SOZIALE ORGONOMIE
Paul Mathews (1924-1986)

 

Ideologie und das Nichtglaubenwollen(*)

Paul Mathews, M.A.

The Journal of Orgonomy vol. 21/1, 1987
The American College of Orgonomy
übersetzt von Robert Hase

 

Das alte Sprichwort „Verwirre mich nicht mit den Tatsachen“ hat eine viel tiefere funktionelle Bedeutung als allgemein verstanden wird. Die Geschichte dieses Planeten ist reich an Beispielen für die tragischen Folgen des Nichtglaubenwollens, das in der Abwehrfunktion des menschlichen Charakters verwurzelt ist. Reiche sind gefallen und unzählige Menschenleben sind geopfert worden. Große Männer wurden verfolgt, auf dem Scheiterhaufen verbrannt und auf andere Weise zerstört, um das charakterliche Gleichgewicht zu halten. Wir müssen uns nur an die Inquisition, Salem, Hitler und den Holocaust sowie an die gegenwärtigen Holocausts der kommunistischen Welt und des islamischen Fundamentalismus erinnern, um zu erkennen, wie mächtig das Bedürfnis ist, die Sehnsucht nach dem Leben und die Suche nach der Wahrheit zu zerschlagen.

Reich nannte dieses Bedürfnis Emotionelle Pest und beschrieb es als „strukturellen Zwang“. So wie die individuelle und organisierte Emotionelle Pest das Bedürfnis hatte, die von ihr verfolgten und zerstörten Wirklichkeiten zu verleugnen, so kehrten sich die Menschenmassen selbst ab und weigerten sich, die Natur des Bösen zu sehen, mit dem sie konfrontiert wurde. Darüber hinaus beschwichtigten sie häufig die Pest und identifizierten sich insgeheim mit ihr – oft wendeten sie sich eher gegen das Opfer als gegen den Täter. Um Reich zu zitieren: „Und der Träger der Pest wird von den Prinzipien eines falsch interpretierten Liberalismus unterstützt, dessen Vertreter eine unbewußte Sympathie mit der Pest oder Angst vor ihr haben“ (1, S. 330). Hier hätten wir im zwanzigsten Jahrhundert unsere monumentalen Beispiele Hitler und die Nazis, gegenwärtig die Kommunisten, ganz zu schweigen von den vielen untergeordneten terroristischen Gruppen und Nationen, die von der rot-faschistischen organisierten Emotionellen Pest unterstützt werden. Mit anderen Worten, die lebensnegativen Kräfte, von denen die Emotionelle Pest die Apotheose ist, neigen dazu, sich wechselseitig zu steigern in ihrer Abwehr gegen das, was sie nicht tolerieren können – selbst wenn das ihren eigenen Interessen zuwiderläuft.

Gibt es mehr Beispiele für die strukturellen Zwänge der Emotionellen Pest?

  1. Das unnatürliche Einschränken von Säuglingen und Kindern.
  2. Zerstörung gesunder jugendlicher Liebe und Sexualität durch Mystik, Unterdrückung, Angst, Pornographie, Drogen oder Zügellosigkeit.
  3. Mechanistische, strafende oder disziplinlose Bildungssysteme oder -verfahren.
  4. Rassismus oder Gegen-Rassismus.
  5. Mißbrauch des gesunden Konzepts einer freien Wirtschaft zu Macht- und Ausbeutungszwecken („Raubtierkapitalismus“).
  6. Mißbrauch der Konzepte des natürlichen Mitgefühls und liebender Gesellschaftlichkeit für die Auferlegung totalitärer Macht und Kontrolle (Kommunismus) oder für die Einschränkung natürlicher Aggression, Konkurrenz und kreativer Produktivität (Sozialismus).
  7. Organisierte Kriminalität.
  8. Organisierte Anti-Kreativität (etwa Bürokratie).
  9. Eintreten für und das Unterstützen der pestilenten Weltfeinde gegen die gesündere oder lediglich neurotische Welt (Amerika und der Westen sind immer im Unrecht).
  10. Umweltzerstörung.
Was ist der Sinn all dessen und was müssen wir verstehen, wenn wir jemals den letztendlich tödlichen Auswirkungen dieses „Nichtglaubenwollens“ entgegentreten wollen? Lassen Sie uns zunächst überprüfen, was unter Charakter und Charakterabwehr zu verstehen ist, damit wir ihre Rolle und ihre Wirkung auf das soziale Funktionieren besser einschätzen können.

Freud beschrieb spezifische Verhaltensweisen, die aus der Libidostauung resultierten und nannte sie „neurotische Charakterzüge“. Diese waren auf zwei Faktoren zurückzuführen: entweder auf die Entwicklung im Kindesalter und den Ausbruch des ödipalen Konflikts, den er als Psychoneurose bezeichnete; oder aber auf die Umstände, eine vorübergehende Periode sexueller Abstinenz, die zu einer Libidostauung führte, die er als Aktualneurose bezeichnete. Aus ersterem entwickelten sich durch Fixierungen und Sublimierungen die Charakterzüge der verschiedenen Entwicklungsstufen (oral, anal, phallisch und genital), aus letzterem entwickelte sich eine spezifische psychische und somatische Symptomatik, wie Angst, Neurasthenie, etc. (2). Diese waren, nach Freud, auf chemische Substanzen zurückzuführen, die sich infolge der nicht entladenen sexuellen Spannung im Blut ablagerten.

Reichs Entdeckung und Entwicklung der Charakteranalyse als Mittel zum Abbau der Widerstände gegen die Analyse (3) und seine Aufklärung der Funktion des Orgasmus als Regulierung der sexuellen Lebensenergie klärten die Verwirrungen und Widersprüche in Freuds ursprünglichen Konzepten. Zunächst zeigte Reich, daß die sogenannten neurotischen Charaktereigenschaften nur kleine Gipfel auf der Gebirgskette der Charakterstruktur waren, die sich zusammenschlossen zu einem Abwehrgeflecht gegen den Schrecken des Zusammenbruchs und des Unheils beim Einzelorganismus. Zweitens zeigte er, daß nur durch eine vollständige orgastische Entladung das energetische Gleichgewicht eines Organismus aufrechterhalten werden kann, wodurch das Individuum von neurotischen und anderen biopathischen Manifestationen befreit wird. Letzteres implizierte natürlich eine im Wesentlichen ungepanzerte Struktur, entweder von Kindheit an und durch die Entwicklung oder durch therapeutische Umstrukturierung. Der menschliche Charakter verkörperte daher die Art und Weise, wie sich ein Mensch in jeder Art seines Ausdrucks auf die Außenwelt bezog, persönlich und sozial, um sich gegen die Katastrophe eines Zusammenbruchs seiner Panzerung zu verteidigen. Reich benutzte die Begriffe „Katastrophe“ und „Unheil“ absichtlich und häufig, um die Größe der Bedeutung dieser Abwehrarten hervorzuheben. Entsprechend dieser Beschreibung stellte Reich fest: „Die soziale Existenz des Menschentieres ist nur ein kleiner Gipfel auf dem gigantischen Berg seiner biologischen Existenz“ (4).

Reichs gesellschaftliche Erkenntnisse standen im Einklang mit seinen medizinischen und wissenschaftlichen Entdeckungen. Als Psychoanalytiker sah er die sozialen Verhältnisse als Ätiologie der sexuellen Unterdrückung, die zu Neurosen führte, und er wurde zu einer ökonomisch-marxistischen Orientierung hingezogen. Mit seiner Entdeckung der Charakterpanzerung und ihrer funktionellen Identität mit der biologischen Panzerung behielt er noch immer eine marxistische Position bei, wobei er das Profitstreben, z.B. die Heiratsgabe in der primitiven Gesellschaft, als Verursacher für die sexuelle Unterdrückung und Panzerung vorschlug (5). Mit weiteren Entdeckungen, des Orgons und des Phänomens der kosmischen Überlagerung als Prototyp der gesamten Schöpfung in der Natur, erweiterte sich Reichs Vision jedoch. Neben diese wissenschaftlichen Entdeckungen trat seine große Desillusionierung über den Kommunismus und den Sozialismus, seine Einsicht nicht nur in deren faschistische Brutalität und totalitäre Struktur, sondern auch in deren völliger Unzulänglichkeit und in ihr Versagen als Modell für eine bessere Gesellschaft, sei es wirtschaftlich oder anderweitig. Daher sein Verzicht auf Marxismus, Kommunismus und Sozialismus und die Revision seiner Bücher zugunsten des orgonomischen Funktionalismus. Und an A.S. Neill schrieb er:

Die Zukunft wird die Vergangenheit hinwegfegen. Nichts wird mehr übrigbleiben von den alten Konzepten. Kein Sozialismus, kein Kommunismus, kein Liberalismus, nichts, einfach etwas ganz anderes, das ist alles. Und jedes Neugeborene bringt es mit sich. Was Du jetzt durchmachst, ist der Zusammenbruch alter Illusionen über den Menschen, den Kleinen Mann, der jetzt nach oben drängt. Ich habe diesen Prozeß seit Jahren mit Entsetzen verfolgt und versucht, mir einige Illusionen zu erhalten – vergeblich. Vor unseren Augen ereignet sich die größte Revolution der Menschheit. (6, S. 443)
Nun begann Reich die Unzulänglichkeit des ökonomischen Standpunktes bezüglich des Ursprungs der menschlichen Panzerung zu sehen und konnte sagen:

Daß der Panzerungsprozeß heute über die Gesellschaft und die Kultur reproduziert wird, heißt jedoch nicht unbedingt, daß er bei seiner Entstehung in den frühen Tagen der Menschheitsgeschichte ebenfalls durch sozioökonomische Einflüsse in Gang gebracht wurde. Es scheint eher umgekehrt gewesen zu sein. Der Panzerungsprozeß fand höchstwahrscheinlich zuerst statt, und die sozioökonomischen Bedingungen, die heute und seit Anbeginn der überlieferten Geschichte den gepanzerten Menschen reproduzieren, waren nur die ersten wesentlichen Folgen seiner biologischen Verirrung. Die Tatsache, daß die Panzerung des Menschentieres zu dessen mystischer und mechanistischer Lebensauffassung geführt hat, ist so offenkundig und so gründlich erforscht, daß sie nicht länger übersehen oder außer acht gelassen werden kann. (7, S. 136f)
Auf der Grundlage dieser Beobachtungen postulierte Reich, daß Neurose und Sozioökonomie von einem gemeinsamen Funktionsprinzip abgeleitet sind, analog zu dem Darwinistischen Konzept, daß Mensch und Affe von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen. Die sozialen Systeme des Menschen wurden entsprechend den zunehmenden biopathischen Bedürfnissen und dem abnehmenden Toleranzniveau in gepanzerten Organismen strukturiert. Der Faschismus ist also ein Ausdruck der gepanzerten Struktur. Daraus läßt sich folgern, daß, wenn der gepanzerte Charakter des Menschen unter einem „strukturellen Zwang“ steht, wie Reich es nannte, um solche monströsen zerstörerischen – mechanistischen und mystischen – Gesellschaftssysteme zu schaffen, die seit Jahrtausenden Chaos anrichten, dann müssen tatsächlich kosmisch mächtige Kräfte am Werk sein. Die Lebenskraft des Menschen und aller Lebewesen ist aus dem gleichen Stoff gemacht wie die motorische Kraft des Universums. Es ist die gleiche Energie, die die Planeten und Galaxien erzeugt und bewegt, die die Sonnen entzündet und in einem kolossalen und unvorstellbaren Ausmaß hervorbricht. Ich stelle diese Tatsachen nicht nur fest, um poetisch zu werden, sondern um das hervorzuheben, was so leicht vergessen wird, wenn wir von den unbewußten Triebkräften sprechen, die im menschlichen Charakter am Werk sind. Der Schrecken des Lebens in gepanzerten Organismen hat seine Wurzeln in der ungeheuren Kraft des Universums und nur so läßt sich die Hartnäckigkeit der Charakterabwehr erklären. Wenn man dies versteht, wird die Rolle der Ideologie klarer.

Ideologie ist aus orgonomischer Sicht eine organisierte intellektuelle Abwehr: Reich sprach vom kommunistischen Roten Faschismus als die „politisch und militärisch gerüstete ORGANISIERTE EMOTIONELLE PEST“ (8, S. 213). Ebenso können wir auch von der Verwendung des Intellekts eines Individuums als Abwehr sprechen und betrachten Ideologie als Zusammenschluß individueller intellektueller Arten von Abwehr zu einem organisierten System, sei es mechanistisch, wie im Marxismus-Leninismus, oder mystisch, wie in den verschiedenen Religionen und Kulten. Obwohl die extremistischen Ideologien der Linken und Rechten mehr als das sind, da sie in ihren totalitären Systemen Manifestationen der organisierten Emotionellen Pest sind, nutzen sie das Bedürfnis in den Menschenmassen nach Ideologie für die Zwecke der Emotionellen Pest aus. Aus Reichs funktioneller Sicht ist es auch wichtig zu verstehen, daß, da alle Formen der Abwehr eine gemeinsame Quelle haben – dem Schrecken vor dem Leben und vor dem freien Strömen der Energie im Körper –, scheinbar gegensätzliche Ideologien miteinander in Wechselwirkung treten können. Was immer an der Oberfläche dominant erscheint, kann eine zugrundeliegende Antithese haben, z.B. im Mechanismus existiert ein zugrundeliegender Mystizismus und umgekehrt. Unsere funktionellen Werkzeuge ermöglichen es uns, analoge Zusammenhänge in der Medizin zu erhellen. Bei Krebs beispielsweise überwiegt die Sympathikotonie, während bestimmte zugrundeliegende parasympathische Prozesse dem entgegenwirken. Umgekehrt ist Asthma an der Oberfläche eine Manifestation der Parasympathikotonie, während die zugrundeliegende Erkrankung eine sympathische Kontraktion ist. In beiden Fällen handelt es sich um eine Intoleranz für natürliche Pulsation, die auf eine chronische Stauung zurückzuführen ist. Im Bereich der Ideologien, unabhängig von den Ätiologien und Methodologien, können in ähnlicher Weise Vermischungen auftreten, insbesondere an den Extremen der Linken und der Rechten, wo die Konvergenz am sichtbarsten und am feststellbarsten ist. Der Nazi-Sowjet-Pakt des Zweiten Weltkriegs war kein bloßer Zufall oder Zweckmäßigkeit, wie manche Apologeten gerne glauben. Er stellte eine grundlegende Verschwörung gegen die Freiheit durch antithetische soziale Organisationen mit einem gemeinsamen grundlegenden Feind dar (abermals Intoleranz gegenüber der natürlichen Pulsation). Hitlers Angriff auf die Sowjetunion, seine Rivalin um emotionell pestartige Macht und Dominanz, kam zu einer Zeit, als er glaubte, er könne die Alliierten besiegen und gleichzeitig die Sowjets liquidieren. Er verrechnete sich. Sogar ein emotioneller Pestcharakter kann dies tun. Die Volksfronten, die sich gegen einen ideologischen Feind ausbreiten, sind wohlbekannt. Die konkurrierenden soziopolitischen Philosophien auf beiden Seiten des politischen Spektrums werden sich in Solidarität gegen den grundlegenden Feind vereinen – die größere Bedrohung (in der Regel jene Kräfte, die wirtschaftliche und politische Freiheit als eine Identität und die kommunistische Welt als einen lebensbedrohlichen Feind betrachten). So haben wir sogenannte Liberale und „demokratische Sozialisten“, die an der Seite von Trotzkisten, Stalinisten, Maoisten marschieren und „Neue Linke“, die gegen ein Vorgehen der Freien Welt gegen einige Linksextremisten protestieren, und Konservative, die sich mit Fundamentalisten, Reaktionären und Rechtsextremisten zusammenschließen, um eine gemeinsame ideologische Prämisse oder Regierung der Rechten zu verteidigen. Ehemalige Nazis sind dafür bekannt, daß sie sich leicht an die Kader und Methoden des kommunistischen Blocks anpaßten und es ist keineswegs sicher, daß die zum harten Kern gehörende kommunistische Elite sich nicht an die Nazis angepaßt hätte, wenn das historischen Schicksal es so entschieden hätte.(1)(2)

Selbst ein so bewunderter Verfechter des Friedens, der Gerechtigkeit und des Humanismus wie Albert Einstein erwies sich als fähig, einige der schrecklichsten Missetaten der Linken zu rationalisieren und die Nation anzugreifen, die ihn vor der Verfolgung bewahrte und ihn bis zur Vergötterung ehrte. In einem erstaunlichen Briefwechsel über einen Zeitraum von mehr als 17 Jahren zwischen Einstein und Professor Sidney Hook von der New Yorker Universität beispielsweise zeigte Einstein ein hohes Maß an Sympathie für die Sowjetunion und ihre vorgeblichen Ideale (10).(3) In einem Brief an Max Born, der 1938 geschrieben und lange nach dessen Tod in einem Band von Borns Korrespondenz mit Einstein veröffentlicht wurde, erklärte Einstein, er sei von denjenigen „überzeugt worden, die Rußland am besten kennen“, daß die Moskauer Prozesse authentisch und nicht inszeniert seien. Hook fragte sich, ob sich Einstein auf Otto Nathan bezogen habe, einen engen Freund von Einstein und einer der Treuhänder seines Nachlasses. Hook stellt fest, daß Dr. Otto Nathan „an der NYU als fanatischer Anti-Antikommunist bekannt war“, der die Moskauer Prozesse ernst genommen habe, und er fragt sich, ob er „maßgeblich dazu beigetragen habe, Einsteins Meinung zu ändern“. In einer Reihe von Briefen drückt Einstein seine Bewunderung für die sowjetischen Errungenschaften aus und entweder rationalisiert er oder redet zweideutig über deren offensichtliche Übel. Über Amerika hat er wenig Gutes zu sagen und in einem Brief vom 3. April 1948 schreibt Einstein an Sidney Hook:

Meiner Meinung nach sind Ihre Ansichten alles andere als objektiv. Wenn Sie sich fragen, wer seit Kriegsende seinen Gegner durch direkte Aktionen in höherem Maße bedroht hat – die Russen die Amerikaner oder die Amerikaner die Russen? Die Antwort ist meiner Meinung nach nicht zweifelhaft (…) Ich bin nicht blind für die gravierenden Schwächen des russischen Regierungssystems (…) aber es hat auf der anderen Seite große Verdienste und es ist schwierig zu entscheiden, ob es den Russen möglich gewesen wäre, mit milderen Methoden zu überleben.
Reich vermutete, daß es ein weiterer Mitarbeiter Einsteins war, Leopold Infeld, ein polnischer Kommunist, der Einstein gegen ihn eingenommen hatte (11). Auch Otto Nathans „fanatischer Anti-Antikommunismus“ ist sicherlich verdächtig. Man kann jedoch sehen, daß Einsteins eigene ideologische Tendenzen linke Unterwanderung bei ihm leichtmachten.

Heute, fast 70 Jahre seit der russischen Revolution und 31 Jahre seit Einsteins Tod, bleibt die kommunistische rotfaschistische Bedrohung die stärkste soziopolitische Emotionelle Pest-Bedrohung für die Freie Welt. Was sie besonders auszeichnet, sind nicht nur ihre militärische Macht und ihr krebsartiges Wachstum (12), sondern auch die ideologischen Mechanismen, die es so schwierig machen, die Welt davon zu überzeugen, daß sie die Gefahr voll und ganz erkennen und bereit sein muß, ihr ohne Zögern zu begegnen. Die Vorstellung, daß es irgendwie paranoid, McCarthyistisch oder faschistisch sei, ein Antikommunist zu sein, muß bekämpft und korrigiert werden. Die eigentümlichen Umkehrungen, bei denen Amerika immer das Problem ist, während die Sowjets lediglich „reagieren“, müssen aufgedeckt werden. Das erstaunliche Entgegenkommen der Medien gegenüber Terroristen, die Krittelei an der lange verzögerten militärischen Reaktion auf den staatlich geförderten Terrorismus und die Weigerung, das zu sehen, was Claire Sterling und andere als „The Terror Network“ (13, 14) bezeichnet haben, das letztendlich von den rotfaschistischen Herkunftsländern ausgeht, müssen aufgedeckt werden. Die Technik, Amerika und die Freie Welt mit der kommunistischen Welt gleichzusetzen, muß aufgedeckt werden. Diese ideologischen Mechanismen müssen analysiert und als die Abwehr erklärt werden, die sie darstellen. Wir beschreiben zwar linksgerichtete Mechanismen, aber das Prinzip ist auf beide Seiten des Spektrums anwendbar und wird nur durch die angegebenen Argumente modifiziert.

Lassen Sie uns an dieser Stelle eine Pause einlegen, um einige zwingende Fragen zu stellen: Wie bestimmen wir, was ideologisch und was natürliches, rationales Denken ist? Wie messen wir den Grad der Wahrheit in der Ideologie? Auch hier können wir uns an Reich wenden, um Orientierung zu gewinnen:

Wahrheit ist voller, unmittelbarer Kontakt zwischen wahrnehmendem und wahrgenommenem Leben. Je besser der Kontakt ist, desto voller ist das wahrheitsgetreue Erleben. Je besser die Funktionen der lebendigen Wahrnehmung koordiniert sind, desto umfassender ist eine jeweilige Wahrheit. Und die lebendige Wahrnehmung ist genau in dem Grade koordiniert, wie die Bewegung des lebendigen Protoplasmas koordiniert ist. (…) Wahrheit ist ihrem Wesen nach kein ethisches Ideal, wie viele Glauben. Sie wurde erst zum ethischen Ideal, als sie zusammen mit dem „Paradies“, d.h. der vollen Funktionsfähigkeit des Lebendigen im Menschen, verlorenging. (…) Wahrheit ist in einem und wirkt in einem, genau wie das Herz eines Menschen schlägt und seine Augen sehen, nämlich gut oder schlecht, je nach dem Zustand seines Organismus. (…) Wahrheit ist demnach eine natürliche Funktion, ebenso wie das Gehen oder das Laufen oder das Jagen von Bären bei den Eskimos oder das Auffinden von Spuren des Feindes bei den Indianern. (1, S. 297f)
Wenn es also eine grundlegende Wahrheit gibt, dann sind es die Gesetze des Lebens. Reichs Entdeckung der Orgasmusformel und des funktionellen Denkens haben verdeutlicht, welche diese Gesetze sind. Die Wahrheit liegt also unter den Trümmern der sekundären Schicht und ihrer oberflächlichen Fassade. Sie liegt innerhalb des primären Kerns der Lebensstruktur. Rationales Denken muß daher in funktioneller Hinsicht den Bedürfnissen dieses Kerns entsprechen und nicht der Abwehrfunktion der oberen destruktiven und täuschenden Schichten. Reich bezeichnete die sekundäre Schicht als das „Reich des Faschisten“ und die äußere Schicht als das „Reich des Liberalen“ (15, S. 12). Damit verdeutlichte er die Charakterfunktion des Liberalen; daß er seine Schuld und Scham vor anderen und vor sich selbst verbergen muß. Die humanistische Ideologie des Liberalen ist, wie E.F. Baker und andere gezeigt haben, nur eine große Täuschung, die ironischerweise versucht, das Gute des primären Kerns zu nutzen, um eben dieses Gute abzuwehren (16, 17). Der Liberale tut dies, indem er eine Ethik von Güte und „Fairneß“ schafft, die aufgrund ihrer kontaktlosen und mechanistischen Anwendung unweigerlich zum Gegenteil führt und zur Unterstützung der schlimmsten Unterdrücker der Menschheit, der organisierten und der unorganisierten. Hinsichtlich der Liberalen („Freiheitskrämer“) sagte Reich:

Er meint nicht das, was er sagt. Er weiß nichts über das Leben und dessen Schwierigkeiten. Er verwandelt alle Realitäten in Formalitäten und alle praktischen Probleme des Lebens in Ideen über ein zukünftiges Paradies der Menschheit. Auf diese Weise bringt er sich – und wenn er durch gutgläubige Massen an die Macht gebracht wurde, auch diese – in eine schlimme Situation. (…) Wahrheit ist für ihn ein „Ideal“ und nicht die Art und Weise, in der alle Angelegenheiten erledigt werden. Ist er rechthaberisch, so glaubt er, daß er die Wahrheit verteidigt. Der Konservative, der aus der instinktiven Kenntnis der großen Schwierigkeiten, die mit dem Streben nach Wahrheit verbunden sind, den status quo im gesellschaftlichen Leben verteidigt, ist weit ehrlicher. (1, S. 307)
In Übereinstimmung mit dem obigen Zitat neigt der Liberale dazu, sich selbst als ein Modell für Mitgefühl, Menschlichkeit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit darzustellen. Doch wo immer sein Einfluß vorherrscht, wird entweder das Gegenteil von dem erreicht, was er angeblich anstrebt – oder eine grobe Verzerrung davon – etwa ein Zustand der Zügellosigkeit, der Verwirrung, des Chaos und der Unordnung, der sich leicht für eine Übernahme durch eine Gegentyrannei (das Weimarer Deutschland, Kerenskis Rußland, Benes‘ Tschechoslowakei usw.) oder die Reaktion eignet. Dafür gibt es, wie bereits erwähnt, einen guten Grund, also lassen Sie uns unter anderem speziell die Frage des modernen Liberalismus und des Rassismus untersuchen.

Das sicherste Zeichen von Rassismus ist das Rassenbewußtsein. Der Liberale ist ein Paradebeispiel für letzteres. Er verströmt Rassenbewußtsein in seiner übertriebenen Ehrerbietung gegenüber den Schwarzen. Es ist sein Schuldgefühl, das zu Buche schlägt und das er kompensieren muß. Nicht so sehr Schuldgefühle für Dinge der Vergangenheit – wie er vielleicht behauptet – sondern tatsächlich für die Gegenwart, Schuldgefühle für seinen eigenen Rassismus der sekundären Schicht, die er durch eine oberflächliche Fassade aus übertriebener Sorge, Sympathie und Mitgefühl verbirgt. Er ist verärgert über diejenigen, die nicht rassenbewußt sind und für Schwarze die gleichen Standards wie für Weiße fordern, weil ihr wahrer Nicht-Rassismus – und in einigen Fällen ein verbleibender, aber direkt zum Ausdruck gebrachter Rassismus – seine oberflächliche Abwehr bedroht und die Maske seiner Unaufrichtigkeit wegreißt. Dieser Prozeß ist analog zu vielen liberalen Abwehrhaltungen, was ihn mit den Schwarzen bzw. mit dem „Frieden“, dem „Hunger“, dem „McCarthyismus“ in Verbindung bringt und die Kommunisten als das enthüllt, was sie wirklich sind.

Nun sprechen wir nicht von echter Sorge, Sympathie und Mitgefühl für eine gute Sache. Das Problem ist, daß die kompensatorische, d.h. abwehrende Sorge, starr und mechanistisch ist. Sie beruht nicht auf ihrem vorgeschobenen Motiv und ist daher weder der korrekten Wahrnehmung eines bestimmten Problems noch seiner Lösung zugänglich. Das oberflächlich abwehrende Individuum – d.h. der moderne Liberale – muß sich mit einer Frage auf der Grundlage seiner persönlichen Bedürfnisse und nicht auf der Grundlage der Fakten befassen. So wird z B. „positive Diskriminierung“ zu einer Religion und nicht zu einer zweckmäßigen Maßnahme, die geändert oder widerrufen werden kann, wenn die Ergebnisse darauf deuten. Die Entspannung gegenüber einem unnachgiebigen Feind muß aufrechterhalten werden, damit er seine „Friedensliebe“ zeigen kann. „Schwulenrechte“ und „Frauenrechte“ müssen unabhängig von bizarren Verzerrungen der Realität unterstützt werden. Nationen und Individuen der Dritten Welt müssen begünstigt oder sogar gefeiert werden, ungeachtet der Mängel hinsichtlich ihrer Menschlichkeit oder ihren demokratischen Strukturen – deren Ursache als Produkt der Unterdrückung durch das eigene Land („Vater“) rationalisiert und ihm zur Last gelegt werden muß – das im Vergleich unendlich demokratischer und menschlicher sein kann. Das letztere Phänomen beruht nicht nur auf der üblichen Rebellion gegen den Vater, sondern gleichzeitig und funktionell auch auf der unbewußt wahrgenommenen Identifikation mit dem Vater, von der die Rebellion sich ableitet. Sobald der Kurs der Rebellion eingeschlagen ist, muß er aus Angst vor einer Regression ständig verstärkt werden – genau wie der phallische Narzißt sich ständig gegen eine Regression auf die anale Stufe wehren muß. Außerdem, so wie die Demaskierung der phallischen genitalen Rache zu einer kriecherischen, verängstigten Person führt, so führt die Demaskierung des Liberalen zuerst zu Wut und dann zu Angst. Das ist es, was Reich mit dem Begriff „struktureller Zwang“ meinte. Das Nichtsehenwollen wer der wirkliche Feind ist, kommt daher dem strukturellen Zwang gleich, sich gegen die Enttarnung der wahren Natur des Charakters zu wehren.

Nur ein funktionell denkender Mensch – mit der Fähigkeit, unangenehmen Wahrheiten über seinen eigenen Charakter ins Auge zu blicken – kann rationale Entscheidungen für das Überleben von primären, aus dem Kern stammenden Werten treffen. Der ideologische Charakter – ob liberal, konservativ, mystisch-mechanistisch oder Emotionelle Pest – kann nur auf der Ebene der Abwehr gegen oder des Dienstes an der sekundären Schicht in unterschiedlichen Graden funktionieren. Die Notwendigkeit der Abwehr mindert die Energie, die für eine echte Sorge (Kontakt zum Kern) für Säuglinge und Kinder, für Freiheit und Frieden, für das planetarische Überleben (Kontakt zur Umwelt) und für das Gefühl der Zugehörigkeit und der Teilhabe am Universum (kosmischer Kontakt) notwendig ist. Der Mystiker braucht die Religion und der Liberale braucht Ethik und Humanismus als Ersatzkontakte, so wie die Emotionelle Pest Macht braucht, um zu überleben.

All die genannten Tatsachen verdeutlichen, warum immer dann, wenn – wie in den Medien – die Liberalen vorherrschen, die Betonung auf „Menschenrechte“ und „Gerechtigkeit“ für den „Benachteiligten“ und die unaufhörliche, nie eingeschränkte Kritik am eigenen Land oder der eigenen Einflußsphäre (dem Westen) liegt, gleichgültig wie überlegen die vorgeblichen liberalen Werte sind im Vergleich zum Rivalen (Sowjetunion, Rotchina und der kommunistischen Welt), dem Zweifel zugutegehalten und dem unermüdliche Ehrerbietung und ständige Begünstigung sowie unendliches Wunschdenken zuteil werden. Dieses ständige Kritisieren dient der Sache des Feindes, der Zugang zu unserer offenen Gesellschaft hat. Die Frage ist, ob dies eine unvermeidliche Begleiterscheinung der Kritik ist oder eine unbewußte Motivation hat.

Eine eindeutige und unbestreitbare Verletzung der „liberalen Werte“ seitens der letzteren wird mit einer Reaktion des zögerlichen Zugeständnisses oder des Stillehaltens und des Rückzugs beantwortet – wie im Falle Kambodschas, der Nachwirkungen von Vietnam, der kommunistischen Dissidenten, der Abschaffung der bürgerlichen Freiheiten in Nicaragua usw. – mit Aufrufen zu Geduld und Toleranz, während einer ähnlichen und im Vergleich dazu sogar geringeren Verletzung durch die USA und ihre Verbündeten in der westlichen Welt mit den rechtschaffensten und intolerantesten Forderungen begegnet wird, wie in Chile, Südafrika, El Salvador, Israel und den Philippinen und was auch immer die gegenwärtig angesagte cause célèbre für das immer unrechthabende Vaterland – den USA – ist.

Der liberale Charakter durchdringt das politische Spektrum der Linken so sehr, daß sie die Bedrohung durch den Roten Faschismus nicht vollständig sehen und verstehen können. Die Identifikation mit diesen Faschisten liegt im ideologischen Bereich als Teil der großen humanistischen Konstruktion. Die Stärke der Abwehr ist so stark, daß sie, wenn sie von den offensichtlichsten und durchschaubarsten monströsen Übeln dieser Mächte bedrängt wird, entweder keine Bereitschaft zum Glauben oder eine Hast zur Rationalisierung besteht – wie bei Einstein.

Eine andere Methode besteht darin, Amerika mit dem Verhalten dieser faschistischen Kräfte gleichzusetzen. Sie hat die Funktion, anscheinend beide Seiten im Interesse des utopischen Ideals zu verdammen. Auf mehr subtile Weise dient es der Funktion, das Identifikationsobjekt – die extreme Linke oder die Kommunisten – zu verteidigen, indem sie heimlich dem anerkannten Anstand Amerikas gleichgestellt werden, was bedeutet, wenn die Sowjetunion so schlecht ist wie Amerika, dann ist sie auch genauso gut. Es ist im Wesentlichen eine umständliche Abwehr.(4) Nochmals, wie Reich erklärte:

Die Menschen weichen der Wahrheit aus, weil schon das erste bißchen Wahrheit, das ausgesprochen oder gelebt würde, weitere Wahrheit hervorriefe; und dies würde sich unberechenbar fortsetzen und die meisten Menschen aus ihrer gewohnten Bahn werfen. Im Grunde aber wissen die Menschen, was wahr ist und was nicht, auch wenn sie so oft der Lüge beistehen. Sie unterstützen die Lüge, weil sie zu einer Krücke geworden ist, ohne die das Leben nicht mehr möglich wäre. Deshalb steht (…) die Wahrheit und nicht die Lüge unter dem Verdacht, falsch zu sein. (1, S. 309)
Ein weiterer Fallstrick des Mechanismus der Gleichsetzung ist der Glaube, daß man mit der organisierten Emotionellen Pest genauso umgehen kann wie mit einem einfachen neurotischen oder gesünderen System. Dies führt unweigerlich zu solch potentiell katastrophalen Herangehensweisen wie der einseitigen Abrüstung sogar ohne Inspektion unter dem Deckmantel des Vertrauens in die Sowjets, sowie der Weigerung, die sowjetischen Eingriffe in Lateinamerika und anderswo klar zu sehen und sich ihnen gewaltsam zu widersetzen. Nämlich, da wir keine Expansionisten und auch keine Imperialisten mehr sind, folgt, daß sie es im Grunde genommen auch nicht sind bzw. sie davon überzeugt werden können und ihnen die Gewißheit gegeben werden kann, daß wir keine Bedrohung für sie darstellen (eine Tatsache, die sie bereits gut verstehen und die ihre vergangenen Abenteuer erklärt). Norman Podhoretz erklärt bei der Beschreibung der Liberalen in den 1930er und 40er Jahren:

Solche Leute, die sich im Allgemeinen als Liberale betrachteten, (...) weigerten sich hartnäckig zu glauben, daß die Sowjetunion so schlimm sei, wie es den Anschein hatte, oder daß Kommunisten etwas anderes seien als „eilige Liberale“. Sie waren immer geneigt, im Zweifelsfall auf der Seite der Sowjetunion zu stehen, standen immer bereit mit einer entschuldigenden Erklärung für alles, was die Sowjets taten, und waren ebenso bereit, die Kommunisten als Teilnehmer am Kampf für soziale Gerechtigkeit im eigenen Land zu behandeln, zusammen mit anderen rechtschaffenen, anständigen, fortschrittlichen Menschen. (18, S. 24)
Die letzte Zeile dieses Zitats bringt natürlich all jene „ehrbaren, fortschrittlichen“ Menschen auf eine Linie mit der Sowjetunion gegen ihre eigene Heimat („daheim“). Ein wesentliches Merkmal der „liberalen“ Haltung war laut Podhoretz ihre „Weigerung, den Kommunismus als Ideologie oder die Sowjetunion als Feind ernst zu nehmen“. Anscheinend hat sich nichts geändert. Das liberale „Establishment der Abwehr“, ein Produkt der Kindererziehung und der intellektuellen Indoktrination, die aus dem „Zeitalter der Vernunft“ stammt, hat sich gehalten. Die verzerrte Abwehr der sexuellen Energie des Kerns, die sich in religiöse Mystik verwandelte, die frühere historische Perioden kennzeichnete und sich als direkte oder rationalisierte Ausdrücke der sekundären Schicht manifestierte, wurde selbst in die nicht-religiöse Ideologie des säkularen Humanismus konvertiert, der den Intellekt als Gottheit inthronisiert hatte und lernte, in der tertiären Schicht des falschen Humanismus die gleichen Greueltaten zu begehen wie sein Vorgänger. Obwohl die Ideologie des Liberalismus seit einigen Jahrhunderten Liebe, Frieden, Gerechtigkeit und Brüderlichkeit predigt, haben doch die Katastrophen mit ihren letztendlichen Auswirkungen fortbestanden. Die Frage ist, ob eine Welt, in der nur ein kleiner Prozentsatz der Menschen ausreichend frei, ernährt, untergebracht und sexuell aufgeklärt ist, überleben kann, wenn die Mechanismen der Ideologie und des Nichtglaubenwollens bei zukünftigen Aktionsprogrammen nicht verstanden und berücksichtigt werden. Jean-Francois Revel stellte fest:

Jede Gesellschaft, egal welcher Art, kann heute der Demokratie beitreten, mit einer einzigen Ausnahme: der kommunistischen Gesellschaft, die nicht demokratisch werden kann, ohne sich selbst zu zerstören. Verständlicherweise versuchen totalitäre Strategen also, diese Tendenz in der immer noch formbaren Welt um sie herum umzukehren oder zu blockieren. Weniger leicht zu verstehen ist, daß sie einige ihrer eifrigsten Jünger aus den Führern und Denkern der Demokratie rekrutieren können. (19, S. 345) [Hervorhebung hinzugefügt.]
Die „Führer und Denker“, auf die sich Revel bezieht, sind die Liberalen und Linken, deren Ideologie hier beschrieben wurde.

Ein rationaler, aus dem Kern heraus Denkender, wäre einer, der aufgrund des notwendigen Grades an Kontakt mit seinem Leben und damit mit der Wahrheit, wie Reich sie definierte, die sekundäre Abwehr durchschauen und spüren kann. Für die meisten Menschen ist es schwierig und schmerzhaft, rational zu denken, denn es bedeutet die Auseinandersetzung mit und das Einstellen der Abwehr, was ernsthafte emotionale und biologische Reaktionen auslöst. Zum Beispiel können Eltern, die wissen, daß die natürliche Sexualität ihrer Kinder geschützt und ihr rationaler Ausdruck erlaubt werden muß, aus unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten haben, diese zu tolerieren: Angst vor den sozialen Konsequenzen, neurotische oder mystische Schuldgefühle, der Qual, sich der eigenen Sehnsucht und sexuellen Unzufriedenheit zu stellen, usw. Doch wenn sie diese Qualen und Schwierigkeiten ertrügen, ohne Martyrium oder Exzesse an Nachgiebigkeit und Zügellosigkeit, würden sie im Interesse ihrer Kinder und langfristig auch im Interesse ihrer selbst rational handeln. In ähnlicher Weise kann das Sehen der Rationalität einer sozialen oder politischen Aktion in unserer Welt, wie z.B. das gewaltsame Zurückschlagen von Terroristen oder das entschlossene Eintreten gegen kommunistische Aggression und Expansion – in welcher Form auch immer – schmerzhafte Reaktionen bei denjenigen hervorrufen, die nicht darauf vorbereitet und nicht an solche Stufen rationaler Aggression gewöhnt sind. Doch wenn sie eine solche Aktion zumindest moralisch unterstützen könnten, wenn nicht durch direktes Handeln selbst, wäre das ein struktureller und biologischer Segen für sie. Damit würde nicht nur die Freiheit gestärkt, sondern sie hätten, wie das schikanierte Kind, das sich endlich gegen seinen Verfolger widersetzt, ihre Männlichkeit und Integrität wiedererlangt. Leider ist es unwahrscheinlich, daß mehr als einige wenige Menschen ohne Therapie zu solchen Veränderungen fähig wären.

Die Ideologie zieht sich also auf unausweichliche Weise durch alle Pfade unserer Existenz und ist als Manifestation der Charakterstruktur nicht nur für das verantwortlich, was wir glauben, sondern auch für das, was wir nicht glauben wollen. Es wurden zahlreiche Werke darüber geschrieben, wie man verstehen kann, warum bestimmte Dinge getan wurden, warum Menschen nicht nur gegen augenfällige und objektive Tatsachen handeln – sondern auch gegen ihre eigenen Interessen. Diejenigen, die sich am meisten für die „Bürgerrechte“ engagieren, sind häufig am prominentesten bei der Verteidigung der Kräfte, die diese Rechte am destruktivsten zerstören. Diejenigen, denen der „Frieden“ am meisten am Herzen liegt, unterstützen oder dulden häufig die Aggressionen der unfriedlichsten Kräfte. Diejenigen, die über die Gefahr des nuklearen Holocaust am schrillsten Schreien, scheinen ihre schrille Stimme zu verlieren, wenn sie der größten Bedrohung für das nukleare Gleichgewicht gegenüberstehen. Es wäre witzlos, die zahlreichen Beispiele von Doppelmoral der Ideologiegläubigen der Vergangenheit aufzulisten hinsichtlich der Freien Welt und der kommunistischen Welt.

Ich wäre nachlässig, wenn ich nicht auch die ideologische Blindheit der Rechten unter bestimmten Umständen und an bestimmten Orten anerkennen würde. A.M. Rosenthal, der geschäftsführende Herausgeber der New York Times, schrieb einen wichtigen Artikel mit dem Titel „Reise inmitten der Tyrannen“, in dem er die USA dafür geißelt, daß sie bei unseren tyrannischen „Freunden“ nicht genauso entschieden auf Freiheit insistieren, wie wir den Kommunisten ablehnend und feindlich gegenüberstehen (20).(5) Er räumt jedoch eine Haltung der Apathie und Blindheit westlicher Journalisten und Liberaler – einschließlich der New York Times – gegenüber den Kommunisten ein. Diese Haltung führt er zum Teil auf die Erkenntnis zurück, daß die Kommunisten „sich nicht durch das ändern, was der Rest der Welt von ihnen denkt, genausowenig wie sie sich zurückziehen“ und zum Teil (hinreichend ehrlich) auf „politische Neigungen“. In meinem (wie üblich) unveröffentlichten Brief an die Times zu seinem Artikel lobte ich ihn für seinen brillanten Stil, seinen beeindruckenden, scheinbar einzig dastehenden Standard (er geißelt diejenigen, die die linken Tyrannen unterstützen), seine Ehrlichkeit (in Bezug auf seine eigene Zeitung und seine „politischen Neigungen“), und ich schloß mit folgenden Worten:

Genau diese Doppelmoral verschärft das Dilemma für diejenigen, die den Demokratisierungsprozeß in Ländern, in denen wir eine gewisse Macht haben, beschleunigen wollen. Wieviel einfacher wäre es für uns, auf Demokratie in Chile zu drängen, wenn es eine ebenso große Verurteilung der Tyranneien in Kuba und Nicaragua gäbe, die dabei sind zu gewinnen? Wieviel einfacher wäre es, selektiver in den Reihen der Contras in Nicaragua zu sein (deren Anzahl von Somozisten meiner Meinung nach Herr Rosenthal stark übertrieben hat), wenn die Sandinisten nicht im öffentlichen Fernsehen und anderswo gepriesen und entschuldigt würden? (…) Wenn Herr Rosenthal schließlich in seiner logischen Schlußfolgerung konsequent wäre und die Tatsache des Nichtglaubenwollens, daß die Bedrohung durch den Kommunismus das größte Hindernis für die Demokratisierung ist, konstatieren könnte, hätte er eine enorme Leistung erbracht.
(Man fragt sich natürlich, ob Herr Rosenthal charakterologisch in der Lage ist, konsequent und logisch zu folgern. Sicherlich ist das Fehlen von Anerkennung durch die Times oder Herrn Rosenthal nicht ermutigend.)

Ein weiteres Beispiel für die Macht der Ideologie liefert der große schwarze Ökonom Thomas Sowell. Zum Abschluß seiner vernichtenden und brillanten Analyse des Marxismus stellt er fest:

Die größte Ironie des Marxismus bestand darin, daß ein grundlegend humanes und egalitäres Glaubensbekenntnis so von einer lebensfernen Perspektive dominiert wurde, daß es blind für Fakten und taub für die Menschlichkeit und Freiheit wurde. (…) Einige der bedeutendsten Namen der westlichen Zivilisation – unter anderem George Bernard Shaw, Jean-Paul Sartre, Sidney und Beatrice Webb – sind zu Apologeten für brutale Diktaturen geworden, die im Namen von Marx regieren und Greueltaten begehen, die sie unter keinem anderen Etikett dulden würden. Menschen, die niemals durch Geld oder Macht korrumpiert werden könnten, können dennoch durch eine Vision geblendet werden. In diesem Zusammenhang hat die Behauptung von Engels, daß Marx' Name und sein Werk „die Zeiten überdauern werden“, düstere Implikationen. (21)
Letztlich ist der gemeinsame Feind des „Liberalismus“ und der roten Faschisten, die er beschwichtigt, echte Freiheit – die durch einen langsamen, funktionellen Entwicklungsprozeß gewonnen werden muß und nicht durch rechthaberische Forderungen, die für das garantierte Scheitern der einen oder anderen Art sorgen werden.

Zusammengefaßt: Das „Nichtglaubenwollen“, wie es gegenwärtig am gefährlichsten in der Unzulänglichkeit der Reaktion auf die kommunistische, rotfaschistische Bedrohung zum Ausdruck kommt, wurzelt in der charakterlichen Abwehr moderner Liberaler und Linker in Form von Ideologie. Ideologie ist organisierte intellektuelle Abwehr und hat die Religion in unserem säkularen Zeitalter für diejenigen ersetzt, die ohne angemessene charakterologische Vorbereitung von der Religion entwöhnt wurden, sprich der Wechsel von der Religion zum Humanismus stellte für die Betroffenen keinen Wechsel zum kosmischen Kontakt und zur natürlichen Intellektualität dar, sondern führte eher zu einem Dogma und zu einer intellektuellen Abwehr im Gegensatz zu einer somatischen oder mystischen. (Dies könnte auch den Aufstieg der „Befreiungstheologie“ als Folge der Lockerung der orthodoxen römisch-katholischen Traditionen erklären.) Kommunismus und Marxismus appellieren an die intellektuelle Abwehr und helfen, diese zu unterstützen und aufrechtzuerhalten, so daß der Kommunismus mit seinem brutalen Totalitarismus und der Marxismus mit seinen vielen Trugschlüssen von den strukturell Anfälligen verteidigt werden müssen trotz der Greueltaten. Wenn es zu einer Änderung kommt, ist dies ein Hinweis auf eine schwächere bzw. zuvor geschwächte Abwehr oder auf eine funktionellere Charakterstruktur. Es scheint, daß die sogenannten Neokonservativen von heute, wie Norman Podhoretz, oder ehemalige inbrünstige Radikale, die das gesellschaftspolitische Debakel, das sie mit verursachten, erkannt haben, wie David Horowitz (22), in die letztere Kategorie gehören. Diese Abwehr kann offen oder heimlich sein, je nach den Erfordernissen. Es ist vergebens, das Verhalten von Liberalen und anderen Ideologen auf einer einfachen rationalen Grundlage verstehen zu wollen. Es gibt eine innere, intrinsische Logik, die von den Erfordernissen der charakterlichen Abwehr bestimmt wird. Diese Logik wird durch eine versierte Intellektualität, die vom Individuum zu Überlebenszwecken geschärft wird, noch verstärkt. Der Fuchs jagt seine Nahrung und das Kaninchen rennt um sein Leben. Das Kaninchen, wie der Liberale, entkommt.(6) Wenn wir diese funktionellen Einsichten verstehen können, können wir sie vielleicht anwenden und bei einem sehr bedrohlichen Problem der Zivilisation Fortschritte machen.

 

Literatur

  1. Reich, W.: Christusmord. Olten, Freiburg im Breisgau: Walter, 1978
  2. Freud, S.: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, Frankfurt: Fischer Taschenbuch Verlag, 1992
  3. Reich, W.: Charakteranalyse. Köln: KiWi, 1989
  4. Reich, W.: Bibliography on Orgonomy (1920-1952), „Prefatory Note“, Orgone Energy Bulletin 5:1, 1953
  5. Reich, W.: Der Einbruch der sexuellen Zwangsmoral, Köln: Kiepenheuer und Witsch, 1972
  6. Placzek, BR (Hrsg.) 1986: Zeugnisse einer Freundschaft, Köln: Kiepenheuer & Witsch
  7. Reich, W.: Die kosmische Überlagerung, Frankfurt: Zweitausendeins, 1951
  8. Reich, W.: Menschen im Staat, Frankfurt: Stroemfeld/Nexus, 1995
  9. Evans, M.S.: „Who Are the Contras?“ Human Events, June 28, 1986
  10. Hook, S.: „My Running Debate with Einstein“, Commentary, July, 1982
  11. Reich, W.: The Einstein Affair. Rangeley, Maine: Orgone Institute Press, 1953
  12. Konia, C.: „Cancer and Communism,“ Journal of Orgonomy, 20(1, 2), 1986
  13. Sterling, C.: The Terror Network. New York: Holt, Rinehart & Winston, April, 1981
  14. Netanyahu, B., Ed.: Terrorism – How the West Can Win. New York: Farrar, Straus & Giroux, 1986
  15. Reich, W.: Die Massenpsychologie des Faschismus. Köln: Kiwi 1986
  16. Baker, E.F.: Der Mensch in der Falle, München: Kösel, 1980
  17. Mathews, P.: „A Functional Understanding of the Modern Liberal Character“, Journal of Orgonomy, 1(1&2), 1967
  18. Podhoretz, N.: The Bloody Crossroads. New York: Simon & Schuster, 1986
  19. Revel, J.-F.: So enden die Demokratien, München: Piper Verlag, 1984
  20. Rosenthal, A.M.: „Journey Among Tyrants”, The New York Times Magazine, March 23, 1986
  21. Sowell, T.: Marxism – Philosophy and Economics. New York: William Morrow & Co., Inc., 1985
  22. Horowitz, D.: „Nicaragua: A Speech to my Former Comrades on the Left,“ Commentary, June, 1986, pp. 27-31
 

 

Anmerkungen

(*) Posthum veröffentlicht, ist dies eine Abschrift des Vortrags von Prof. Mathews auf der Konferenz New Work in Orgonomy, die vom 13. bis 15. Juni 1986 in New York stattfand.

(1) Es ist bemerkenswert, daß die Sowjets den angeklagten österreichischen Ex-Nazi Kurt Waldheim verteidigten, indem sie die sogenannte „Hetzkampagne der USA und zionistischer Kreise“ angriffen.

(2) Es ist allgemein bekannt, daß es unter dem Sandinistischen Regime mehr ehemalige Somozistische Gardisten gibt als bei den Contras (9).

(3) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: https://www.commentarymagazine.com/articles/my-running-debate-with-einstein/

(4) Winston Churchill sagte: „Setzen Sie denjenigen, der 'Feuer' schreit, nicht mit dem Brandstifter gleich.“

(5) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: https://www.nytimes.com/1986/03/23/magazine/journey-among-tyrants.html

(6) ANMERKUNG DES ÜBERSETZERS: Bezieht sich auf folgende Fabel:

Ein Fuchs sah plötzlich einen Hasen des Weges hoppeln.
Er dachte sich eine List aus: Der Fuchs wußte, daß nicht weit von seinem Fuchsbau sich ein tiefes Loch im Boden befand.
Er fragte den Hasen: „Wollen wir nicht zusammen etwas unternehmen? Schon lange wollte ich dir eine Stelle zeigen, wo die dicksten Möhren wachsen.“
Erfreut willigte der Hase ein. Der Fuchs wies ihm die Richtung und sagte: „Lauf nur schon voraus. Du bist schneller als ich.“
Der Hase machte sich also auf den Weg, und der Fuchs folgte ihm. Während der Hase aber mit einem riesigen Satz über das Loch sprang, hatte der Fuchs voller Schadenfreude gar nicht auf den Weg geachtet und fiel direkt hinein.
Der Fuchs jaulte: „Hol mich hier raus!“ Der Hase aber erkannte den Trick und hatte sowieso keine Idee, wie er dem Fuchs helfen könnte.
Und so hoppelte der Hase davon.

 

 

zuletzt geändert
27.06.20

 

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