich ebenfalls, führt jedoch zu keiner Panzerung.

Beim Triebhaften ist die Über-Ich-Entwicklung deutlich defekt – im Gegensatz zu der des Neurotikers, die gut ausgearbeitet ist. Energetisch gesehen geht dies auf Reichs Beobachtung zurück, daß ein einmal vollentwickelter Trieb nicht mehr vollständig unterdrückt werden kann. Außerdem neigt das unwirksame Über-Ich dazu, die widersprüchlichen, inkonsistenten Aspekte der Erzieher anzunehmen. Reich postulierte, daß die Triebhaften unter dem Druck ihres unwiderstehlichen Drangs nach Triebbefriedigung „das ganze Über-Ich isolieren“ können, das dadurch seine abschreckende Wirkung verliert. Schuldgefühle sind bei diesem Charaktertypus immer vorhanden, wie bei allen ambivalenten Typen, aber sie werden auf unbedeutende Sachverhalte verlagert, anstatt an das entsprechende Objekt gebunden zu sein.

Ein weiteres Kennzeichen des Triebhaften ist die psychosexuelle Verwirrung. Auch der Neurotiker leidet darunter – jedoch in geringerem Maße, da alle Charaktertypen außer dem Hysteriker und dem genitalen Charakter die stärkere Identifikation mit dem Elternteil des anderen Geschlechts haben. In der Monographie von 1925 vertrat Reich die Ansicht, daß der Triebhafte nicht nach einem libidinösen Fixierungspunkt klassifiziert werden könne, analog etwa zur Fixierung des Zwanghaften in der analen Phase. Vielmehr sah er ihn als eine chaotische Melange aller prägenitalen Impulse, „wie ein Elefant im Porzellanladen der libidinösen Entwicklung“. In einer neueren Studie über Charaktertypen von Dr. Elsworth Baker wird der Psychopath als ein sehr schlecht integrierter Phalliker gesehen. Wie dem auch sei, es besteht kein Zweifel, daß dieser Typus viele prägenitale Züge, eine schlechte Ichfestigkeit und ein hohes Maß an Narzißmus aufweist. Die psychosexuelle Verwirrung ist also eine logische Folge der sehr unreifen Ich-Struktur. Offene Homosexualität ist bei diesem Typus keine Seltenheit.

 

Der Ghetto-Triebhafte

Obwohl Reichs Fälle extrem und grotesk sind, hilft uns seine Formulierung des Triebhaften, die strukturellen Veränderungen zu verstehen, die sich in unseren jungen Menschen von heute abspielen. Wie obenerwähnt, glaube ich, daß der Trend zur Psychopathie weitgehend auf die urbane Studentenschaft und das Ghetto beschränkt ist. Es ist hauptsächlich die erstere Gruppe, die ihre ätiologischen Wurzeln in der fehlgeleiteten sexuellen Revolution hat. Die letztere (Ghetto-) Gruppe ist entwicklungsgeschichtlich an die sozioökonomischen Bedingungen gebunden (wie auch Reichs Triebhaften), plus einige ethnische Faktoren, die einzigartig für ihre zeitgenössische Kultur sind. Die folgende Beschreibung ist größtenteils der Studie von Minuchin(22) (4) und meinen eigenen Beobachtungen in einer psychiatrischen Klinik im Stadtteil Brownsville(23) in Brooklyn, New York, entnommen, an der ich einige Jahre lang tätig war.

. Wie wird ein Ghettokind zu einem triebhaften Kind? Ein wesentlicher Faktor ist ein extrem instabiles häusliches Umfeld. Das Kind lebt in einem „Kaleidoskop von sich bewegenden und wechselnden Reizen“. Es darf nicht zweimal im selben Bett schlafen. Die Mahlzeiten sind selten zu einer bestimmten Stunde und können an einem Tag ein Festmahl und am nächsten ein Hungermahl sein. Es gibt mehrere, unberechenbare Bezugspersonen, die ihm ebenfalls ein Fest- oder Hungermahl an Anregungen verabreichen – an einem Tag wird es mit Aufmerksamkeit überschüttet, am folgendem ist es völlig vernachlässigt und unbeaufsichtigt. Ein ständiger Strom von Geliebten der Mutter läßt kaum ein geeignetes Modell zur Identifikation übrig. Die Objektbeständigkeit fehlt folglich fast völlig. In einem solchen wechselnden Bezugsrahmen entwickelt das Kind nie die Fähigkeit zu sinnvollen Objektbeziehungen. Wir sehen diesen Mangel ständig bei den Triebhaften.

Ein weiteres hervorstechendes Merkmal der Kindererziehung ist die Inkonsistenz der Eltern. Die Elternfiguren fungieren als eine Art „Verkehrspolizei“ und ihre Anweisungen an das Kind richten sich nach ihrer momentanen Stimmung. Sind sie gutgelaunt, lautet das Signal „Los!“, bei schlechter Laune „Stop!“ – Reaktionen, die in keinem Bezug zum Thema oder zu dem stehen, was richtig oder falsch ist. Es bedeutet auch, daß die dirigierende Macht für das Kind immer extern ist; er hat nie eine Chance, seine Triebkontrolle zu verinnerlichen und zu meistern. Die Triebentladung gestaltet sich motorisch und umfassend und geht Hand in Hand mit einer schlechten Aufmerksamkeitsspanne. In der Schule können diese Kinder nicht aufmerksam bleiben oder zwei Minuten lang still auf ihrem Stuhl sitzen. Die Ich-Struktur ist zu primitiv, um Introspektion, Selbstkritik oder die Fähigkeit zur Empathie mit anderen Menschen zu ermöglichen. Sie sind sehr narzißtisch und leben hauptsächlich in ihren sekundären Trieben.

Auch das Selbstwertgefühl ist minimal, da ihre Individualität nie gewürdigt wurde. Ein Kind wird mit dem Namen eines anderen Kindes gerufen oder alle Kinder werden von der Mutter mit einem abwertenden Begriff in einen Topf geworfen. Eine Privatsphäre im Schlafzimmer und im Bad ist nicht vorhanden. Kulturelle Muster begünstigen eine strafende Frauenherrschaft, wo die Mutterfigur die Hauptverantwortung für das Überleben der Familie trägt. Der Mann, der von einer strengen Matriarchin, die seiner Frau gleicht, aufgezogen wurde, rächt sich üblicherweise durch böswilliges Verlassen. Die männlichen Kinder erfahren in der Regel eine strenge und kastrierende Erziehung, die wenig dazu beiträgt, sie für die Vaterschaft, die Verantwortung als Erwachsener oder das Selbstwertgefühl als Mann zu qualifizieren. Die Mädchen neigen dazu, der Härte der Mutter nachzueifern und können Hausdrachen für ihre eigenen Partner werden.

Auch der Gebrauch der Sprache spiegelt diese primitive Herangehensweise an die Kindererziehung wider. Die Sprache wird hauptsächlich verwendet, um Beziehungen zwischen einer Person und einer anderen zu signalisieren und nicht um Informationen zu übermitteln. Echte Konversation ist in solchen Familien selten. Vielmehr hört man mehrere Monologe, die in ihrer Lautstärke eskalieren – ohne die Erwartung, daß man Gehör findet oder ein Feedback zu seinen verbalen Ergüssen erfährt. Ein Thema wird weder entwickelt noch zu Ende geführt, noch ist es üblich, Informationen zu überprüfen und einzuordnen. Daher ist ein Gefühl für Vergangenheit und Zukunft schlecht entwickelt: alles ist gegenwartsorientiert, wobei die sofortige Befriedigung hervorgehoben wird. Es gibt wenig Sinn für einen Aufschub für ein langfristiges, besseres Ziel.

Der Sprachcode selbst hat ein sehr niedriges Niveau der Begriffsbildung und ist meist auf Machtfragen zentriert, wobei sich das lauteste und zäheste Kind als der King etabliert. Kommunikation ist oft nur eine Aneinanderreihung von eskalierten Drohungen und Gegendrohungen – „Ich werde dir die Nase brechen. Ich breche dir dein Genick.“ – mit denen sie ihren Platz in der Machthierarchie festlegen. Kommunikation dient also dazu, den Status von Beziehungen zu definieren, nicht Informationen zu übermitteln. Auch die Entladung von Affekten ist eine Sache der Extreme: Sie reagieren auf einer Alles-oder-Nichts-Basis, ohne Nuancen oder Abstufungen von Gefühlen, ohne Feingefühl, nur „küß mich oder töte mich“. Die Eltern neigen dazu, dies mit einer vollständigen Polarisierung des Affekts zu modellieren – totale Zuwendung oder totale Abwendung. Um irgendeinen Affekt zu vermitteln, gehen sie bis zum Äußersten, ohne Modulation, und es hängt alles von ihrer Stimmung ab und nicht von der jeweiligen Sachlage.

Zusätzlich zu den obigen Beobachtungen, die hauptsächlich von Minuchin stammen, möchte ich betonen, daß diese Kinder in einem sehr frühen Alter sexuellen Aktivitäten von Erwachsenen und auch einer sadistischen Behandlung durch Erwachsene und Gleichaltrige ausgesetzt sind. Sie leben in einer Welt der Gewalt, der sekundären Triebe, der hypersexuellen Stimulation und der wechselnden Orientierungsrahmen. Das Ergebnis ist ein explosives, primitives, triebgesteuertes Individuum, das nicht nur an schweren Defekten des Ichs leidet, sondern dem auch die leistungsfähigen Werkzeuge der Kommunikation und Begriffsbildung fehlen. All dies findet in einer Umgebung statt, in der die Menschen auf verheerende Weise zusammengedrängt sind (infolgedessen überforderte Mütter, die sich um zu viele Kinder kümmern müssen), Armut, Alkoholismus und Drogenabhängigkeit herrschen.

 

Literatur

  1. Reich, W.: Die sexuelle Revolution, Frankfurt: Fischer Taschenbuchverlag, 1971
  2. Reich, W.: Der triebhafte Charakter, In: FRÜHE SCHRIFTEN, Köln : Kiepenheuer & Witsch, 1977
  3. Brenner, C.: An Elementary Text-book of Psychoanalysis. Garden City, N.Y.: Doubleday Anchor, 1957
  4. Minuchin, S., et al.: Families of the Slums. New York and London: Basic Books, 1967
  5. Malinowski, B.: Das Geschlechtsleben der Wilden in Nordwest-Melanesien, Frankfurt a.M.: Syndikat, 1979
  6. Masters, W.H. and Johnson, V.E.: Die sexuelle Reaktion, Frankfurt am Main: Akademische Verlagsgesellschaft, 1967
  7. Fenichel, 0.: Psychoanalytische Neurosenlehre. Frankfurt am Main: Ullstein Materialien, 1983
  8. Koopman, B G.: „Mind-Expanders – Peril or Pastime?“ Journal of Orgonomy, 3:213-25, 1969

 


Fußnoten

(20) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: In der Psychoanalyse ist Dekathexis der Rückzug der Besetzung von einer Idee oder einem Triebobjekt.

(21) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Wilhelm Reich: The impulsive character and other writings, übersetzt von Barbara G. Koopman. New American Library, New York 1974.

(22) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: https://de.wikipedia.org/wiki/Salvador_Minuchin

(23) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Eines der ärmsten Stadtbezirke von New York.

 

 

Ein Angriff der radikalen Linken: Ein Bericht

John M. Bell, M.A.

Journal of Orgonomy vol. 8/1, 1974
The American College of Orgonomy

 

Dieser Bericht ist ziemlich ausführlich und langatmig. Seit er im Herbst 1971 geschrieben wurde, hat die Orgonomie weitere „Kooptierungen“(28) und Angriffe von links erlebt. Ich halte es für wichtig, so viel wie möglich von der spezifischen Aktivität von Menschen, wie den im Bericht beschriebenen, zu sehen. Oft lasse ich die Handlungen für sich selbst sprechen. Es gibt viele Details, die ich aus Platzmangel weglassen mußte. Dennoch denke ich, daß das Folgende dem Leser einen hilfreichen Einblick in die Motive, Ideologien, Lebensstile und ethischen Normen der revolutionären Linken gibt. Aus diesem Grund habe ich die Details und die Chronologie beibehalten.

Ich hoffe, daß diese spezielle Episode vorbei ist. Aber ich bin mir nicht sicher, daß sie es ist, auch wenn ich mir sicher bin, daß wir in Zukunft ideologisch begründete Angriffe auf Reich und Orgonomie erleben werden. In diesem Sinne könnte uns der Bericht also dazu dienen, uns zu der großen Vorsicht zu mahnen, die wir im Umgang mit ideologisch engagierten Personen, insbesondere der radikalen Linken, walten lassen müssen. Kapitel Dreizehn von Elsworth Bakers Der Mensch in der Falle macht recht deutlich, warum.

In einer früheren Ausgabe des Journal of Orgonomy (Vol. 5, No. 1) habe ich kurz einen physischen Angriff auf die Mitglieder des Panels während der letzten Sitzung des Kurses für soziale Orgonomie an der New York University (NYU) am Abend des 21. April 1971 vermerkt. Ich erklärte auch, daß eine gerichtliche Anhörung stattgefunden habe und die Verhandlung für den Fall anstehe. Seitdem wurde ein Urteil gefällt, gegen das Berufung eingelegt wurde. Nun, da die Berufung angehört wurde, möchte ich ausführlicher über den Angriff, die Ereignisse, die ihm vorausgingen, den Prozeß selbst und anderes berichten, was die ganze Angelegenheit betrifft.

 

Hintergrund

Es ist unsere Praxis gewesen, bestimmten Leuten, die ein echtes Interesse an Reichs Werk zu zeigen scheinen, sich aber die bescheidenen Studiengebühren für die Orgonomie-Kurse an der NYU nicht leisten können, die Möglichkeit zu geben, an einigen der Kurse teilzunehmen und eine Spende an einen der anerkannten Stipendienfonds an der NYU zu leisten. Diese Regelung wurde von einigen NYU-Offiziellen vorgeschlagen, um Leuten entgegenzukommen, die sonst gar nicht in der Lage wären, die Kurse zu besuchen. Außerdem war man der Meinung, daß eine bescheidene Spende dazu beitragen würde, Neugierige zu entmutigen und nur diejenigen zum Kurs zuzulassen, die ein echtes Interesse haben. Bis jetzt hat diese Politik gut funktioniert.

Zuvorkommenderweise wurde mehreren Personen, darunter insbesondere drei, Miss A., Miss B. und Mr. C., der einmalige kostenlose Zugang zur Vorlesung am 3. März (meine eigene Vorlesung über funktionelle Erziehung) gewährt. Während der Vorlesung stellten Miss A. und Miss B. wiederholt Fragen und brachten Einwände vor, die eine sehr starke linksrevolutionäre Einstellung zeigten. Insbesondere zeigten sie wenig echtes Verständnis für Reichs Konzept der Panzerung und den damit verbundenen Problemkomplex im gesellschaftlichen Bereich. Sie schienen zu glauben, daß Reich auf eine sofortige Revolution in der politischen Sphäre drängte, die irgendwie zu einer Massenentpanzerung und vermutlich zur Rettung der Menschheit führen würde. Außerdem schienen sie in Bezug auf die menschliche Panzerung zu glauben, daß die „Hierarchie“ ihr fons et origo sei, und nicht ihr Ergebnis. Sie zeigten eine gehörige Portion Verachtung und Trotz, wenn sie solche Fragen stellten, und Ungeduld und Feindseligkeit, wenn sie auf Reichs Position zur Hilflosigkeit der Menschheit und deren Unfähigkeit hingewiesen wurden, diese Freiheit auf rationale Weise zu sichern, selbst wenn ihr die Möglichkeit wirklicher Freiheit geboten würde. Ihre Fragen waren so häufig, und es wurde ihnen so viel Zeit eingeräumt, daß mehrere der anderen Studenten ihre Mißbilligung äußerten. Die Mißbilligung war lautstark genug, um Mr. C. zu der Frage zu veranlassen, ob sie und die Klarstellungen und Gegenargumente der Professoren Mathews und Bell nicht gute Beispiele für Emotionelle Pest seien. Eine solche Frage beruhte natürlich nicht auf gutem Glauben und beschuldigte im Endeffekt die Lehrer und die Klasse eines pestilenten Verhaltens. Ich antwortete: „Nein.“ (Während des Unterrichts schien Mr. C. fast alles, was gesagt wurde, mitzuschreiben.)

Nach dieser Stunde fragten Miss A. und Miss B., ob sie weiteren dieser Klassen beiwohnen könnten. Wir wiesen sie auf die Spendenregelung hin, aber sie erklärten, daß sie überhaupt kein Geld hätten und sich nicht einmal eine Spende von 5 Dollar leisten könnten. Stattdessen wollten sie, wenn ich mich recht erinnere, durch Schreiben ihren Beitrag für „die Sache“ leisten, aber dieser Vorschlag wurde nicht angenommen. Es wurde ihnen jedoch erlaubt, anderen Treffen der Klasse beizuwohnen.

Die beiden Frauen weigerten sich, ihre Privatadressen anzugeben und nannten nur ein Postfach in Manhattan, während Mr. C. angab, er sei Psychologiestudent an der Columbia und als Adresse nannte er ein Büro im Mathematikgebäude.

Miss A. bat darum, Kassetten der früheren Vorlesungen, die sie nicht besucht hatte, auszuleihen. Sie äußerte ein so offensichtliches Interesse an den früheren Vorlesungen, daß wir ihr in einer Weise entgegenkamen, die anderen Studenten in der Klasse normalerweise nicht zuteil wird: die Bänder wurden ihr geliehen, darunter auch das Band der Vorlesung vom 3. März.

Miss A. wohnte mehreren anderen Sitzungen des Kurses bei, manchmal in Begleitung von Miss B., aber meistens allein. Und in fast jeder Vorlesung brachte sie Themen zur Sprache, die a) ihre starke linksrevolutionäre Voreingenommenheit und b) eine dünne, unsystematische, ideologisch voreingenommene Lektüre von Reichs Werk offenbarten. Dennoch setzte ihr jeder Dozent die Fragen mit Sorgfalt und Geduld auseinander, gewöhnlich so lange, bis die Möglichkeiten der Klärung erschöpft schienen. Als Miss A. die Bänder zurückgab, bat sie darum weitere auszuleihen, und als man ihr dies verweigerte, wurde sie feindselig und vorwurfsvoll und zeigte keinerlei Dankbarkeit für die ihr bereits gewährten Privilegien.

 

Der Angriff und die Verhaftung

In der letzten Sitzung, die von einem Panel, bestehend aus den Professoren Mathews und Bell und den Doktoren Koopman und Ganz, geleitet wurde, wurde die Klasse gebeten, Themen und Fragen aus der Arbeit des gesamten Semesters zur Diskussion zu stellen. Zu diesem Zeitpunkt blieb Mr. C. unerkannt. Er war vor Beginn der Klasse mit einer Kamera hereingekommen und hatte sich etwa in die dritte Reihe Mitte gesetzt. Seit dem 3. März, also sieben Wochen zuvor, war er nicht mehr in der Klasse gewesen. Das Panel fuhr fort, und gegen 21:50 Uhr, etwa zehn Minuten vor dem geplanten Ende der Stunde, betraten Miss A. und Miss B. den Klassenraum.

Das Panel, das mit der Beantwortung von Fragen beschäftigt war, schenkte ihnen keine große Aufmerksamkeit. Als ich jedoch bemerkte, daß sie im Begriff waren, eine Art Pamphlet zu verteilen, erzählte ich Professor Mathews davon, und wir einigten uns schnell darauf, dies zu verbieten. Obwohl sie deutlich aufgefordert wurden, mit dem Verteilen der Flugblätter aufzuhören, machten sie weiter. Ich folgte Miss A., sammelte die Flugblätter ein, während ich den Gang hinaufging (die meisten Studenten hatten sich geweigert, sie zu verteilen), und holte sie an der Rückseite des Klassenzimmers ein. Ich sagte ihr, daß sie den Raum sofort verlassen müsse. Sie deutete an, daß sie gehen würde, drehte sich zur hinteren Tür und schien damit einverstanden zu sein. Anstatt jedoch zu gehen, begannen sowohl sie als auch Miss B. damit, die Diskussionsteilnehmer mit faulen Eiern zu bewerfen. An diesen Eiern waren Luftschlangen befestigt, auf denen Namen von Anarchisten und radikaler Begebenheiten standen.

Insgesamt wurden etwa ein Dutzend Eier geworfen. Da diese Art von unverschämtem Angriff völlig unerwartet kam, dauerte es ein paar Sekunden, bis Mitglieder des Podiums und der Klasse reagierten, aber dann wurden Miss A. und Miss B. aus dem Raum geführt. Ich begleitete Miss A. ein kurzes Stück den Flur entlang. Sie drehte sich zu mir um, und ich sagte: „Was in Gottes Namen machen Sie da?“ Mit einem Ausdruck blanken Hasses im Gesicht warf sie ein faules Ei nach mir und traf mich an der Stirn. Dann drehte sie sich um und lief davon. Ich folgte ihr etwa bis zur Hälfte des Flurs und blieb dann stehen, als Mr. C., den ich jetzt erkannte, an mir vorbeiging und die Treppe hinunter verschwand, gefolgt von Schülern, die sagten, er hätte Fotos gemacht. Es stellte sich heraus, daß Mr. C. während der ganzen Stunde Fotos gemacht hatte, vor allem von der Tafel und vom Aufruhr selbst. Er benutzte eine Miniaturkamera und wurde vom Panel nicht registriert, aber einige der Schüler hatten es bemerkt.

Nachdem die Klasse entlassen wurde, traf ich eine Schülerin im Hauptgeschoß des Gebäudes, die mir erzählte, daß sie gesehen hatte, wie Miss A. versuchte, mit einigen (ihr offenbar fremden) Personen das Gebäude wieder zu betreten, um ihnen zu zeigen, wie gut sie „eine Klasse aufgemischt“ hatte, und daß sie sie einlud, sich ihr bei weiteren solchen Aktionen anzuschließen. Eine dieser Personen wurde gehört, wie sie sagte: „Nein, auch ich könnte verprügelt werden.“

Einige Minuten später, als Miss A. am Nordeingang des Gebäudes vorbeikam, nahm Dr. Ganz sein Jedermann-Anhalte- und -Festnahmerecht wahr. Sie versuchte wegzukommen, wurde aber festgehalten und begann den Passanten zuzurufen, daß sie verletzt sei und Hilfe brauche. Einige unserer Studenten waren inzwischen eingetroffen und verhinderten, daß eine sich sammelnde Menschenmenge ihr half wegzukommen. Obwohl keine wirkliche Gewalt ausgeübt wurde, wurde die Situation hitzig. Die Polizei wurde gerufen und traf kurz darauf ein, die Verhaftung wurde vorgenommen, und später erstattete ich eine formelle Anzeige auf dem örtlichen Revier.

 

Anklageerhebung und Verhandlung

Die Anklage lautete auf Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Belästigung, Verschwörung und ordnungswidriges Verhalten. Die Anklageschrift gegen Miss A. wurde aufgesetzt, die Anklage erhoben und ein Verhandlungstermin angesetzt. Aufgrund einer Reihe von Faktoren, einschließlich ihrer Anträge, wurde die Verhandlung selbst immer wieder verschoben, bis am 16. August ihr Antrag auf eine weitere Verschiebung vom Richter abgelehnt wurde und die Verhandlung begann.

Miss A., die als ihr eigener Anwalt auftrat, kam mit einer Liste von Fragen zum Gericht, die angeblich dreißig Seiten lang war und die sie jedem potentiellen Geschworenen stellen wollte. Dies wurde abgelehnt. Ich war nicht Zeuge dieser Vorgänge vor Gericht, aber diejenigen, die dort waren, berichteten von einem großen Gerangel um Details, Verfahren usw. seitens Miss A. als Verzögerungstaktik. Sie versuchte, so berichteten sie, ständig politische Einstellungen in ihre Befragung einzubeziehen, war oft unsachlich und sogar verächtlich gegenüber den Geschworenen. Sie versuchte ständig gesellschaftspolitische Aussagen in das Verfahren einzubringen und wiederholt mußte Richter Irving Smith sie dafür zurechtweisen. Offenbar nutzte sie die Situation als politischen Resonanzboden.

Nach der Auswahl der Geschworenen begann der Prozeß und Dr. Ganz trat als erster Zeuge auf. Seine Aussage beschrieb die Ereignisse im Klassenzimmer, wie oben berichtet. Allerdings – und das wurde zu einem Muster während des Prozesses – formulierte Miss A. in ihrem Kreuzverhör ständig Antworten von Dr. Ganz um und gab ihnen eine verzerrte Bedeutung und/oder eine verächtliche Wendung. Der Richter mußte ihre Befragung wiederholt unterbrechen und ihr sagen, sie solle sich mit den Zeugenaussagen in einer geradlinigen Weise auseinandersetzen. Dennoch versuchte sie beharrlich, politisches Material einzubringen, um den Anschein zu erwecken, daß sie eher wegen ihrer „politischen Überzeugungen“ als wegen ihrer störenden und aggressiven Handlungen angeklagt wurde. Aufgrund solcher Taktiken verzögerte sich der Prozeß so sehr, daß Dr. Koopman aufgrund beruflicher Verpflichtungen nicht aussagen konnte.

Mit jedem Zeugen war es das gleiche. In der direkten Vernehmung schilderten die Zeugen, was sie von den Ereignissen im Klassenzimmer und am Ort der Verhaftung wußten. Dann kamen im Kreuzverhör durch Miss A. Fragen auf, die die politische Überzeugung berühren (z.B. „Wissen Sie, was die amerikanische Revolution war?“), wodurch versucht wurde, den Zeugen als freiheitsfeindlich oder autoritär darzustellen und sie selbst als eine, die unter ihrem Wunsch, frei zu sein, leidet und zu Unrecht für eine legitime Handlung verfolgt wird. Ständig tadelte der Richter sie für die Mißachtung seiner Anweisungen. Doch wie ein Beobachter in seinen Notizen während der Verhandlung schreibt, ignorierte Miss A. solche Anweisungen einfach und provozierte damit weitere, wütende Kommentare des Richters.

Als Teil ihrer Bemühungen den Prozeß in die Länge zu ziehen, wollte Miss A. alle Tonbandaufnahmen, die wir von dem Kurs gemacht hatten, insgesamt etwa zwanzig Stunden, als Beweismaterial den Geschworenen vorspielen, um zu demonstrieren, in welchem Ausmaß die Orgonomen keinen Dialog (!) zuließen und in welchem Ausmaß sie ernste Probleme im Kurs ansprach. Der Antrag wurde abgelehnt, mit der Ausnahme, daß der Teil der Aufnahme des Kurses vom 21. April, auf dem die Störung zu hören war, als Beweis zugelassen wurde. Nachdem das Band dem Gericht vorgespielt worden war, sagte Miss A. laut: „Die Orgonomen sind Betrüger.“ Diese Aussage, die aus den Akten gestrichen wurde, zeigt deutlich die Verachtung hinter den meisten ihrer Aussagen und Handlungen.

Während ihres Kreuzverhörs von mir versuchte Miss A. ständig politisches Material einzubringen, trotz häufiger und wütender Kommentare des Richters. Sie verschwendete unnötig Zeit mit trivialen Faktoren etwa die Art und Weise, wie die Eier geworfen wurden, und die Wirkung der Luftschlangen auf die Kraft der Eier (sie hatte zuvor versucht, einem Zeugen auseinanderzusetzen, daß die Wirkung darin bestünde, die Eier zu verlangsamen, damit sie weich landen würden). Der Endeffekt bestand darin, die Verhandlung zu verwirren und zu verlangsamen. Einmal sagte sie statt etwas wie: „Nun, als ich angeblich das Ei auf Sie warf...“, das folgende: „Nun, als ich das Ei auf Sie warf...“. Sie korrigierte sich sofort, aber ihr Ausrutscher war natürlich ein klares Schuldeingeständnis.

Während meiner eigenen und der meisten anderen Zeugenaussagen forderte der aufgebrachte Richter sie immer wieder auf, mit ihrem Hohn und Spott über das Gericht und sein Verfahren aufzuhören. Das konnte sie natürlich nicht, da es ihr Charakter war, mit einem Lächeln Verachtung und Spott zum Ausdruck zu bringen. Miss A. machte den Eindruck eines überaus trotzigen, verächtlichen, höhnischen Menschen mit viel Energie und Intelligenz. Außerdem schien sie wirklich nicht so sehr daran interessiert zu sein, sich zu verteidigen, sondern die Situation für ihre eigenen Zwecke zu nutzen, und zwar insbesondere 1.) um an Informationen über die Orgonomie und die Orgonomen zu gelangen und 2.) um ihre gesellschaftspolitische Ideologie hinauszuposaunen. Außerdem war eine der Fragen, die sie fast jedem Zeugen der Anklage stellte, so etwas wie: „Glauben Sie, daß dieser Prozeß (oder meine Verhaftung) gerechtfertigt ist?“, was darauf hindeutet, daß sie entweder versuchte, ihr vergangenes Verhalten zu rationalisieren und/oder zukünftiges Verhalten gegen die Orgonomie und die Orgonomen wegen deren vermeintlicher „Feindseligkeit“ ihr gegenüber bzw. „Nachstellungen“ wegen ihrer „politischen Ideen“ zu rationalisieren. Vor allem hatte man den Eindruck, es mit einem grimmigen, gefühllosen, unversöhnlichen Feind der Orgonomie zu tun zu haben.

An dem Tag, an dem ich aussagte, kehrte ich nach dem Ende der Sitzung in den Gerichtssaal zurück, um dem Gerichtsdiener zu zeigen, wie man das Tonbandgerät benutzt, um den Geschworenen den Abschnitt mit der Störung vorzuspielen. In einem informellen Gespräch mit dem Richter, das ich mit anhörte, erklärte Miss A. mit Nachdruck, daß in ihren Augen eines der größten Verbrechen das Lügen sei. Sie erklärte auch, daß sie hart daran arbeite, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, wo das Lügen nicht mehr möglich sei. Auf Fragen des Richters zu ihrer Familie gab sie an, daß ihre Eltern einfach nicht verstünden, was sie zu tun habe und daß ihr Mann (mit dem sie offenbar nicht mehr zusammen sei) nicht stark genug für die Aufgaben sei, die erledigt werden müßten, oder so ähnlich. Sie hatte während dieses Austausches einen Hauch von ideologischer Abgeklärtheit und Überlegenheit.

Das Auftreten von Mr. C. zur Verteidigung von Miss A. bestätigte das konspirative Element ihrer Tätigkeit voll und ganz. Er legte einige der Fotos vor, die er während des Ausbruchs gemacht hatte, und entlarvte damit den vorsätzlichen Charakter der Tat. Darüber hinaus enthüllte Mr. C. während des Kreuzverhörs etwas von der Struktur der Gruppe hinter dem Angriff. Der Name der Organisation ist „Research in Daily Living“, und ihre Adresse war zu dieser Zeit 400 West 118th Street in New York City. Der Staatsanwalt ging der Angelegenheit weiter nach, und Mr. C. gab zu, daß das RDL gar nicht offiziell mit der Universität verbunden war, wie er in seiner Aussage zunächst angedeutet oder impliziert hatte. Vielmehr mietete das RDL unter dieser Adresse lediglich Räumlichkeiten in einem Gebäude, das der Columbia gehörte. Außerdem stellte sich heraus, daß die Adresse, die Mr. C. dem Seminarbetreuer am 3. März angegeben hatte, die eines Professors der Columbia University war, der die Staatsanwaltschaft darüber informierte, daß er Mr. C. nicht kenne und daß seine Adresse und seine Telefonnummer ohne seine Erlaubnis verwendet worden seien. Die Staatsanwaltschaft fand auch heraus, daß die Telefonnummer, die bei dem Postamt angegeben war, bei dem Miss A. und Miss B. angeblich eine Postadresse hatten, sich als die des gleichen Professors herausstellte. Mr. C. sagte auch aus, daß er nicht wisse, wo Miss B. wohne.

Im Zeugenstand wirkte Mr. C. verschlagen und undurchschaubar. Er war schwer zu fassen; sogar der Richter schaltete sich in die Befragung ein, um einige Fakten zu klären. Als sich das Bild der Täuschung abzeichnete, zeigte Mr. C. keinerlei Unbehagen darüber, daß er sich in einem Gewirr von kalkulierten Unwahrheiten und Täuschungen verfangen hatte. Die Falschbehauptung von der Zugehörigkeit zur Columbia University, die unbefugte Verwendung der Adresse und Telefonnummer einer anderen Person und die Fragwürdigkeit des Ranges und der Bedeutung seiner Organisation schienen ihn nicht im geringsten zu stören.

Die Aussage von Miss A. ergab, dass sie 1967 einen B.S. in der Ökonomie unterentwickelter Länder und Stadtplanung vom MIT erhalten hatte und daß sie damals bei RDL war, aber nur sporadisch bezahlt wurde. Als sie jedoch zu ihrer Aussage kam (indem sie sich selbst Fragen stellte), stieß sie auf das Problem, das sie während des gesamten Prozesses hatte, d.h. viele, wenn nicht die meisten ihrer Fragen wurden als irrelevant, unwesentlich usw. aus dem Protokoll gestrichen. Sie versuchte ständig, wie bei jedem anderen Zeugen auch, den gesamten gesellschaftlichen Kontext und die Ideen, die zu ihrer Handlung führten, einzubringen. Auch hier mußte der Richter sie immer wieder für ihre Äußerungen und ungeschickten Fragen zurechtweisen und versuchen, sie bei den Fakten zu halten. Sie versuchte zu erklären, daß sie zur Aktion vom 21. April „provoziert“ worden sei, und versuchte ständig, die „Gründe“ oder „Motive“ für ihr Handeln ins Protokoll zu bekommen. Zum Beispiel lautete ihre Antwort auf ihre eigene Frage, was sie am 21. April im Klassenzimmer getan habe, wie folgt: „Einen falschen Dialog unterbrechen.“ Dies wurde aus dem Protokoll gestrichen.

Zum Sachverhalt sagte Miss A., sie habe mich nicht mit einem der Eier auf die Stirn geschlagen, sondern auf den Gürtel. Da ich sehr wohl weiß, wo ich getroffen wurde, hat sie entweder einen Meineid geleistet, oder dies war Ausdruck einer krankhaften Verzerrung dessen, was sie gesehen hat.

Im Zeugenstand war ihre Darbietung nach Aussage eines Beobachters erbärmlich. Da fast jede Frage als unangebracht betrachtet wurde, kam sie kaum voran, und oft verging die Zeit in völliger Stille, während sie versuchte, sich neue Fragen auszudenken. Offensichtlich war sie festgefahren. Das Gericht ließ nicht zu, daß sie ihre rationalisierenden „Motive“ einbrachte, sondern bestand darauf, daß sie sich mit den Vorwürfen auseinandersetzt. Da ihre Motive ihrer Meinung nach völlig legitim waren (oder Teil ihrer Rationalisierung), konnte sie ohne sie sehr wenig sagen. Der Tatsachenbericht war vernichtend.

In ihrer letzten Stellungnahme erklärte Miss A., sie habe die Eier geworfen, weil sie (die Mitglieder des Gremiums) „Lügner“ seien. Dies wurde aus dem Protokoll gestrichen. Schließlich beschuldigte sie mich erneut der Lüge in meiner Aussage über den Schlag auf die Stirn. Des weiteren implizierten ihre Fragen und Kommentare, die aus dem Protokoll gestrichen wurden, daß ich in meinem Vortrag vom 3. März Erziehungsmethoden befürwortet hätte, die Kinder verletzen würden, mit dem Ziel, sie zu kontrollieren, um sie dazu zu bringen, das zu tun, was ich (als Erwachsener) von ihnen wollte, und daß ich die Anwendung von Gewalt gegen sie befürwortet hätte. Unnötig zu sagen, daß solche Kommentare abscheuliche Verzerrungen meines Vortrags über das Problem von Freiheit und Zügellosigkeit und über das rationale Urteilsvermögen sind, das ein kontaktvoller, verantwortungsvoller Elternteil oder Lehrer im Umgang mit Kindern zur Geltung bringt.

Ich habe keine Notizen zu den Plädoyers, da diese im Gerichtsprotokoll selbst stehen, aber ein Beobachter zeichnete einen Teil der ermahnenden und belehrenden Worte des Richters an die Geschworenen auf, bei denen Richter Smith darauf hinwies, daß das RDL-Pamphlet „In Defense of the Real Reich“ (als Beweis zugelassen) keineswegs meine angebliche Befürwortung der Mißhandlung von Kindern beschrieb oder kommentierte, sondern tatsächlich zum gewaltsamen Umsturz der Regierung aufrief. Der Fall ging an die Geschworenen, und in weniger als zwei Stunden befanden die Geschworenen Miss A. in allen fünf Anklagepunkten für schuldig, d.h. in den Punkten Hausfriedensbruch, Körperverletzung, Belästigung, Komplott und ordnungswidrigem Verhalten. Während der Verlesung des Urteils verlor Miss A. einen Teil ihrer Fassung und blickte die Geschworenen an.

Der Richter verschob die Urteilsverkündung auf den folgenden Freitag und begann, Miss A. im Rahmen seiner Voruntersuchung über ihren Hintergrund und ihre Aktivitäten zu befragen. Er hatte große Schwierigkeiten damit, da sie ziemlich ausweichend blieb. Schließlich legte er sie darauf fest, daß sie normalerweise mit Miss B. im RDL-Büro in der 400 West 118th Street wohnte. Daraufhin bemerkte der Staatsanwalt, daß Mr. C. gelogen hatte, als er sagte, er wisse nicht, wo Miss B. wohne, und deshalb einen Meineid geleistet habe. Miss B. wurde bis zur Urteilsverkündung auf freien Fuß gesetzt, und der Richter legte fest, daß sie in der darauffolgenden Woche bei ihren Eltern bleiben sollte. Die Verhandlung hatte von Montag, den 16. August, bis Freitag, den 20. August, gedauert. Der Staatsanwalt kommentierte, daß ein solcher Prozeß in zwei Tagen hätte abgeschlossen werden können.

Am nächsten Freitag, dem 27. August, erschien der Vater von Miss A., ein Physikprofessor, vor Gericht. Er war sehr besorgt und bat darum, sich vor der Urteilsverkündung an das Gericht wenden zu dürfen. Der Staatsanwalt hatte keine Einwände, und Professor D. wollte gerade etwas sagen, als Miss A., die zum ersten Mal mit einem Anwalt gekommen war, energisch Einspruch erhob. Daraufhin brach Professor D. schluchzend zusammen. Als Miss A. dies sah, brach sie in höhnisches Gelächter aus, das sich nach Aussage eines Beobachters gegen ihren Vater richtete.

Der Richter fragte dann nach der Empfehlung des Staatsanwalts für das Strafmaß: drei Jahre auf Bewährung und eine psychiatrische Untersuchung. Miss A. erklärte, daß sie mit ihrer Bewährung oder einer psychiatrischen Untersuchung überhaupt nicht kooperieren würde, woraufhin der Richter mit der Begründung, daß sie ihm keine Alternative lasse, sie zu zwei Monaten Gefängnis verurteilte. Sie legte gegen das Urteil Berufung ein, und die Berufung wurde schließlich im Februar 1974 verhandelt. Die Verurteilung wurde aufrechterhalten, aber das Urteil wurde modifiziert. Ich habe nicht in Erfahrung bringen können, wie das endgültige Urteil lautete.

 

Das Pamphlet

Ein Fokalpunkt dieses Angriffs und des Prozesses war das Pamphlet „Zur Verteidigung des wahren Reichs“. Dies ist ein ziemlich bedrohliches Dokument. Es ist ein vierseitiges, gefaltetes Flugblatt, das verkündet, die Wahrheit darüber zu sagen, worum es bei Reich geht und was die Orgonomen mit Reichs Arbeit anstellen. Da es so viel über die Haltung der radikalen Linken gegenüber Reich und der Orgonomie verrät, verdient es eine Beschreibung.

Es wurde zum Anlaß des Aufruhrs in der Klasse verfaßt und ist auf den 21. April 1971 datiert. Sein Umschlag zeigt ein Foto des reifen Reich und das folgende Zitat aus Die sexuelle Revolution: „Man wird sich auf einfache Menschen mit einem natürlichen Lebensgefühl verlassen müssen und nicht auf die reaktionären Profis auf dem Gebiet der Pädagogik und Psychologie.“(29)

Auf der zweiten Seite befindet sich ein Zitat aus meiner Vorlesung vom 3. März (von den Tonbändern, die Miss A. geliehen wurden), in der Professor Mathews und ich versuchten zu erklären, warum Reich nicht für eine sofortige Revolution der Massen eintrete. Dieser Austausch entstand aus einer Frage über freiere Kinder und weist auf die Naivität der Vorstellung von Miss A. und Miss B. hin, daß man allein durch den Umsturz der Hierarchie die Menschen sofort massenhaft entpanzern kann. Solche offensichtlichen Verzerrungen und Fehlinterpretationen von Reich sind natürlich Eckpfeiler des aktuellen Versuchs der Linken, Reich als ihr exklusives Eigentum zu „vereinnahmen“.

Auf Seite Zwei findet sich auch ein langer, verworrener Kommentar zum Ausschnitt aus dem Vortrag vom 3. März, in dem generell argumentiert wird, daß Reichs Denken vor den „Abhitzeverwertern“ (den Orgonomen) gerettet werden muß, die die Welt nur verbessern oder „reformieren“ wollen, anstatt sie in einer Revolution umzustürzen. Er argumentiert, daß „der Schock der Freiheit“ Wunder wirkt.

Nichts kann diesem widerstehen, weder die Krankheit des Geistes, noch Gewissensbisse, keine Schuldgefühle, noch das Gefühl der Ohnmacht, noch die Verrohung, die das Umfeld der Macht erzeugt. Reich empfehle Explosionen der Wut für Fälle von Neurotikern, die emotional blockiert und muskulär hyperton sind.

Die Figuren gehören zur typische Pop-Art-Gattung, außer daß sie im Stil von Comic-Helden dargestellt sind. Eine Frau trägt einen Umhang, eine andere hat einen Blitz quer über ihrem Hemd, und ein Mann wird mit stark bemuskeltem nacktem Oberkörper und einer Augenklappe gezeigt. Auch hier haben wir Hinweise auf infantile Projektionen und, wie ich meine, Streben nach unbegrenzter Macht, wie man es bei Comic-Helden findet, was alles ganz offensichtlich faschistischen Charakter hat.

Unten auf Seite Drei findet sich eine ziemlich lange Erklärung, in der behauptet wird, daß die ganze Welt während der Studentenunruhen in Paris, Mai 1968 dem totalen Umsturz nahe kam. Sie ist ziemlich verworren und besagt, daß der totale Umsturz nur eine Stunde entfernt war und daß wir seither wegen der Verschwörung des Schweigens wenig von dem Versuch gehört haben, was angeblich beweist, wie ernst das ganze war. Die vierte Seite des Pamphlets trägt die Überschrift „Die Minimaldefinition der revolutionären Organisation“, eine Erklärung über Aufgabe und Zweck und eine Begriffsbestimmung. Es ist äsopische [amüsant tuende] Sprache vom Feinsten und ruft zur totalen Revolution auf, zur Ergreifung der gesamten Macht, überall. Sie verkündet auch, daß es nirgendwo eine Hierarchie geben darf, nicht einmal in der revolutionären Organisation selbst, und in der Tat ist es einer der Zwecke der Organisation, die „Auflösung ihrer selbst als einer separaten Organisation“ anzustreben. Das heißt, sie soll vermutlich völlig mit dem Prozeß der Revolution identifiziert werden. Aber die Sache ist nicht eindeutig. Das Material wurde der Internationale Situationiste entlehnt, die offenbar ein Organ einer französischen revolutionären Gruppe ist. Bei meinen Nachforschungen über die Internationale Situationiste aus eher „traditionellen“ linken Quellen konnte ich nur herausfinden, daß sie von einer extrem radikalen, „impulsivistischen“ Intellektuellengruppe französischer Marxisten-Anarchisten herausgegeben zu werden scheint. Meine Quelle informierte mich, daß die erfolgreichste Rekrutierung in Frankreich und dort unter extrem intelligenten, großbürgerlichen Universitätsstudenten stattfand. Mein Informant sagte, daß es ziemlich schwierig war, Informationen über diese Organisation zu bekommen, und daß die RDL-Gruppe die erste war, von der man in diesem Land hörte.(30)

Dieses Pamphlet offenbart einen hochkomplexen Gedankengang. Es zeigt die völlige Dominanz der Ideologie über die Realität: die beklagenswert vereinfachende Lesart des Menschen und des menschlichen Organismus auf der einen Seite und das überintellektualisierte Wiederkäuen der Ideologen auf der anderen Seite. Wir sehen hier sowohl die klassische Abspaltung des Intellekts vom biophysischen Funktionieren als auch die damit einhergehende Verachtung für dieses Funktionieren. Darüber hinaus wurde dieses Pamphlet von Miss A. und ihren Kohorten nach ihren Erfahrungen in mehreren der Klassen vorbereitet, in denen sie medizinische Diskussionen über die tiefen Probleme hörte, die mit der individuellen Therapie, der Massenneurose und pestilentem Verhalten verbunden sind. Doch sie war so sehr in ihrer speziellen Art von Ideologie verstrickt, daß sie nicht in der Lage war, die Tiefen der Probleme zu sehen, mit denen die Menschheit konfrontiert ist, oder zu verstehen, wie lange es dauern wird, die Menschheit wieder in Kontakt mit emotionaler Stärke und Anstand zu bringen.

Dieses Pamphlet ist ein Klassiker der Projektion. Man kann darin (S. 1) einen Versuch sehen, den Arbeitern den revolutionären Eifer Marke RDL aufzuzwingen – „Die proletarische Revolution ... erfordert, daß die Arbeiter Dialektiker werden und ihr Denken in die Praxis umsetzen“ – womit die Arbeiter mit Verachtung behandelt werden. Als ob die Lösung des menschlichen strukturellen Elends nur eine Frage der Dialektik wäre! Dieses Pamphlet ist in Wirklichkeit eine Wiederholung des Diktats des Moskauer Kommissars an Reich, was die richtige Haltung gegenüber dem menschlichen Elend ist und was Reichs revolutionäre Theorie sein sollte. Wir haben das alles schon einmal gesehen.

Außerdem hat man bei all dem Gerede über die „Abschaffung aller und unabhängiger Spezialisierungen“ das Gefühl, daß hier Neid eine Rolle spielt – der Neid derjenigen, die entweder nicht in der Lage oder nicht willens sind, eine sinnvolle Arbeit zu finden und zu verrichten, gegenüber denen, die eine solche Arbeit tun und genießen. Man fühlt sich an Reichs Beobachtung erinnert, daß ein Kommunist nicht so sehr einer ist, der den Arbeiter liebt, sondern einer, der den Kapitalisten haßt. Auch sieht man in diesem Pamphlet einen Drang, ja eine Gier nach „absoluter Macht der Arbeiterräte“ – Macht über die Arbeiter selbst und über diejenigen, die produzieren. Das bedeutet, daß, in typisch ideologischer Manier, keine Moral, kein Anstand und keine Ehrlichkeit irgendeine Handlung zurückhalten muß. Es impliziert, was Lenin erklärte: daß eine Handlung, wenn sie die Revolution fördert, moralisch ist, egal was. Es ist ein furchtbares, armseliges, erbärmliches Dokument.

 

RDL als Organisation

Spätere Ereignisse haben ein viel umfassenderes Bild dieser Gruppe ergeben. In der September-Ausgabe 1971 des Scientific American (S. 245) warb die RDL mit einer ganzseitigen Anzeige (im gleichen, aber modifizierten Pop-Art-Stil) für ihre Zeitschrift, das R.D.L. Journal. In dieser Anzeige gibt es die unmißverständliche Andeutung, daß RDL eine offizielle Verbindung zur Columbia University hat: „Diese Anzeige wird von Research in Daily Life, einer gemeinnützigen Gesellschaft an der Columbia University in der Stadt New York, geschaltet.“ Außerdem gibt die Anzeige als Adresse von RDL die gleiche an, die Miss A. und Miss B. bei ihrem ersten Auftritt in der Klasse am 3. März angegeben haben. Ein Vertreter des Scientific American sagte, daß eine solche Anzeige normalerweise 5200 Dollar kostet, daß es aber einen reduzierten Tarif für wissenschaftliche Zeitschriften gibt. Er wisse nicht, ob RDL sich für den niedrigeren Tarif qualifiziert habe, denke aber, daß dies der Fall sein könnte. Ihm war weder die RDL-Aktion an der NYU bekannt noch die Tatsache, daß es keine offizielle Verbindung zwischen der Columbia University und RDL gibt.

Ein Vertreter von Columbia gab an, RDL sei Anfang September 1971 wegen Nichtzahlung der Miete aus ihrem Büro vertrieben worden. Offenbar war eine Art Gerichtsverfahren notwendig, bevor RDL die Räumlichkeiten endgültig räumte. Derselbe Beamte gab an, daß RDL die Quelle für eine Menge anderer Probleme an der Columbia gewesen sei. Ein Mitarbeiter der psychologischen Fakultät der Columbia sagte, daß es nie eine offizielle Verbindung zwischen RDL und der Columbia University gegeben habe und sie auch jetzt nicht bestehe. Als sie auf die Anzeige im Scientific American hingewiesen wurden, sagte diese Person, daß es solche Anzeigen auch in anderen Zeitschriften wie dem Atlantic gegeben habe. Außerdem erfuhren wir, daß diese Gruppe mit ihren Telefonrechnungen im Rückstand war, daß sie unerlaubte Finanzgeschäfte (Rechnungen anhäufen) unter Umgehung der üblichen Prozeduren getätigt hatte, und es wurde erklärt, daß Mr. C. dort gar kein Doktorand mehr sei, da er an der Columbia eine Menge Ärger verursacht hatte. Außerdem habe er seine vorläufige mündliche Doktorprüfung nicht bestanden (an der Columbia hat man, im Gegensatz zu den meisten anderen Graduiertenschulen, nur eine Chance bei den Zertifizierungsprüfungen; ein Versagen bedeutet das Verlassen der Universität), und er habe daher keine Verbindung mehr zur Columbia. Schließlich sagte diese Person, es gäbe eine ganze Akte über Mr. C., RDL und dessen Machenschaften. Man bekam den Eindruck, daß diese Gruppe der Columbia unendlich viele Schwierigkeiten bereitet hatte und daß die Columbia-Leute froh waren, sie loszusein.

Obwohl sie von der Columbia University nach ihrem dortigen geschmacklosen Auftreten vertrieben wurden, setzte die Gruppe ihre Aktivitäten gegen den Kurs an der NYU fort. Am Abend der ersten Vorlesung des Herbstsemesters 1971 bemerkte Professor Mathews ein frisch aufgehängtes Exemplar des Pamphlets „In Defense of the Real Reich“ an der Wand vor dem Klassenzimmer, und mehrere Exemplare wurden gefunden, die an den Wänden im Hauptgeschoß des Gebäudes geklebt waren. Es ist klar, daß RDL das Gefühl hatte, mehr Arbeit leisten, mehr „Dialog“ führen zu müssen. Wie weit das gehen wird, kann man nicht sagen.

Es gibt natürlich einige unbeantwortete Fragen. Woher bekommt RDL Geld? Stammt es aus Arbeit? Von Stiftungsunterstützung? Wer hat die Anzeigen in den Zeitschriften bezahlt? Sind sie bezahlt oder wurden sie Columbia in Rechnung gestellt? Ist RDL eine kommunistische Frontorganisation, die auf die Orgonomie abzielt? Oder wird es von ein oder zwei nachsichtigen Eltern finanziert?

Das Bild, das sich ergibt, ist schmutzig, bedrohlich und häßlich. Einerseits verkündet Miss A., daß das größte Vergehen das Lügen sei. Doch ihre eigene Aussage ist voll von Verzerrungen. Die gesamte Gruppe log in ihrer Aussage über ihr Interesse an Reichs Werk – sie kamen, um zu verletzen, nicht um zu lernen, und sie würden Reichs Werk kastrieren, damit es zu ihrer Ideologie paßt. Sie benutzten fälschlicherweise den Namen einer großen Universität, um ihre Pläne voranzutreiben. Ihr Gehabe ist fast lächerlich, und doch wäre es ein Fehler, sie auf die leichte Schulter zu nehmen. Man spürt in ihnen eine totale Hingabe, die vor nichts zurückschreckt. In diesen Leuten erkennt man die tiefsten Feinde Reichs und der Orgonomie. Der linke und rechte Ideologe schreckt vor der plasmatischen Pulsation zurück und geht in pestilenter Manier daran, sie in anderen zu zerstören, weil sie in ihm selbst zerstört ist. Die Orgonomie ist aufgrund ihrer tiefen Einblicke in die Funktionsweise der Pest ironischerweise der mächtigste intellektuelle Gegner, dem die Pest gegenübersteht. Daher das unerbittliche Streben der Pest, sie zu zerstören.

Bei diesem Fall sehen wir im Kleinen den Versuch der Linken, Reich als einen der ihren zu vereinnahmen. Der Versuch kann verschiedene Formen annehmen, aber er läßt sich auf zwei Grundelemente reduzieren, die eng miteinander verbunden sind. Das erste besteht darin, Reich intellektuell zu vereinnahmen, indem man ihn einen „Revolutionär“ nennt und seinen Namen bei irrationalen, revolutionären Aufwallungen beschwört. Man kann dies an der jüngsten Flut von Artikeln und Büchern der Linken sehen. Das zweite ist, Reich als einen gefährlichen, prinzipienlosen Hausierer von Pornographie, dem Freibrief für alles und jedes und die Revolution erscheinen zu lassen, damit anständige Menschen ihn meiden. RDL geht noch einen Schritt weiter in ihrem Versuch, diejenigen zum Schweigen zu bringen, die wissen und sich damit auseinandersetzen, worum es Reich wirklich ging, nämlich um eine Revolution der menschlichen [Charakter-] Strukturen, der biophysischen Gesundheit. Die Linken hassen Reich durchweg. Und doch fühlen sie sich von ihm angezogen. Irgendwie scheinen sie zu wissen, daß er recht hat. So wie bei Motten und Kerzenlicht – die Flamme, das Feuer und die Intensität von Reichs Arbeit und des Lebens ziehen sie an, aber sie wissen, daß das, wovon der wirkliche Reich spricht, sie zerschmettern würde, folglich löschen sie lieber die Flamme und leben nur ein Schattenleben.

Reich wußte dies, und wir dürfen es nie vergessen.

 

Nachwort

Ich hätte diesen Bericht nicht vorbereiten können ohne die Hilfe von Freunden, die hier ungenannt bleiben sollen. Einer von ihnen nahm unverdrossen an vier der langwierigen Prozeßtage teil und machte sorgfältig Notizen, besonders von dem Material, das aus dem Protokoll gestrichen wurde. Diese Notizen waren von unschätzbarem Wert, da sie uns halfen, die Taktik, die Einstellung, die Motive und die Hingabe einiger derjenigen, die sich so destruktiv gegen die Orgonomie und alles, wofür sie steht, richten, klarer zu erkennen.

Ich habe mich ziemlich lange mit diesem Fall beschäftigt, da seine Details so deutlich die Mechanismen der Zerstörung und die tiefgreifenden Aufgaben, vor denen wir stehen, illustrieren. Die Freundlichkeit, die Kooperation, die Hilfe und das Wissen, die den RDL-Leuten entgegengebracht wurden, waren wie nichts für sie. Sie haßten den Anstand und revanchierten sich mit Übergriffen, Verachtung und Haß. Es ist eine harte Lektion, aber eine wertvolle.

 


Anmerkungen des Übersetzers

(28) Aufnahme von neuen Mitgliedern durch die bisherigen Mitglieder: die Linke versucht die Orgonomie einzubinden.

(29) Das ist eine deutsche Rückübersetzung der amerikanischen Übersetzung von Theodore Wolfe (unter ausdrücklicher Anleitung Reichs!) aus dem Jahre 1945. Im deutschen Original heißt es: „Es wird uns lehren, daß wir, wenn sich neuerdings eine revolutionäre Gelegenheit dazu ergibt, uns an die Bergarbeiterverbände wenden müssen und nicht an die reaktionär ausgebildeten Psychologen halten dürfen“ (Die sexuelle Revolution, Frankfurt: Fischer Taschenbuchverlag, 1971, S. 250). Einerseits entspricht der ursprüngliche Text natürlich mehr der Intention des besagten Pamphlets, andererseits zeigt es aber auch, wie sich Reich in Amerika von seinen sozialistischen Ansichten bis zur Unkenntlichkeit distanzierte. Das geht soweit, daß man die Orgonomie nur über die Übersetzungen Wolfes richtig verstehen kann und nicht etwa über das deutsche vermeintliche „Original“. Um so bedauerlicher (geradezu verbrecherisch) sind die amerikanischen Neuübersetzungen auf der Grundlage eben dieser Manuskripte!

(30) Um eine ungefähre Ahnung zu bekommen: In Deutschland war der antisemitische Linksterrorist Dieter Kunzelmann wohl der bekannteste Vertreter der Situationistischen Internationale. Die Sex Pistols und damit die ganze Punkbewegung wurden über Malcom McLaren von situationistischen Ideen geprägt. Kurz gesagt sollte durch Provokation die gesellschaftliche Stimmung verändert und so die ideologische Verblendung im Kapitalismus durchbrochen werden.

 

 

zuletzt geändert
20.06.25

 

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