W W W . O R G O N O M I E . J I M D O S I T E . C O M

 

Artikel von David Holbrook, M.D.

 

 

 

 

Medizinische Orgontherapie in der konventionellen psychiatrischen Praxis

David Holbrook, M.D.

 

Ich glaube, daß fast jeder von der medizinischen Orgontherapie (MOT) profitieren kann, aber die MOT muß dem Patienten angepaßt werden und nicht umgekehrt. Dies ist im ganzen Konzept des Kontakts verankert, und Kontakt ist im Wesentlichen das, was wir den Patienten anbieten. Das heißt, wir müssen ein Gespür für die Art des Panzers jedes Einzelnen haben und langsam und sorgfältig arbeiten. Wenn wir drängen und dadurch Schaden anrichten, dann ist das keine MOT. Wir müssen die Gegenwahrheit des Panzers verstehen: das ist die Essenz von Kontakt.

Nun könnte es sein, daß einige Orgonomen versuchen, eine reine MOT-Praxis zu haben und dann, um finanziell über Wasser zu bleiben, eine andere Art konventioneller psychiatrischer Arbeit nebenbei machen. In Amerika wäre es derzeit äußerst schwierig, eine psychiatrische Praxis zu führen, die eine reine MOT-Praxis wäre, in der man, sagen wir, nur einen oder zwei von zehn Patienten, die eine Behandlung wünschen, nach irgendwelchen strengen Kriterien, welche Art von Patienten behandelt wird, für eine MOT in Erwägung zöge. In Amerika ist es derzeit wahrscheinlich nicht möglich, eine psychiatrische Praxis auf diese Weise zu unterhalten. Die Alternative besteht einfach darin, jeden Patienten als eine einzigartige Person zu betrachten und auf einer Ebene zu arbeiten, die für diesen Patienten möglich und angemessen ist. Dies schließt die Medikation bestimmter Patienten ein, die tatsächlich darauf aus sind einen Panzer zu erhalten, statt daß ihnen der Panzer genommen wird. Die meisten Patienten, die in Amerika einen Psychiater aufsuchen, suchen nach ersterem. Es ist möglich, mit solchen Patienten auf kontaktvolle Art und Weise zu arbeiten und ihnen immer wieder dabei zu helfen, ihre Gefühle besser zu tolerieren, selbst wenn man ihnen Medikamente verschrieben hat. Sie haben vielleicht überhaupt nicht daran gedacht, zu dir wegen Therapie zu kommen. Sie denken vielleicht, daß es nur um die Medikamente geht. Aber der medizinische Orgonom hat wirklich für fast jeden etwas zu bieten: es muß nur kontaktvoll erfolgen. Wir sagen normalerweise beim ACO (American College of Orgonomy), daß die einzige Art von Patienten, die definitiv keine Kandidaten für eine Version von MOT sind, triebhafte Charaktere, pestilente Charaktere, Psychopathen, Soziopathen und Kriminelle, Drogenabhängige und andere Typen sind, die nicht über ausreichende Kapazität verfügen, um sich zu panzern, so daß sie die MOT tolerieren könnten. Aber wenn ich hier „MOT“ sage, schließe ich die Arbeit als konventioneller Psychiater ein, die aber von dem Wissen über orgonotische Funktionen geleitet wird, über das der gut ausgebildete medizinische Orgonom verfügt. Aus dieser Perspektive betrachtet, kann eine einfache Verschreibung von Medikamenten ohne offensichtliche Durchführung einer Therapie in gewisser Weise „MOT“ sein. Wir können es uns nicht leisten, Elitisten zu sein. Wir sind Ärzte und es ist unsere Aufgabe, allen zu helfen, denen wir helfen können. Das gemahnt an einen Chirurgen auf dem Schlachtfeld. Und so schlimm sind die Dinge wirklich.

Die meisten Biopathien werden nicht durch einen Mangel an Erregung des Organismus verursacht (Krebs ist eine große Ausnahme). Biopathien werden vielmehr verursacht, weil die Erregung nicht toleriert werden kann, die bereits naturgegeben vorhanden ist. Wenn also ein orgonomischer Psychiater bei Bedarf mit Psychopharmaka arbeitet, arbeitet er mit dem Panzer so, daß ein nicht funktionsfähiger Patient in der Lage ist, kurzfristig zu funktionieren, während er gleichzeitig mit MOT versucht, die Hindernisse, die im Charakter und in der Physiologie des Patienten vorhanden sind, langfristig zu beseitigen, in der Hoffnung, ihn ganz von Medikamenten wegzubringen. Das ganze geschieht im Rahmen eines orgonomischen Verständnisses. Wenn der Patient sich dazu entscheidet, keine Medikamente zu nehmen, ist das großartig. Das ist vorzuziehen, aber die Mehrheit der Patienten in Amerika möchte heute Medikamente, weil sie instinktiv erkennen, daß sie zumindest kurzfristig mehr Panzer benötigen.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit mit Menschen, die psychotisch sind. Antipsychotika blockieren die Wirkung von Dopamin in Körper und Gehirn. Aufgrund der Blockade von Dopamin im Gehirn wurde in der konventionellen Psychiatrie eine „Dopamin-Hypothese“ als Ursache für Schizophrenie zugrundegelegt: zu viel Dopamin. Schließlich zeigten Forschungen, daß diese Dopamin-Hypothese aufgegeben werden mußte. Eine Sichtweise, die wir als Orgonomen haben, hilft, die zumindest teilweise Wirksamkeit von Antipsychotika zu erklären: Dopamin ist an der Muskelaktivität beteiligt. Das dopamin-blockierende Antipsychotikum fördert im wahrsten Sinne des Wortes die Muskelpanzerung, die bei Psychotikern fast immer fehlt. Von daher der bekannte „Parkinsonismus“ als „Nebeneffekt“ von Antipsychotika. Unter funktionellen Gesichtspunkten würden wir die Hypothese aufstellen, daß es sich bei dieser vermeintlichen Nebenwirkung höchstwahrscheinlich tatsächlich um den eigentlichen Wirkstoff handelt, der die Psychose bei Patienten, die diese Arzneimittel einnehmen verringert (durch Verstärkung der Muskelpanzerung). Menschen können nicht funktionieren, wenn sie psychotisch sind. Bis wir also die schwierige Aufgabe bewältigen können, dem psychotischen Patienten mit einer Art MOT-Ansatz zu helfen, ist es sinnvoll, seine Symptome mit der Einnahme eines Arzneimittels schnell zu lindern, wenn dies der Kurs ist, den der Patient einschlagen möchte. Auf der anderen Seite habe ich psychotischen Patienten geholfen, von der antipsychotischen Medikation herunterzukommen und sie nicht mehr zu benötigen. Dies kann sogar allein mit Charakteranalyse erfolgen. Ich habe Erfolgsgeschichten als medizinischer Orgonom mit Patienten, die irgendwann acht verschiedene Medikamente gleichzeitig einnehmen mußten, um sie zu stabilisieren, um dann im Verlauf jahrelanger therapeutischer Arbeit ihren Bedarf an Medikamenten zu beseitigen und sie zu einem Funktionieren in ihrer Karriere auf einem extrem hohen Niveau zu bringen.

MOT ist kein Kreuzzug, damit die Menschen weniger Panzer haben. Das wäre Freiheitskrämerei in der klinischen Situation, was außerordentlich gefährlich und destruktiv wäre. MOT ist ein medizinisches Verfahren, das entwickelt wurde, um Menschen dabei zu helfen, im wirklichen Leben zu funktionieren. Das ist immer das Ziel. Der Wirksamkeitsnachweis eines therapeutischen Verfahrens findet sich eigentlich nicht in dem, was im Therapieraum passiert. Der Wirksamkeitsnachweis erfolgt außerhalb des Therapieraums. Ein mitfühlender Ansatz beinhaltet den Versuch, das Leben des Patienten außerhalb des Therapieraums zu verbessern. Ja, wir sind mit weniger Panzer besser dran, wenn wir damit fertigwerden können. Aber wir müssen den Panzer auch respektieren. Du kannst niemandem helfen, ohne Panzer zu leben, bevor du nicht verstehst und respektierst, warum der Patient den Panzer überhaupt benötigt hat. Wenn man jahrzehntelang täglich ein Handwerk ausübt, lernt man Dinge, die man nicht aus Büchern lernen kann. Ich glaube, daß meine Patienten instinktiv spüren, daß ich ihr Bedürfnis nach Panzerung verstehe und respektiere. Dies hat den „paradoxen“ Effekt, daß es für sie einfacher ist, ihren Panzer aufzugeben! Man kann diese Dinge nicht erzwingen.

Im allgemeinen wäre der ideale MOT-Patient jemand, der stabil genug ist, um ohne Medikamente mit ihm arbeiten zu können. Das ist das Ziel. Die meisten medizinischen Orgonomen (zumindest die, die ich kenne und die meines Erachtens die besten und wirklich einzigen echten medizinischen Orgonomen auf der Erde sind) arbeiten jedoch nicht ausschließlich mit Menschen zusammen, die nach MOT Ausschau halten. Das ist so, weil, im Gegensatz zu den 1950er und 1960er Jahren, als amerikanische medizinische Orgonomen von Patienten, die vor der Tür standen und nach MOT verlangten, überflutet wurden, heutzutage praktisch niemand mehr weiß, was Orgonomie ist. Die überwiegende Mehrheit der Patienten, die wir heute sehen, weiß nicht einmal, was MOT ist, und weiß nicht unbedingt, daß wir Orgonomen sind. Sie suchen nur Hilfe von einem Psychiater. Normalerweise suchen sie nach Möglichkeiten, sich zu panzern. So wird dies oft zum ersten Schritt in der Behandlung: der Umgang mit Erregung, die für den Patienten unerträglich ist, und die es ihnen unmöglich macht zu funktionieren. Dieses Phänomen ist in der heutigen Gesellschaft weitaus häufiger anzutreffen als zu Zeiten, in denen Reich arbeitete. Zu jener Zeit waren Verdrängung und Muskelpanzerung am weitesten verbreitet. Aber aufgrund der Transformation der Gesellschaft vom Autoritarismus zum Antiautoritarismus ist die Prävalenz bestimmter Charakterbiopathien heute größer als in der Vergangenheit. Dies steht im Einklang mit der Behauptung Reichs, daß der Charakter durch die Kultur geformt wird. Die orgonomischen Prinzipien, die hier wirken, sind die gleichen, wie sie sich im einzelnen Patienten darstellen, ist jedoch sehr unterschiedlich.

Eine andere Art und Weise, in der die Kultur jetzt anders ist, ist, daß selbst Menschen mit relativ geringen symptomatischen Beschwerden im Grunde keine Ahnung haben, daß es Alternativen zu Medikamenten gibt. Die Pharmaindustrie ist nach der Ölindustrie die zweitgrößte Industrie auf der Erde, und sie hat sehr gute Arbeit geleistet, was das Hirnwaschen aller in ihr Paradigma betrifft. Wenn man also einen Patienten sieht, gibt es einen Enkulturationsprozeß, der während der Behandlung stattfinden muß. Den Menschen wurde zum Beispiel beigebracht, daß Angst eine Krankheit ist. Entsprechend muß ein langsamer Aufklärungsprozeß stattfinden, um die Patienten darauf vorzubereiten, daß es neben der Suche nach mehr Panzer mittels Medikamenten noch einen anderen Weg gibt. Es wäre nicht möglich, einem durchschnittlichen Patienten, der nach Medikamenten verlangt, zu helfen, wenn man völlig starr und ideologisch in Bezug auf Medikamente wäre. Um Menschen helfen zu können, muß man in der Lage sein, die funktionelle Situation zu erfassen und mit dem Patienten langsam zu arbeiten, um sein Schicksal zu verbessern. Die vorübergehende Versorgung mit Medikamenten, sofern der Patient dies wünscht, ist kein Widerspruch zu diesem Prozeß.

Ich freue mich, wenn Patienten mir sagen, daß sie versuchen wollen, ihr Los ohne Medikamente zu verbessern. Das erfordert enormen Mut und einen gewissen Kontakt beim Patienten. Es ist auch sehr teuer. Patienten, die diesen Weg wählen, sind in unserer gegenwärtigen kulturellen Situation relativ selten.

MOT (einschließlich Charakteranalyse) funktioniert durch das Beseitigen der Hindernisse, um die Erregung des Kerns tolerieren zu können. Es gibt Unmengen von Leuten, die da draußen herumlaufen, mit viel Erregung im Kern, aber ohne die Fähigkeit, sie zu tolerieren, was dann tatsächlich nur den Panzer verstärkt. Eigentlich würde ich sagen, daß die meisten Psychopharmaka durch eine Verringerung der Erregung wirken, was genau der Panzer bewirkt. Psychiatrische Medikamente sind Bereitstellung von Panzer. Einer der Unterschiede zwischen einem konventionellen Psychiater und einem orgonomischen Psychiater besteht darin, daß der orgonomische Psychiater dies weiß und mit dieser Realität im Kontext von orgonomischen Wissen und Praxis arbeitet.

Der Wechsel von der autoritären zur antiautoritären Gesellschaft hat das Panzermuster der Menschen verändert. Die Mechanismen der Panzerung haben sich nicht geändert, aber die Prävalenz des Augenpanzers ist viel größer. Allgemein gesagt, je mehr Augenpanzer jemand hat, desto weniger braucht er seinen Muskelpanzer. Dies verändert die gesamte Natur der Menschen. Und damit ändert sich auch die Art und Weise, wie medizinische Orgonomen praktizieren müssen. Reich hätte das erkannt, wenn er heute leben würde und seine Herangehensweise an diesen Typ Patient wäre anders als seine Herangehensweise bei beispielsweise einem einfachen Phalliker oder einer einfachen Hysterikerin. Aber auch wie sich Phalliker und Hysterikerinnen heute darstellen, ist etwas anders als zu Reichs Zeiten. In allen Charaktertypen gibt es heute mehr Augenpanzer als in der Vergangenheit. Das macht sie nicht zu schizophrenen Charakteren, aber es macht sie zu Phallikern und Hysterikerinnen mit mehr Augenpanzer als in der Vergangenheit.(1) Es gibt auch viel mehr Intellektualisieren im heutigen Menschen. All dieser Augenpanzer erzeugt in gewisser Weise einen „Haken“, der dem ähnelt, was man bei Schizophrenen oder bei Menschen sieht, bei denen schurkenhafte Körpertherapeuten den Panzer in den unteren Segmenten entfernt haben. Ein Haken ist eine Situation, bei der sich ungepanzerte Segmente unter gepanzerten Segmenten befinden. Der Mangel an unterem Panzer verstärkt den Bedarf an oberem Panzer und schafft eine schwierige klinische Situation, da sich der Patient, sobald man den obere Panzer löst, leicht überfordert fühlen kann, weil die Energie im unteren Panzer nicht gebunden werden kann, entweder indem die Ladung toleriert wird oder durch die Befähigung sich zu panzern. In vielerlei Hinsicht ist dies im Wesentlichen die Situation der meisten Menschen von heute. Deshalb müssen wir die Art und Weise, wie wir mit Patienten arbeiten, ändern.

Die Lösung ist langsame, sorgfältige und mühselige Arbeit über einen langen Zeitraum, wobei der Patient langsam die Fähigkeit erlangt, eine Ladung in den offenen Segmenten unterhalb eines blockierten höheren Segments zu halten. Manchmal sind Medikamente bei diesem Prozeß nützlich und können später wieder abgesetzt werden. Oder wenn der Patient es wünscht, kann es ohne Medikamente gemacht werden, obwohl, wie ich oben beschreibe, nicht viele Menschen den Mut und die Hartnäckigkeit und den Kontakt haben, diesen Weg zu wählen. Als Orgonom ist es natürlich eine Freude, wenn man einem Patienten mit diesem Mut begegnet. Aber alles, was wir tun können, um Menschen zu helfen, ist ihnen die Optionen anzubieten. Meiner Ansicht nach muß der Patient auswählen, welche Option er haben möchte. Für mich ist das ein wesentlicher Aspekt einer kontaktvollen Beziehung zwischen Arzt und Patient. Der Patient verwendet Medikamente oder er tut es nicht. In meiner Praxis wählt der Patient auch, ob somatisch auf der therapeutischen Couch oder charakteranalytisch im Sitzen gearbeitet werden soll. Ich glaube nicht daran, Patienten zu drängen. Ich halte das für kontraproduktiv. Wir arbeiten an der Oberfläche, dort ist die Abwehr.

Die Situation, in der sich ein Patient anfänglich bessert und sich später wieder verschlechtert, ist die, wenn der Therapeut die MOT aufdrängt. Man kann schnell spektakuläre Ergebnisse erzielen und das ist sowohl für den Patienten als auch für den Therapeuten äußerst verführerisch. Aber, wie gesagt, worauf es wirklich ankommt, ist: Wo wird dieser Patient in fünf Jahren sein? Dies ist der Beweis für die Wirksamkeit von MOT, nicht die dramatischen und aufregenden kurzfristigen Ergebnisse, die erzielt werden können. Der mitfühlende und kontaktvolle medizinische Orgontherapeut weiß das und verdient dadurch den Respekt und das Vertrauen seiner Patienten. Das ist es, was es bedeutet, ein „Doktor“ zu sein, der das Leben respektiert, und nicht irgendeine Art von Schlangenölverkäufer oder eine Raubkopie von „Orgonom“.

 


Fußnoten

(1) Ich würde auch sagen, daß es bei neurotischen Charakteren immer eine Störung des Augensegments gibt, die etwas mit der Kontaktstörung zu tun hat.

 

 

zuletzt geändert
12.04.20

 

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