W W W . O R G O N O M I E . J I M D O S I T E . C O M

 

Artikel von David Holbrook, M.D.

 

 

 

 

„Nicht so schnell!“: Die Behandlung eines paranoid-schizophrenen Charakters

David Holbrook, M.D.

The Journal of Orgonomy vol. 46/1, 2012
The American College of Orgonomy

 

Abstract

Dieser Artikel beschreibt die laufende Behandlung eines Patienten mit paranoid-schizophrenem Charakter, der große Angst vor nonverbaler therapeutischer Arbeit hat. Die Therapie, die von daher weitgehend auf den verbalen, charakteranalytischen Bereich beschränkt ist, hat zu erheblichen Fortschritten geführt. Einige Überlegungen, warum dies so ist, werden präsentiert, darunter die Bedeutung der Unterscheidung zwischen kontaktreicher verbaler Interaktion und Intellektualisieren und warum verbaler Kontakt als biophysikalisches Phänomen angesehen werden kann. Einige Unterschiede zwischen der Arbeit mit dem schizophrenen und dem phallischen Charakter werden ebenfalls diskutiert.

 

Einführung

In zwei früheren Artikeln (Holbrook 2009, 2010/2011) habe ich über Herrn B. geschrieben, einen 57-jährigen verheirateten Mann, den ich seit acht Jahren behandle. Er ist ein paranoid-schizophrener Charakter mit katatonischen Merkmalen, der von der Charakteranalyse profitiert hat, obwohl seine Fortschritte langsam und mühsam waren. Dieser Artikel beschreibt neue Entwicklungen seit dem Verfassen des Artikels 2010/2011 sowie eine Reihe von Beobachtungen zur Arbeit mit dem schizophrenen Charakter.

Herr B. hat zwanghafte Züge und leidet unter Schwierigkeiten, sich selbst zu erlauben Emotionen zuzulassen und auszudrücken. Während seiner Therapie mußte ich lernen, geduldig mit ihm umzugehen, denn er wird langsamer, wenn man ihn drängt. Ich habe von ihm gelernt, die Macht der Charakteranalyse besser zu verstehen und zu schätzen, wenn man Patienten erreichen will, die zu paranoid sind, um die Couch bzw. die Möglichkeiten der medizinischen Orgontherapie, auf nonverbale Weise behandelt zu werden, zu nutzen. Wenn man auf seine Muskulatur drückt oder körperlich sein Augensegment angeht, oder mit anderen Arten von nonverbaler Erfahrung oder Ausdruck arbeitet, erzeugt das bei ihm mehr Emotionen, als er ertragen kann. Infolgedessen habe ich im vergangenen Jahr im allgemeinen davon abgesehen, Vorschläge in diese Richtung zu machen oder zu versuchen, mit diesen Modalitäten irgendwie zu arbeiten. Ich habe nur zugehört.

Manchmal ist das, was du nicht tust, therapeutisch am produktivsten. Ich habe ein tieferes Verständnis dafür erlangt, daß, je weniger ich mit diesem Patienten mache, es um so besser ist. Es erfordert viel Geduld, mit so jemandem zusammenzuarbeiten. Er beklagt sich darüber, daß er sich chronisch „festgefahren“ fühlt. Die Sitzungen scheinen sich zu wiederholen, aber er ist in der Lage, seine paranoiden Gedanken und Gefühle folgerichtig auszudrücken. Dies ist derzeit das Schlüsselelement seiner Therapie.

 

Fallbeschreibung und Beobachtungen

Wie obenerwähnt, hat Herr B. in der Therapie Angst irgendwas anderes zu tun als zu reden. Ein Beispiel für seine Angst, auf der Couch zu liegen, fand sich während einer Sitzung im sechsten Behandlungsjahr. Er beklagte sich, daß er in der Therapie „immer wieder dasselbe sagt“. Ich schlug vor, daß er sich einfach auf die Couch legt und atmet. Er tat es, wurde aber ängstlich und sagte: „Auf der Couch verschwinde ich einfach.“ Ich sagte: „Sie meinen, Sie ‚gehen weg‘?“ Er sagte: „Ja, dann fühle ich mich beobachtet, weil es mir nicht real erscheint. Ich werde paranoid. Es fängt an sich anzufühlen, als würden Sie mich feindselig beobachten.“ Dann sagte er, er fühle sich gescheitert, weil er die Couch nicht benutzen könne. Ich antwortete, daß er sich selbst kritisiert, anstatt die Angst zu spüren. Er sagte: „Um auf der Couch zu liegen, muß man sich sicher fühlen. Das kann ich nicht.“

Er stellt sich vor, daß es meiner Meinung nach nur einen Weg für ihn gibt, damit es ihm besser geht: Atmen, Schlagen, Treten usw. „Das kann ich nicht. Es ist Folter. Ich weiß nicht, wie ich mich körperlich ausdrücken soll. Das würde Expansion erfordern. Ich schrumpfe nur. Ich würde mich verwundbar fühlen, wenn ich in der Therapie schreie oder auf den Boxsack einschlage. Ich möchte bemerkt werden, aber ich versuche immer, mich zu verstecken, weil ich Angst habe. Ich möchte bemerkt werden, wenn ich sicher bin.“

Während einer anderen, späteren Sitzung sagte er, er habe viel Wut verspürt. Ich schlug vor, daß er auf den Boxsack in meinem Büro schlägt. Er sagte: „Es gibt Zeiten, in denen ich wegen Ihrer Vorschläge, meine Gefühle physisch oder nonverbal auszudrücken, nicht zur Therapie erscheinen möchte.“ Zu anderen Zeiten war er dankbar für meine Bemühungen, ihn daran zu erinnern, daß er einen Körper hat. In einer Sitzung beklagte er sich: „Mir fällt nichts ein, was ich nicht vorher schon gesagt hätte.“ Ich antwortete: „Sie könnten mehr atmen, als Sie zuvor geatmet haben!“ Wir lächelten beide. Später merkte ich an, daß er, obwohl er sich darüber beschwert „nur zu reden“, er sich tatsächlich von einer Last befreit, um frei zu atmen, und ich sagte: „Das ist besser, als zu versuchen, von Kohlendioxid zu leben.“ In einer anderen Sitzung sagte er: „Ich habe wirklich nicht viel zu sagen.“ Ich antwortete: „Ihre Körpersprache sagt alles.“ Als er ermutigt wurde seine Wut auszudrücken, sagte er: „Ich bin hin- und hergerissen zwischen Angst und Sturheit. Ich habe in meinem Leben draußen noch nie erlebt, daß es hilft, seine Wut rauszulassen.“ Er hat Angst vor seiner Wut. Er berichtete, daß eine Freundin einmal kommentiert habe, daß er „den Raum verläßt“, wenn er aufgebracht ist. Darauf sagte er mir, er verlasse den Raum, „um nicht wütend zu werden“. „Ich kann es mir nicht verzeihen, daß ich so wütend auf alle und jeden bin.“ In seinem Alltag ist er entweder wütend oder ängstlich. Im Behandlungsraum ist er vorwiegend ängstlich, weil die Lockerung seines Charakterpanzers in der Therapie Angst hervorruft. Wie Reich beschreibt:

Die charakterliche Charakterpanzerung kostet Energie, denn sie erhält sich durch ständigen Verbrauch an (…) vegetativen Kräften, die sonst (unter der Bedingung ihrer motorischen Hemmungen) Angst erzeugen würden (1949, S. 451). Die charakteranalytische Zersetzung der Panzerung ergibt regelmäßig zunächst gebundene Aggression. (...) Gelingt es uns weiter in der Charakteranalyse, die in der Panzerung gebundene Aggression zu lösen, so wird Angst frei. Angst kann also in Aggression „verwandelt“ werden, ebenso wie Aggression in Angst. (S. 451)
Der Patient fühlt sich festgefahren, hat aber Angst vor Bewegung. Dies ist die Grundlage der Katatonie. Er kann sich buchstäblich nicht bewegen. Er sagt: „Ich verbringe die Hälfte meiner Zeit damit, Entscheidungen zu treffen.“ Er befürchtet, daß er sich niemals wieder zusammensetzen kann, wenn er sich in der Therapie öffnet. Er sagt, es würde einen „Abgrund“ öffnen, eine „Büchse der Pandora“.

Die Frage der Kontrolle ist ein dominierendes Merkmal in der Behandlung. Seine Katatonie drückt sich als extreme Selbstbeherrschung aus. Die seiner paranoiden Schizophrenie zugrundeliegende phallische Charakterstruktur manifestiert sich in Versuchen, mich und den therapeutischen Prozeß zu kontrollieren. Auf diese zwei Arten, die Kontrolle über sich selbst und über andere, bewältigt er seine überwältigende Angst. Die Infragestellung seines Bedürfnisses nach Kontrolle würde ihm beweisen, daß ich ihn nicht verstehe, was seine Angst und sein Mißtrauen verschärfte. Dies steht im Gegensatz zu dem Wunsch zu dominieren, wie beim phallischen Charakter. Der therapeutische Ansatz beim Schizophrenen ist somit das Gegenteil des Ansatzes beim phallischen Charakter, wo man nicht zulassen darf, daß er die Kontrolle übernimmt.

Das Ausmaß seiner Paranoia ist tiefgreifend. Er sagt: „Das stärkste Gefühl, das ich fühle, ist Angst. Und ich fühle es die ganze Zeit.“ „ Wenn meine Emotionen aufgewühlt sind, beginne ich, nach dem Feind zu suchen.“ Er beschreibt die „nie endende Suche nach dem, was mich erledigen will“. „Es hat nie eine Zeit gegeben, in der der Ausdruck meiner Gefühle, nicht ein Fehler gewesen wäre.“ „Man kann niemandem vertrauen. Jedes Mal, wenn ich jemandem vertraut habe, hat es sich gerächt.“ Zum Beispiel beschrieb er, wie er zwei Freunden neunzig Minuten vor der Ankündigung seiner ersten Frau, sie würde ihn nach fünfzehn Jahren Ehe verlassen, sagte: „Meine Frau und ich haben die perfekte Beziehung.“ In einer anderen Sitzung sagte er: „Alles, was ich will, ist sehr einfach. Ich möchte wissen, was passieren wird. Das Schwierigste, was ich ertragen kann, ist Unsicherheit.“

Oft ist der paranoid-schizophrene Charakter nicht ausreichend muskulär gepanzert, kombiniert mit einem signifikanten (primären) Augenpanzer. Wenn dies auftritt, wird das Individuum leicht von Angst überflutet. Herr B. sagt: „Ich lebe auf einer Klippe, bin immer am Rande einer großen Gefühlssache.“ Wenn er ängstlich ist, verzerrt der okulare Panzer die Wahrnehmung, was zu überladener, paranoider Gereiztheit und Zwangsgedanken führt. Erregung und Wahrnehmung sind im Schizophrenen relativ robust und unbeeinträchtigt, aber voneinander abgespalten. Bei diesem Patienten verwandelt sich der größte Teil seiner Erregung im Behandlungsraum in Wahrnehmung und bleibt dann dort hängen. Es ist, als ob er seinen Körper verläßt und uns von der Tapete aus beobachtet. Er beschreibt seine Depersonalisierung als das Gefühl, „mein Körper sei eine Marionette“. „Manchmal fühle ich mich als wäre mein ganzes Leben eine Halluzination.“

Reich führt aus:

Im gepanzerten Neurotiker (…) [sind] die Plasmaströmungen weitgehend reduziert und liegen somit unterhalb der Schwelle der Selbstwahrnehmung („Totheit“). Im Schizophrenen hingegen bleiben die Plasmaströmungen stark und ungestört; doch ist ihre subjektive Wahrnehmung gestört und abgespalten. Die Funktion der Wahrnehmung ist bei ihm nicht unterdrückt, aber auch nicht mit dem Strömen vereint. Die Funktion der Selbstwahrnehmung erscheint (…) sozusagen „heimatlos“ (...) (Reich 1949, S. 570)
Die Spaltung kann entweder dazu führen, daß Energie der Wahrnehmung entzogen und in übermäßige, emotional kontaktlose Erregung umgeleitet wird (beim „Erregungs-Schizophrenen“), oder umgekehrt, daß Energie der Erregung entzogen und in übertriebene und verzerrte Wahrnehmungen umgeleitet wird (beim „Wahrnehmungs-Schizophrenen“) (Konia 2004b, S. 94). Die Trennung führt auch dazu, daß Emotionen und Sensationen nicht richtig wahrgenommen werden können.

Durch Verwirrung und Perspektivlosigkeit belastet, profitiert der Schizophrene von der Klärung durch den Therapeuten. Einmal habe ich mich dafür entschuldigt, daß ich ihm erzählt habe, daß etwas, was er gesagt hat, „offensichtlich“ sei. Er antwortete: „Zögern Sie nicht, mir zu sagen, was ‚offensichtlich‘ ist. Sie können sich sicher sein, daß die offensichtlichsten Dinge die Dinge sind, die ich nicht bemerke.“ Aufgrund der Unverträglichkeit des Patienten gegenüber Emotionen „verwandeln“ sich diese leicht in übertriebene Sinneserlebnisse wie überanalytisches Denken oder Überempfindlichkeit gegenüber anderen Menschen. „Es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen Gedanken, die von Emotionen ausgehen, und solchen, die von Sensationen ausgehen. Gedanken, die von Emotionen abgeleitet sind, enthalten mehr Gefühl und werden als tiefer empfunden. Gedanken, die aus der Sensation entstehen, sind intellektueller und oberflächlicher“ (Konia 2004b, S. 99).

Manchmal verbindet sich die abgespaltene, übererregte, nicht integrierte Erregung im leicht gepanzerten Körper des Schizophrenen mit der Tendenz, Emotionen in körperliche Sensationen oder in Gedanken umzuwandeln, die hypochondrische Ideen oder sogar somatische Wahnvorstellungen hervorrufen, begleitet von verschiedenen körperlichen Beschwerden wie Magenverstimmung oder Kurzatmigkeit. Zu Beginn einer Sitzung sagte mein Patient, daß er, wenn er das Haus verläßt, entschlossen sei im Therapieraum zu brüllen und zu schreien, kann dann aber nicht, nachdem er angekommen ist. Während der Sitzung sagte er: „Ich geh durchs Leben und tue so, als ob es mir gut ginge“ und fing an, sich über Gesichtsverspannungen und Kopfschmerzen zu beklagen. Ich erklärte ihm, daß er spüre, wie sein Schrei zurückgehalten werde. Obwohl dies nicht dazu führte, daß er schreien konnte, half es ihm, seine eigene Erregung wahrzunehmen. Anschließend bemerkte er die Stauung und emotionale Aufladung in seinem Kopf und sagte: „Mein Kopf fühlt sich an, als wäre er voller Watte.“

Er erkennt seine Unverträglichkeit gegenüber Emotionen an und sagt: „Es ist fast unmöglich, einfach nur zu fühlen. Etwas, ein Widerstand, hält mich davon ab, etwas anderes zu tun, als meine Gefühle zu beschreiben, statt sie zu fühlen bzw. auszudrücken. Zum Beispiel kann ich sagen, daß ich wütend bin, aber ich kann es nicht herausschreien. Ich kann mir vorstellen, wie ich auf den Boxsack einschlage, aber ich kann es nicht tun, ich kann nicht zulassen, es in meinem Körper zu spüren. Es ist wie Höhenangst, von einer Klippe zu springen. Wenn ich alles rauslasse, kann ich es nicht mehr zurück in die Flasche kriegen.“ So bleibt er „festgefahren“ und sicher im Bereich der Sensation und vermeidet Emotionen. Es gibt einen qualitativen Unterschied zwischen dem Schizophrenen, der sich von Emotionen distanziert, und dem Intellektualisieren als Abwehr, die man bei anderen Charaktertypen findet. Obwohl der Schizophrene das Intellektualisieren nutzen kann, unterscheidet sich seine Funktion und seine Qualität normalerweise von der beim Neurotiker. Während zum Beispiel das Intellektualisieren, das man bei manchen Phallikern findet, direkt als ödipale narzißtische Abwehr betrachtet werden kann, um andere Menschen zu kontrollieren und zu dominieren, ist das Intellektualisieren des Schizophrenen oft eine autistische Introversion, wie ein Umhang, den man benutzt, um sich vor der vollen emotionalen Erfahrung zu verstecken, mit einer anderen Person zusammenzusein. Obwohl das Intellektualisieren des Schizophrenen grandios und narzißtisch erscheint, ist es eher ein primitiver „okularer Narzißmus“ (Crist) als ein phallischer Narzißmus. Er kontrolliert, jedoch im Dienste von Distanz und Sicherheit, anstatt zu dominieren. Obzwar manchmal irritierend, kann es als okulare Rache betrachtet werden (Harman 2010) – „Du existierst nicht, du bist mir egal“ – der Furcht untergeordnet. Dies steht im Gegensatz zur phallischen Rache, die aggressiv ist: „Ich bin dir überlegen, ich werde dich dominieren und zerstören.“

Dieser Patient hat von den verbalen Interventionen der charakteranalytischen Therapie profitiert. Obwohl manchmal mit Intellektualisieren verwechselt, wird der Unterschied zwischen Wörtern, die im Dienst des Intellektualisierens gebraucht werden, und Wörtern oder Ideen, die mit Gefühlskontakt gebraucht werden, in der folgenden Passage bei Reich gut veranschaulicht:

Die vulgäre Meinung nimmt an, daß die Funktion des menschlichen Verstandes (...) eine absolut dem Affekt entgegengesetzte [ist] (...) Dabei wird zweierlei übersehen: daß erstens die intellektuelle Funktion selbst eine vegetative Tätigkeit ist, daß es zweitens eine Gefühlsbetonung der Verstandestätigkeit gibt, die keiner bloß affektiven Regung an Intensität nachsteht. (...) Der Intellekt kann also in den beiden grundsätzlichen Richtungen des psychischen Apparats, zur Welt hin oder von der Welt weg, tätig sein; er kann ebenso mit lebhaftestem Affekt gleichgerichtet korrekt funktionieren wie auch sich dem Affekt kritisch gegenüberstellen. Zwischen Intellekt und Affekt besteht keine mechanisch, absolut gegensätzliche, sondern wieder eine funktionelle Beziehung. (Reich 1949, S. 412f, Übersetzung verbessert)
Eine Person kann sowohl mittels einem Gedanken oder einer Idee als auch mit einer Emotion Kontakt aufnehmen. „Denken entsteht durch die Wahrnehmung körperlicher Empfindungen und Emotionen“ (Konia 2004a, S. 101). „Ideen entstehen durch die Wahrnehmung von körperlichen Sensationen und Emotionen“ (Konia 2004b, S. 93). „Das Wort ‚Fühlen‘ (...) gehört nicht nur zu den Emotionen, sondern auch zu Sensationen und auch zu Ideen“ (Konia 2001, S. 84). Die kontaktvolle Kommunikation von Gedanken und Ideen kann mit einer Amöbe verglichen werden, die bei der Erforschung ihrer Umgebung ein Pseudopodium bildet (Crist, persönliche Mitteilung). Kontaktvolles Sprechen und Denken erfordern den Kontakt mit Emotionen und Sensationen (Wahrnehmungsfunktionen des Autonomen und Zentralen Nervensystems) (Konia 2001, S. 81), die sich selbst aus plasmatischen, energetischen Bewegungen ableiten. Wie Reich schrieb:

Es ist offenkundig, daß die Sprache in ihren Wortbildungen sich an die Wahrnehmung innerer Bewegungszustände und Organempfindungen anlehnt und daß die Worte, die emotionelle Zustände beschreiben, die entsprechenden Ausdrucksbewegungen des Lebendigen unmittelbar wiedergeben. (Reich 1949, S. 475) Die Tatsache, daß sich biophysiologische Zustände in psychischen Verhaltensweisen spiegeln oder präsentieren, ist ein Phänomen, das durchaus in der Linie unserer Kenntnis (…) liegt (…), daß sowohl der Sprachgebrauch wie auch die Empfindung, die man vom Verhalten eines anderen bekommt, in einer anscheinend gesetzmäßigen Weise gänzlich unbewußt den betreffenden physiologischen Zustand nicht nur bildlich, sondern vielmehr unmittelbar wiedergibt. (Reich 1949, S. 439, Hervorhebungen hinzugefügt)
Die obigen Zitate veranschaulichen, wie die Worte des medizinischen Orgontherapeuten ein mächtiges Instrument sein können, wenn sie verwendet werden, um den Charakterpanzer anzugehen. Die Tatsache, daß Wörter von Emotionen und Sensationen abgeleitet sind, bedeutet, daß das Gegenteil auch wahr ist: Die Wörter des Therapeuten können Emotionen und Sensationen im Patienten stimulieren, d.h. biophysische Erregungen. Dies ist aus alltäglichen Erfahrungen mit Menschen bekannt. Wörter können aufmunternd oder einschläfernd sein, sie können schaden oder heilen, d.h. sie können den Panzer verstärken oder dazu beitragen ihn aufzulösen, was bedeutet, daß Wörter biophysisch wirksam sind. Dies erklärt zum Teil die Wirksamkeit der charakteranalytischen Therapie. So entdeckte Reich auch die Vegetotherapie. Er beobachtete, daß seine charakteranalytischen Interventionen bei Patienten autonome, physiologische Reaktionen hervorrufen können. Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, daß die Erfahrung des Patienten, Dinge in Worte zu fassen, ihm hilft, mit seinen eigenen Emotionen und Sensationen in Kontakt zu treten und Wahrnehmung und Erregung zu integrieren. („Die Kommunikation des Denkens durch Sprache beinhaltet die Integration der Organe des Sprachapparats in den Gesamtorganismus.“ Konia 2004a, S. 101)

 

Diskussion

Ein korrektes Verständnis des Charakters ermöglicht die Entwicklung eines konstruktiven Verhältnisses zwischen Patient und Therapeut. Die Fehler des Therapeuten können zu einem Bruch im Kontakt führen. Wenn man beispielsweise einem Phalliker erlaubt, die Kontrolle über eine Sitzung zu übernehmen, kommt es zu Mißachtung gegenüber dem Therapeuten, zu mangelndem Fortschritt und schließlich zu einem Abbruch der Therapie. Umgekehrt kann gemeinhin der Versuch, dem Schizophrenen die Kontrolle zu entziehen, dazu führen, daß er sich mißverstanden und unsicher fühlt. Der Patient wird dann wahrscheinlich in Panik geraten und es kommt zur Spaltung (der Erregung von der Wahrnehmung), wodurch er sich emotional zurückzieht und/oder aus der Therapie flieht. Der Therapeut kann infolge einer Gegenübertragung entweder überkontrollierend oder passiv sein. Da der Kontakt mit dem Patienten fehlt, mangelt es in beiden Fällen an Autorität, da sich diese aus dem richtigen Verständnis des Charakters und seiner therapeutischen Anwendung ergibt: Beim Phalliker wird die Autorität des Therapeuten unter anderem durch das Verhindern begründet, daß der Phalliker die Kontrolle übernimmt. Beim Schizophrenen beruht die Autorität des Therapeuten auf einem kontaktvollen Verständnis der Natur des Schreckens des Patienten vor Bewegung und der Angst, überwältigt zu werden.

Diese Falldarstellung zeigt, wie emotional krank eine Person sein und trotzdem auf hohem Niveau auf vielfältige Weise funktionieren kann. Dieser Patient konnte in einem herausfordernden und wettbewerbsintensiven Bereich ein sehr hohes Leistungsniveau erreichen. Das konventionelle psychiatrische Diagnosesystem, das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (Handbuch für psychische Störungen), hat überhaupt keinen Zugang zu diesen Menschen. Niemand weiß, was in ihrem Kopf (oder in ihrem Körper) vor sich geht. Für die Menschen in ihrem Leben scheinen sie nur ein weiterer „Homo normalis“ zu sein (Reich 1949, S. 399-401). Aber Herr B. erlebt das Leben nicht wie ein gewöhnlicher Neurotiker. Er hat Angst, mein Büro am Ende jedes Termins zu verlassen. „Ich muß da rausgehen und so tun, als wäre ich nicht krank vor Angst, als wäre ich normal.“

Zum Glück ist er nicht bereit, sich mit einer konventionellen, oberflächlichen psychiatrischen Behandlung zufriedenzugeben. „Ich möchte meine Realität spüren, obwohl alles durcheinander ist.“ Er berichtete, daß er aufgrund der Behandlung „weniger ängstlich, depressiv und wütend“ ist und daß sich seine Beziehung zu seiner Frau verbessert hat. Auch hat er begonnen mehr zu schlafen, nachdem er jahrelang selten mehr als vier oder fünf Stunden pro Nacht geschlafen hatte. Dies ist ein Zeichen für eine verminderte Gereiztheit und eine erhöhte Toleranz gegenüber den expansiven Prozessen, die während des Schlafs auftreten (Harman 2007, S. 7). Er hat begonnen, seinen Ärger in der Therapie freier auszudrücken, und sein Gedankenstrom ist weniger zwanghaft organisiert, d.h. er ist eher bereit, von Thema zu Thema zu wandern, was ein weiteres Indiz für eine verminderte Gereiztheit ist. Er läßt in seinen Sitzungen auch mehr Ruhephasen zu, die die Möglichkeit bieten, tiefere Emotionen zu entwickeln und das Gewahrsein für körperliche Empfindungen zu stärken, im Gegensatz zu ängstlichem, zwanghaftem Sprechen. Obwohl sich sein Fortschritt oft langsam und frustrierend anfühlt, erklärte er kürzlich: „Diese Therapie hält mich am Leben, hält mich vom Sterben ab.“

In der konventionellen medizinischen oder psychiatrischen Praxis würde bei diesem Patienten eine Major Depression diagnostiziert und mit einem Antidepressivum behandelt werden. Nur in der orgonomischen biopsychiatrischen Behandlung kann die wahre Natur und das Ausmaß seiner Beeinträchtigung wahrgenommen und verstanden werden. Dieses Verständnis und das des Charakters ermöglichen es dem Therapeuten, über die Ebene der bewußten Erfahrung hinaus effektiv auf die vegetativen, emotionalen Tiefen des menschlichen Organismus zuzugreifen. Das Auftreten von Gesundheit, auch bei den am stärksten gestörten Personen, folgt gesetzmäßig.

 

Literatur

  • Crist P: persönliche Mitteilung
  • Harman R 2007: The Autonomic Nervous System and the Biology of Sleep (Part I). Journal of Orgonomy 41(1):7-49
  • Harman R 2010: persönliche Mitteilung
  • Holbrook D 2009: Word Language: Character Analysis in the Early Stages for Medical Orgone Therapy. Journal of Orgonomy 43(1):33-38
  • Holbrook D 2010/2011: A Schizophrenic Approaches the Couch. Journal of Orgonomy 44(2):7-21
  • Konia C 2001: The Biophysical Basis of Sociopolitical Thought. Journal of Orgonomy 53(1):80-87
  • Konia C 2004a: Applied Orgonometry II: The Origin and Function of Thought. Journal of Orgonomy 38(1):101-111
  • Konia C 2004b: Applied Orgonometry III: Armored Thought. Journal of Orgonomy 38(2):93-100
  • Reich W 1949: Charakteranalyse, Köln: KiWi, 1989

 

zuletzt geändert
10.11.19

 

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