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Sex, Liebe, Strömungsangst und all ihre ÄußerungsformenDavid Holbrook, M.D.
Weder sexuelle Empfindungen ohne Liebe noch Liebe ohne Sexualität sind völlig gesund oder befriedigend. Ich denke, man könnte vielleicht sagen, daß diese Spaltung die Grundlage des gepanzerten Lebens und der gepanzerten Zivilisation darstellt. Wenn Sex und Liebe miteinander verbunden werden, ist die Energie des ganzen phänomenal. Das löst eine Orgasmusangst aus, die ich als eine Art „Liebesangst“ bezeichne. Alle Angst ist „Strömungsangst“. Alles, was den Kontakt erhöht, verstärkt die Strömungsangst. Wenn zwei beliebige gepaarte Funktionen in der Kontaktgleichung vollständig integriert sind, kommt es zu einer Strömung: Sensation und Emotion, Pulsation und Kreiselwelle usw. Jedes dieser Paare kann daher Angst auslösen, zum Beispiel die „Pulsationsangst“, auf die wir uns in der Orgonomie so oft konzentrieren (Probleme mit der Pulsation). Aber die Angst kann sich auch auf andere Weise manifestieren, zum Beispiel die „Kreiselwellen-Angst“. Ich glaube, ich bin der erste, der darauf hinweist. Da die „Kreiselwelle“ (KRW) in einem Verhältnis des sich gegenseitig anziehenden Gegensatzes zur Pulsation steht, müßte die KRW-Funktion gestört werden, wenn die Pulsation gestört ist. Ich denke, die Kreiselwellen-Funktion hat viel mit Vorstellungen und Wissen zu tun: nach außen zu greifen, um Dinge zu verstehen. Ich denke, sie könnte mit gepanzertem Denken assoziiert sein, denn wenn die Pulsation gestört ist, dann ist auch die KRW-Funktion gestört. Es ist für mich interessant, daß Reich im Kapitel über das lebende Orgonom in Die kosmische Überlagerung bei der Diskussion des Orgasmus die KRW tatsächlich mehr zu betonen scheint als die Pulsation, und doch scheinen wir uns ausschließlich auf die Störung der Pulsation zu konzentrieren. Ebenfalls bemerkenswert: Wenn Reich versucht, die „Bedeutung“ des Orgasmusreflexes in der Charakteranalyse zu verstehen, beschreibt er die „kosmische Sehnsucht“ an der Basis des Orgasmus, das „Verlangen“ des Orgons, den Grenzen der biologischen Membran zu entkommen und wieder mit dem Kosmos zu verschmelzen, den Antrieb zur kosmischen Überlagerung. Er weist auf die Beziehung dieser kosmischen Sehnsucht zu religiösen Vorstellungen hin. Ich denke, man könnte das auf die gesamte Sehnsucht nach Wissen ausweiten. Reich, W. (1949): Charakteranalyse, Köln: KiWi, 1989 (Kapitel 15. Die Ausdruckssprache des Lebendigen. 4. Der Bewegungsausdruck des Orgasmusreflexes und die sexuelle Überlagerung): Die sexuelle Überlagerung geht mit orgonotischer Erstrahlung der Körperzellen und mit Durchdringung und Verschmelzung zweier orgonotischer Energiesysteme zu einer Funktionseinheit einher. In klonischen Zuckungen auf der Höhe der Erregung (= Erstrahlung) entladen die zu einem gewordenen Orgonsysteme ihre Energie (...). Die Wortsprache vermag hier keinen Deut zu erklären. Die Begriffe, die sie für den Vorgang der sexuellen Überlagerung geschaffen hat, entstammen ja selbst den Organempfindungen, die die Überlagerung einleiten, begleiten und ihr folgen. Sehnsucht, Drang, Kopulation, Konjugation, Befriedigung etc. sind bloß Abbildungen eines Naturprozesses, den sie nicht begreiflich zu machen vermögen. Um diesen Naturvorgang zu begreifen, müssen wir andere primäre Naturvorgänge auffinden, die allgemeinere Geltung haben als die sexuelle Überlagerung der Organismen und gewiß tiefer sind als die Organempfindungen, denen die Begriffe der Wortsprache entsprechen. (…) Das Versagen der Wortsprache in diesem Falle deutet auf eine Naturfunktion jenseits des lebendigen Bereiches hin. (…) im Sinne eines funktionellen Zusammenhanges zwischen lebender und nichtlebender Natur. Wir dürfen vorläufig schließen, daß die Wortsprache nur solche Lebenserscheinungen zu beschreiben vermag, die in den Organempfindungen und entsprechenden Ausdrucksbewegungen faßbar sind, wie Wut, Lust, Angst, Ärger, Enttäuschung, Trauer, Hingabe etc. (...) Während die Organempfindungen, die spezifisch dem Lebendigen entsprechen, in die Wortsprache übersetzbar sind, können wir die Ausdrucksbewegungen des Lebendigen, die nicht spezifisch dem Lebenden angehören, sondern aus dem Bereiche des Nichtlebens in den des Lebens hineinragen, in der Wortsprache nicht fassen. Da das Lebendige aus dem Nichtlebenden und die nichtlebende Materie aus der kosmischen Energie stammt, ist es berechtigt zu schließen, daß es im Lebendigen kosmische Energiefunktionen gibt. Die unübersetzbaren Ausdrucksbewegungen des Orgasmusreflexes in der sexuellen Überlagerung könnten somit die gesuchten kosmischen Orgonfunktionen darstellen. (...) Es ist klinisch sichergestellt, daß die orgastische Sehnsucht, also die Sehnsucht nach Überlagerung, stets mit kosmischer Sehnsucht und kosmischen Empfindungen einhergeht. Die mystischen Vorstellungen so vieler Religionen, der Jenseitsglaube, die Lehre von der Seelenwanderung etc. entstammen ausnahmslos der kosmischen Sehnsucht; und die kosmische Sehnsucht ist funktionell in den Ausdrucksbewegungen des Orgasmusreflexes verankert. Im Orgasmus ist das Lebendige nichts als ein Stück zuckender Natur. (S. 513-515)Und da die Überlagerung, z.B. bei der genitalen Umarmung, mit einem stärkeren Strömen einhergeht, scheint es offensichtlich, daß es auch so etwas wie „Wissensangst“ gibt, die erklärt, warum funktionelles Denken Pestattacken auslösen kann. Entsprechendes beschreibt Reich in diesen Passagen aus „Die Waffe der Wahrheit“ in Reich, W. (1953): Wahrheit ist als Manifestation des vollsten Kontaktes des Lebens zu sich selbst und seiner Umgebung, unauflöslich mit dem Energiehaushalt des Lebens verbunden. Daher wühlt Wahrheit, wenn sie voll gelebt wird, die tiefsten Emotionen auf und steigert damit den Drang zur genitalen Umarmung. Da nun aber der Kern der Energieentladung des Lebendigen von den Menschen jahrtausendelang ausgeschlossen und geächtet war, mußte man auch der Wahrheit ausweichen. (…) Es ist daher kein Wunder, daß jeder Wahrheitssucher zu allen Zeiten und in allen auf genitaler Unterdrückung aufgebauten Kulturen der ‚Unsittlichkeit‘ bezichtigt wurde, und daß der reaktionäre Geist die Wahrheit stets als ein Werk des Teufels bekämpft haben, das die „Unmoral“ fördere. (ebd., S. 300f, Hervorhebung im Original). Je mehr die Genitalität vom Empfinden und Handeln des Menschen ausgeschlossen ist, desto härter wird der Kampf gegen die Wahrheit, desto vollkommener ist die Umwandlung einer biologischen Wahrheit in eine mystische „Wahrheit“. Die christliche Religion ist eine mystifizierte Religion des Lebendigen, die sich gegen die Realität gerade dessen wendet, was sie vertritt und als Ideal anbetet. Alle verlorenen, natürlichen, realen Tugenden erscheinen nun als ideale Tugenden, nach denen man streben soll. Damit kommt die Dichotomie zwischen dem Teufel, der ein pervertierter Gott ist, und der Ethik in die Welt. Das AUSWEICHEN VOR DER WAHRHEIT – so typisch für den Menschen, der das Paradies, als das Gefühl für Gott in seinem Körper, verlor – hat daher eine wohlbegründete Existenzberechtigung. Wenn die Gesetze des Lebens voll und ganz unterdrückt werden, wühlt Wahrheit genau die Emotionen auf, die jenes geregelte Leben durcheinanderbringen würden, das für die Existenz des gepanzerten Menschen so wichtig geworden ist. (ebd., S. 301, Hervorhebung im Original) Die Menschen weichen der Wahrheit aus, weil schon das erste bißchen Wahrheit, das ausgesprochen und gelebt würde, weitere Wahrheit hervorriefe; und diese würde sich unberechenbar fortsetzen und die meisten Menschen aus ihrer gewohnten Bahn werfen. (...) die Menschen (...) unterstützen die Lüge, weil sie zu einer Krücke geworden ist, ohne die das Leben nicht mehr möglich wäre. (ebd., S. 309)Es gibt also so etwas wie eine „Wahrheitsangst“! Diese Diskussion über die Strömung läßt mich an etwas denken, das ich geschrieben habe, also werde ich damit enden:
--- Orgonomie, wie sie in 15 Passagen aus Reichs Schriften zusammengefaßt ist: von Biologie über Psychologie bis hin zu Soziologie und Politik – die Zentralität der Strömung und die Strömungsangst: „Im (...) süßen Strömen des lebendigen Lebens sind die meisten der wichtigsten Errungenschaften WRs verwurzelt:
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