W W W . O R G O N O M I E . J I M D O S I T E . C O M

 

Facebook-Einträge von David Holbrook, M.D.

 

 

 

 

Über Wut

David Holbrook, M.D.

 

Wut ist eine Form der Anhaftung (und, nein, ich bin kein Buddhist).

Feindseligkeit garantiert eine gestörte Beziehung zu einer anderen Person.

Warum also wütend oder feindselig sein? Es ist nur eine große Verschwendung.

Mein Punkt ist also, daß es Sinn machen würde, eines von zwei Dingen zu tun: entweder eine Diskussion über die Meinungsverschiedenheiten zu führen, die nicht voller Wut ist; oder auf der anderen Seite einfach davon abzusehen, sich auf etwas einzulassen. Ich denke, ersteres ist normalerweise besser, und wenn man seinen eigenen Ärger nicht beherrschen kann, ist letzteres die bessere Wahl.

Weiteratmen! Atme aus!

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Zu dieser Aussage wurde ich von dem Problem angeregt, daß Menschen nicht in der Lage sind, über Politik zu diskutieren, ohne wütend zu werden.

Ich habe auch in meiner klinischen Praxis gesehen, wie Menschen in ihrer Wut auf ein Familienmitglied in einer Weise feststecken, die den Patienten daran hindert, sich vorwärtszubewegen.

Es ist schwierig, dies zu beschreiben, da ich im allgemeinen in den allermeisten Fällen der Meinung bin, daß es gesund ist, über seine Wut in der Therapie zu sprechen und sie auszudrücken. Aber es gibt ein paar Leute, bei denen der Zorn auf eine bestimmte Person wirklich im Kopf steckt, und mir ist aufgefallen, daß sie die dysfunktionale Beziehung tatsächlich am Leben erhalten, indem sie ständig davon besessen sind; und sie bleiben in der Beziehung stecken, obwohl die Beziehung höchst dysfunktional und schädlich für sie ist.

Es hat damit zu tun, daß man den Versuch, die andere Person in der gestörten Beziehung dazu zu bringen, einen zu lieben, nicht aufgeben kann. Es ist in der Regel ein Elternteil oder ein Ex-Ehepartner oder Liebhaber. Der Patient erhält die gestörte Beziehung tatsächlich aufrecht, indem er sie nicht loslassen kann. Daher habe ich festgestellt, daß in diesen Szenarien die Wut des Patienten gegenüber dieser Person die dysfunktionale Beziehung tatsächlich am Leben erhält. Es ist eine Form der Anhaftung.

Man sieht dies bei Menschen, die ständig über bestimmte politische Persönlichkeiten nachdenken. Die politische Figur lebt im Kopf der Person! Und ihr Zorn gegenüber der politischen Figur ist tatsächlich eine Form der Anhaftung gegenüber dieser Figur, die sie angeblich hassen. Es ist eine Art sadomasochistischer Beziehung im Kopf der Person, die sie unbewußt verewigt.

Man sieht dies bei der Paranoia, aber es scheint auch bei Menschen zu passieren, die nicht besonders anfällig für Paranoia sind. In diesen Fällen kann es sein, daß die politische Figur in der Person etwas aus ihrer eigenen persönlichen Geschichte auslöst.

Nebenbei: Im Laufe der Jahre ist mir aufgefallen, daß Paranoia oft eine Art paradoxer Wunsch zu sein scheint: die paranoide Person ist besessen von Menschen, von denen die Person denkt, daß sie hinter ihr her sind oder sie kritisieren oder ähnliches. Mir ist oft in den Sinn gekommen, daß dies fast wie ein Wunsch nach Aufmerksamkeit wirkt. Es ist eine Form der Anhaftung, die vielleicht der eines wütenden Babys ähnelt, das nach seiner Mutter schreit, aber dessen Mutter niemals kommt. Vielleicht wird das Bild der abwesenden Mutter zu einem Bild des Verfolgtwerdens, weil das Kind seine eigene Wut auf die abwesende und lieblose Mutter projiziert.

Ich stelle mir den paranoid-schizophrenen Charakter oft als „das wütende Baby im Raum“ vor, das allein gelassen wurde, niemand da ist, es zu lieben, oder um es vor seinem Entsetzen und seiner Wut zu retten, allein und ungeliebt zu sein.

 

Wut und Rache

Als Antwort auf diejenigen, die Wut und Rache im demokratischen politischen Prozeß befürworten:

Wir können sehen, daß menschliche Denksysteme mit Toleranz verbunden sind, solange sie an Wirklichkeiten haften. Je weiter sich der Denkprozeß vom Wirklichen entfernt, desto mehr Intoleranz und Grausamkeit ist erforderlich, um seine Existenz zu sichern. (Reich, W.: Äther, Gott und Teufel. Frankfurt: Nexus, 1983, S. 16)
Demokratie ist nicht möglich unter den Bedingungen, die diese Leute befürworten. Unter diesen Voraussetzungen wird es möglich, dafür einzutreten, daß der Zweck jedes Mittel rechtfertigt. So wird es zum Beispiel möglich, die Untergrabung und Zerstörung des demokratischen Prozesses und Systems zu rechtfertigen, wenn die Demokratie die Umsetzung bestimmter Politiken blockiert, die jemand für äußerst wichtig hält. Das ist Bauernfängerei und ein Pakt mit dem Teufel. Wenn wir die Probleme, die wir auf der Erde haben, lösen wollen, brauchen wir dafür intakte Demokratien. Sonst ist alles verloren.

Deshalb denke ich, daß die Menschen, die für Wut und Rache eintreten, damit aufhören sollten, bevor es zu spät ist. Sonst werden sie das Kind mit dem Bade ausschütten.

 

Politik und Emotion

Es gibt eine Überfülle an Information, aber irgendwie können sich Leute mit gegensätzlichen Ansichten immer noch nicht darüber einigen, welche davon sachlich sind und welche davon eine Art von Fake News. Stattdessen gehen die Leute davon aus, daß die andere Seite unaufrichtig ist und lügen muß, auch wenn mir offensichtlich zu sein scheint, daß alle aufrichtig glauben, sie hätten Recht.

Die Internettechnologie hat es uns ermöglicht, die Informationen zu finden, von denen wir angezogen werden, und gleichzeitig die Informationen zu vermeiden, von denen wir nicht angezogen werden. Im Grunde hat uns das Internet ermöglicht, virtuelle Gemeinschaften, sogar virtuelle „Gesellschaften“, zu schaffen, die unserem Temperament, unserer Persönlichkeit und unserer ideellen Zugehörigkeit entsprechen. Einerseits gibt uns das die Freiheit, unsere eigenen Interessen zu verfolgen und Menschen mit ähnlichen Ansichten zu finden, auf der anderen Seite hat es uns balkanisiert.

Und was die Frage nach der Wahrnehmung der Wahrheit betrifft: Natürlich geht es darum, wie die Fakten von den eigenen vorgefaßten konzeptuellen Rahmenbedingungen, von denen ein Teil emotionaler Natur sind, ausgewählt, gefiltert und interpretiert werden. Ich bin mir nicht sicher, wie ich „emotional“ in diesem Zusammenhang beschreiben soll: Was meinen wir hier überhaupt, wenn wir das Wort „Emotion“ gebrauchen? Ich nehme an, ein Weg es zu beschreiben wäre, über „Temperament” zu sprechen. Eine andere Art zu erklären, was wir in diesem Zusammenhang unter „Emotion” verstehen, wäre, über die Beurteilung der Persönlichkeit mit Instrumenten wie dem Myers-Briggs(1) zu sprechen. Der Psychiater Wilhelm Reich beschrieb es als „Charakter“, der sich auf die gesamte psychologische Struktur einer Person bezieht und sich auch im Tonus und Funktionieren des autonomen Nervensystems der Person widerspiegelt.

Damit möchte ich darauf hinweisen, daß die Art und Weise, wie wir Fakten in unserem Gehirn organisieren, sehr stark von Persönlichkeit, Temperament und Charakter beeinflußt wird. Zum Beispiel hat es Studien gegeben, die zeigen, daß Temperament mit politischer Überzeugung korreliert. Es gab telefonische Befragungen von Menschen in verschiedenen Bundesstaaten, die zeigten, daß die Art und Weise, wie sie Fragen beantworten, die das Temperament offenbaren, damit korreliert, ob es sich um einen roten (Demokratischen) oder einen blauen (Republikanischen) Bundesstaat handelt. Mit anderen Worten, das durchschnittliche Temperamentprofil in einem gegebenen Bundesstaat sagt voraus, ob dies ein roter oder ein blauer Bundesstaat ist und umgekehrt. Das ist es, was ich mit „Emotion“ meine, die die Art und Weise beeinflußt, wie der Verstand Fakten sortiert und organisiert.

Darüber hinaus ist bekannt, daß Merkmale hinsichtlich der Emotionen, des Temperaments und der Persönlichkeit eine genetische Basis haben, die mindestens 40% der Varianz ausmacht. Politik ist also zumindest teilweise „biologisch“. Man könnte spekulieren, daß sich unterschiedliche Temperamente (die mit unterschiedlichen politischen Überzeugungen korrelieren) entwickelten, weil es für die menschliche Spezies vorteilhaft war, bestimmte Prozentsätze von Menschen konservativen und liberalen Temperaments zu haben. Tatsächlich – und ich bin mit dieser Forschung nicht so vertraut, wie ich es gerne wäre – korrelieren Merkmale hinsichtlich Temperament bzw. Persönlichkeit, die als konservativ oder liberal bezeichnet werden könnten, nicht immer mit der politischen Zugehörigkeit, obwohl, wie ich oben beschrieben habe, anscheinend meistens eine Korrelation vorliegt.

Die Beziehung zwischen Emotion/Temperament/Persönlichkeit und politischem Glauben zeigt sich auch in der Tatsache, daß wir unsere politischen Gegner tendenziell als persönlich unangenehm oder in irgendeiner Weise als mit einem Makel behaftet ansehen, was manchmal sogar in dem Gefühl mündet, daß wir mit dieser Person nicht mehr befreundet sein können. Wir werden auch im Fernsehen Politiker, die wir nicht mögen, anschauen und Persönlichkeitsmerkmale kritisieren, die wir in ihnen sehen. Wir betrachten also Politik als eine charakterologische und manchmal moralische Frage (und die Moral ist natürlich ein Merkmal der Persönlichkeit).

Also, was tun? Wenn all dieses Zeug im Grunde genommen unfreiwillig ist, weil es irgendwie biologisch verdrahtet ist, wie sollen wir dann alle miteinander auskommen? Wie sollen wir überhaupt wissen, was die Wahrheit ist?

Ein Leitfaden, den ich verwende, ist, daß ich vermute, irrationale Überzeugungen erforderten viel mehr irrationale Emotionen, um aufrechterhalten zu werden. Wenn ich demnach bemerke, daß jemand auf eine feindselige oder hysterische Art und Weise sehr emotional wird, während er über etwas Politisches spricht, ist dies für mich ein Beweis dafür, daß seine politischen Ansichten psychologisch betrachtet eine Abwehr darstellen. Mit anderen Worten, wenn eine Reihe von Überzeugungen mit einer derartigen emotionalen Wildheit verbreitet oder verteidigt werden müssen, ist das möglicherweise ein Zeichen dafür, daß die Überzeugung wirklich nicht rational begründet ist? Ich glaube schon. Es scheint mir, daß man, wenn man wirklich die Wahrheit über etwas versteht, nicht so sehr das Bedürfnis hat, sich darüber aufzuregen und feindselig zu verhalten, selbst wenn das betreffende Thema superwichtig ist. Ich sage das, weil es definitiv nicht möglich ist, jemanden von der Richtigkeit seiner Ansichten zu überzeugen, wenn er übermäßig emotional involviert ist! Es bringt die andere Person in eine Abwehrhaltung und es ist tatsächlich für die eigene Position kontraproduktiv!

Wenn jemand versucht, jemanden anderen dazu zu zwingen oder so einzuschüchtern, daß er einem Standpunkt zustimmt, ist das für mich ein Zeichen der Unsicherheit; mit anderen Worten, ein Zeichen dafür, daß der Betreffende tatsächlich einige unbewußte Zweifel an der Wahrheit seiner eigenen Ansichten hat. Es scheint mir, daß jemand, der sich der Wahrheit seiner Ideen ganz sicher wäre, mehr Vertrauen darin hätte, daß die Wahrheit am Ende siegen wird. Es wäre also nicht nötig, seine Ideen irgendjemandem aufzudrängen. Darüber hinaus würde der Betreffende erkennen, daß ein negativer, feindseliger und mit Zwang vorgebrachter Standpunkt die Möglichkeit der Verbreitung der Wahrheit untergräbe. In Anbetracht dessen wäre die betreffende Person in ihrer Herangehensweise ruhig, sanft und freundlich, um die Wahrheit so schnell wie möglich zu verbreiten.

Ich mag dieses Zitat des Psychiaters Wilhelm Reich. Ich habe es schon einmal gepostet, aber ich denke, es lohnt sich, folgendes zu wiederholen:

Wir können sehen, daß menschliche Denksysteme mit Toleranz verbunden sind, solange sie an Wirklichkeiten haften. Je weiter sich der Denkprozeß vom Wirklichen entfernt, desto mehr Intoleranz und Grausamkeit ist erforderlich, um seine Existenz zu sichern.

 

Cartoon-Politik

Es gibt einen sehr wichtigen Aspekt der politischen Debatte, über den ich wahrscheinlich schon einmal geschrieben habe; aber ich glaube nicht, daß ich ihn so direkt und klar formuliert habe: Was im politischen Diskurs völlig fehlt, ist die Wahrnehmung und Anerkennung der Tatsache, daß jeder auf allen Seiten es ehrlich meint! Sie glauben tatsächlich, was sie sagen! Das ist völlig offensichtlich; und doch „entscheiden wird uns“ irgendwie, diese Tatsache zu übersehen. (Eigentlich ist es leider keine Wahl; es muß unbewußt sein. Dazu später mehr.)

Anstatt uns mit der offensichtlichen Tatsache auseinanderzusetzen, daß alle aufrichtig sind, denken wir über diejenigen, die nicht mit uns übereinstimmen, als seien sie etwas ähnliches wie Shakespeares Richard der Dritte und stellen sie entsprechend dar: durchtriebene Schurken und machiavellistische Heuchler, die sich daran erfreuen, andere in die Irre zu führen und böse zu sein. Wow! Bist du so verdammt faul, daß du nicht erkennen kannst, daß es einfach nicht so verdammt einfach ist?! Werde erwachsen!!

„Aber Dave, diese Themen sind so, so wichtig! Dies ist eine Krise! Wir müssen handeln!“

Um so mehr ein Grund, klar zu denken!!

Ich verstehe nicht, warum wir uns nicht völlig vor uns selbst schämen, weil wir so unglaublich faul sind intellektuell! Wir stellen unsere politischen Gegner als Cartoon-Figuren, als Karikaturen dar.

Das ist eine äußerst oberflächliche Art, andere wahrzunehmen. Es ist so offensichtlich falsch. Wie können wir es uns und anderen erlauben, das Gegenüber so schwachsinnig zu behandeln und sie so wahrzunehmen! Wir verhalten uns wie Kinder!!! Kommt schon, Leute! Wacht auf!!!

Die unbequeme Realität ist, daß es viel komplexer ist als die Cartoon-Version. Die Cartoon-Version ist einfach viel zu einfach. Hört auf, so verdammt faul zu sein! Kommt schon, Leute, um Gottes willen, gebt euch ein bißchen intellektuelle Mühe und seht, was direkt vor euch liegt! Seid ihr derartig dumm, um nicht zu erkennen, daß diejenigen, die nicht mit euch übereinstimmen, wirkliche, echte Menschen sind, keine Karikaturen, keine Zeichentrickfiguren, echte Menschen, die genauso klug sind wie ihr, die aber zufällig anderer Meinung sind.

Wir sind eine Nation von Kleinkindern! Ich schäme mich, in der gleichen Welt wie Ihr alle zu leben! Werdet erwachsen!!

Wißt ihr was? Jeder genießt das Drama einfach viel zu sehr!! Beruhigt euch verdammt noch mal! Reißt euch zusammen! Es ist wie eine Art Kampf in der Vorschule: „Bähhh, er hat angefangen!“

Und jetzt kommt noch eine ganz andere Schwierigkeitsstufe hinzu: Ich habe eigentlich keinerlei Rechtfertigung dafür, wütend auf dich zu sein!! Weißt du warum?! Weil du gar keine Ahnung davon hast, was du da eigentlich machst!! Und so, nach meiner eigenen Logik, deute ich dummerweise an, daß du für etwas verantwortlich bist, das du gar nicht mit Absicht tust! Zumindest auf einer gewissen Ebene begehe ich also denselben dummen Fehler wie du, wenn du anderen Leuten die Schuld dafür gibst, daß sie „absichtlich“ nicht mit dir übereinstimmen.

Aber hey, zumindest versuche ich, auf etwas hinzuweisen, das unbedingt hervorgehoben werden muß:

Wir müssen eine Haltung der Neugierde gegenüber anderen Menschen kultivieren. Das ist der einzige Weg, um unsere Differenzen zu überwinden! Das garantiere ich! Es gibt keinen anderen Weg! Wahlen allein werden das Problem nicht lösen (es sei denn, wir beruhigen uns und setzen Vertrauen und ehren den demokratischen Prozeß).

Wenn ich jetzt „Neugier“ sage, stelle ich mir vor, daß viele Menschen das Gefühl haben werden: „Das ist doch nur irgendein schwachsinniges Psychogebrabbel! Das ist verdammt ernst! Das ist Politik!” Aber ich meine das sehr ernst. Die Politik ist extrem emotional. Solche Dinge sind irgendwie fest oder sehr tief in unserem Gehirn verankert. Der einzige Weg, wie wir miteinander auskommen können, ist also, daß wir wirklich verstehen, was in jedem von uns vor sich geht, verdammt noch mal.

Ich weiß, es ist extrem frustrierend. Man wird wirklich ungeduldig, man wird wütend, man wird kurzatmig, man wird frustriert. Aber jeder muß verdammt nochmal ausatmen!

Nur wenn wir zu einer Art Verständnis dafür kommen, wie wir zu unseren Überzeugungen gelangen und warum wir uns so stark und emotional an sie klammern, werden wir in der Lage sein, vorwärts zu kommen. Und wir sind weit, weit davon entfernt, dieses Verständnis zu erreichen.

Wir müssen uns gegen oberflächliche Positionierungen und Schlußfolgerungen wehren! Es funktioniert nicht!!!

Und warum läßt du dich drauf ein, diejenigen, die nicht mit dir übereinstimmen, in Zeichentrickfiguren zu verwandeln? Weil es einfach ist!!!

Du solltest dich schämen.

Der Kaiser hat keine Kleider, Leute! Hör auf, mit dem Finger auf andere zu zeigen! Du selbst bist das Problem, weil du dich weigerst, das offensichtliche zu sehen, nämlich daß die Karikaturen, die du in deinem Kopf zur Rechtfertigung deiner lächerlichen, selbstgefälligen, melodramatischen Anfällen von blinder „Empörung“ erstellst, fiktiv sind!

 

Aufrichtigkeit und ihre Schwächen: Zur Paraphrasierung und andere unpolitischen Beobachtungen während der Anhörungen zur Amtsenthebung

Ich habe die Amtsenthebungsanhörungen aufgezeichnet und in den letzten anderthalb Wochen angeschaut. Ich habe die gesamten ersten drei Tage angeschaut und bin etwa ein Drittel des vierten Tages durchgegangen. Ich habe die Anhörungen aus verschiedenen Gründen sehr interessant gefunden. Einige der Gründe, warum ich die Anhörungen interessant finde, sind politischer Natur, aber andere Aspekte, die interessant sind (eigentlich der für mich faszinierendere Teil des Ganzen), haben mit grundlegenden Beobachtungen der menschlichen Natur zu tun.

Bevor ich zu den völlig unpolitischen Aspekten komme, möchte ich eine allgemeine, unparteiische Bemerkung zur politischen Ebene machen. Eines der Dinge, die ich an den Anhörungen mag, ist, daß man beide Seiten zu sehen bekommt. Es ist, als würde man CNN und MSNBC bei einer Debatte mit Fox News zuschauen. Egal, welcher Seite du dich zugehörig fühlst, in etwa 50% der Zeit, in der du deine Seite zu hören bekommst, versucht diese mit der anderen Seite zu debattieren; man kann es sich also ansehen, während es unerträglich wäre, nur dazusitzen und der Seite zuzusehen, die dir nicht zusagt. Ich habe mir oft gewünscht, daß es ein regelmäßiges Fernsehprogramm gäbe, bei dem der Zuschauer erleben könnte, wie die führenden Fernsehmacher beider Seiten miteinander debattieren. Für mich gibt es einige unausweichliche Schlußfolgerungen aus der Beobachtung der Anhörungen.

Nun zu dem, worüber ich wirklich ein Gespräch führen würde. Zu Beginn sei mir die allgemeine Bemerkung gestattet, daß die ganze Sache als Theater interessant finde. Ich habe es genossen, einfach nur zuzusehen und über die verschiedenen Charaktere nachzudenken. Es ist, als würde man Die zwölf Geschworenen (Originaltitel: 12 Angry Men, 1957) oder Wer den Wind sät (Inherit The Wind, 1960) or Wer die Nachtigall stört (To Kill A Mockingbird, 1962) sehen.

Kommen wir nun zu meinen Hauptpunkten. Eine Sache ist, daß es mir eine unausweichliche Schlußfolgerung zu sein scheint, daß eigentlich alle Seiten im Grunde aufrichtig sind in dem, was sie glauben. Echte Menschen sind nicht wie eine Art Richard der Dritte, der es genießt, böse zu sein und dem Publikum entsprechend köstliche Apartes („Beiseitesprechen“, entsprechend dem inneren Monolog in der Literatur) präsentiert. Kein wirklicher Mensch glaubt, daß er böse ist oder falschliegt. Es scheint mir offensichtlich zu sein, daß alle Seiten auf der tiefsten Ebene aufrichtig sind. Oberhalb dessen kommt es dazu, daß verschiedene Leute aufgrund politischer oder weltanschaulicher Voreingenommenheit Dinge verdrehen, verzerren, Auslassungen vornehmen oder Dinge herausfiltern oder anderes tun beim Versuch ihre Sache voranzubringen. Aber ich glaube, daß Menschen von einer Gewissen Warte der Aufrichtigkeit ausgehen. Ich verstehe wirklich nicht, wie ein vernünftiger Mensch dieser Schlußfolgerung ausweichen könnte, obwohl ich vermute, daß viele bzw. die meisten Menschen nicht zu diesem Schluß kommen.

Das ist wirklich ein wichtiges Thema, denn wir haben es dazu gebracht, daß wir die andere Seite für böse halten. Dieses Gefühl ist, glaube ich, im Wesentlichen Ergebnis unserer eigenen intensiven Frustration und unseres völligen Unglaubens, daß sie auf der anderen Seite die Dinge derartig falsch einschätzen können. Deshalb ist es einfacher mit all dem umzugehen, indem wir glauben, daß die andere Seite einfach nur verdammt böse ist. Nun, das ist intellektuell faul. Viel schwerer ist zu verstehen, wie verschiedenartige Menschen zu so radikal unterschiedlichen Schlußfolgerungen kommen können.

Eine andere Annahme, zu der wir neigen, ist, daß die andere Seite einfach frech lügt. Nun, ich denke auch dieser Glaube ist eine Folge von intellektueller Faulheit. Auch hier ist es viel einfacher, schlicht davon auszugehen, daß die andere Seite lügt, statt verstehen zu lernen, wie es sein kann, daß die Leute die Dinge so filtern können, daß sie unseren eigenen Ansichten zu 100% widersprechen.

Das Gefühl, daß die andere Seite lügt, beruht vielleicht zumindest teilweise auf einer bestimmten Art von Realität. Lügen Menschen unbewußt? Natürlich lügen sie. Wir alle tun es! Man bezeichnet das als Verleugnung, ein psychologischer Abwehrmechanismus! Aber es ist strenggenommen kein Lügen. Lügen ist etwas, das man bewußt tut.

Eine Sache, die ich in den Anhörungen beobachte und auf die sich all dies bezieht, ist, wie die menschliche Kommunikation und auch unsere inneren Denkprozesse mit dem durchtränkt sind, was ich als „Umschreibung“ bezeichnen würde. Seit einigen Jahren stelle ich fest, daß dieses Paraphrasieren ein grundlegender Aspekt der Funktionsweise des menschlichen Geistes ist, sowohl in gesunder als auch in ungesunder Weise. Wir halten uns selten strikt an die Beobachtung. Wenn man die Details ausläßt, gibt es das Problem der Überverallgemeinerung, des Impressionismus in der Argumentation, dessen, was ich als „mentale Paraphrase“ oder „gedankliche Paraphrase“ oder „konzeptuelle Paraphrase“ oder „dialogische Paraphrase“ zu bezeichnen pflege, zu der wir alle im Leben neigen. Bei so vielen politischen Dialogen geht es zum Beispiel darum, die andere Person in unseren Gedanken oder in unserer Reaktion auf die andere Person oder im Verständnis des behandelten Themas falsch zu paraphrasieren. Es ist die gleiche klassische Sache, die in der Ehetherapie passiert. Ehepartner „A“ sagt, daß manchmal Ehepartner „B“ Ehepartner A auf die Nerven geht. Der Therapeut fragt B, was A gerade gesagt hat. B sagt: „A hat gesagt, daß er mich haßt.“

Verstehen Sie, wovon ich spreche? Die ganze Anklageerhebung ist von A bis Z von diesem Dickicht der Paraphrasierung durchtränkt.

Diese Art fehlerhafter Umschreibung scheint in jeder emotionalen Situation, auch in zwischenmenschlichen, aufzutreten. Vielleicht könnte man sagen, daß emotionale Verarbeitung ihrem Wesen nach „paraphrasisch“ zu sein scheint. Manchmal ist die Paraphrase eine sehr genaue Destillierung/Summierung/Vereinfachung, manchmal verzerrt die Paraphrase und charakterisiert falsch.

Was ich hier als „Paraphrasieren“ bezeichne, hat eine gewisse Beziehung zu dem, was wir Intuition nennen, oder entspricht einer Art von Gestalt-Prozeß. Es bezieht sich auch darauf, wie wir über Dinge spekulieren, was wir über bestimmte Dinge annehmen oder schlußfolgern oder wie wir sie beurteilen. Es erinnert mich daran, wie frustrierend der Versuch sein kann, jemandem auseinanderzusetzen, warum die eigene politische Sichtweise sich von der des anderen unterscheidet – man meint, es sollte offensichtlich sein, warum man recht hat, und man ist erstaunt, bestürzt und alarmiert, daß der andere die Dinge anders sehen könnte. Und es scheint, daß es in diesen Situationen schwierig ist, die eigenen Überzeugungen auseinanderzunehmen und zu analysieren und sie bis zu ihren Wurzeln und verschiedenen Einzelheiten zurückzuverfolgen. Der Glaube ist das Produkt einer lebenslangen Erfahrung oder eines lebenslangen Studiums, und man kann nicht sehen, zumindest nicht auf respektvolle Weise, daß jemand anders denken könnte.

Ich denke, wir legen uns im Laufe unseres Lebens bequeme Gewohnheiten zu Dinge zu paraphrasieren, und landen am Ende bei Überzeugungen, die aus einem komplizierten Netz möglicherweise fehlerbehafteter Paraphrasen bestehen, die sich nur aufeinander, statt sich auf die direkte Beobachtung oder Erfahrung der Dinge zu beziehen.

Meiner Meinung nach ist es eine große Herausforderung, dieses Thema genau zu bestimmen und klar zu artikulieren. Das hier ist so ziemlich das Beste, was ich im Moment tun kann.

Ich bin nicht daran interessiert, die konkrete Anwendung dieser Gedanken zu erörtern, in bezug auf welche Seite des Amtsenthebungskampfes die Fakten richtig oder falsch oder genau sind oder die Fakten richtig präsentiert oder die Schlußfolgerungen richtig oder die Spekulationen richtig sind, usw., usw. Ich interessiere mich wirklich nur für das allgemeine menschliche Drama des ganzen und die Frage, wie wir alle unaufhörlich nicht nur einander, sondern auch den Inhalt unserer eigenen Gedanken umschreiben. Verstehst du, was ich damit sagen will?

 

Politische Köpfe

Obwohl die tatsächlichen Ereignisse in der politischen Sphäre interessant und wichtig und beunruhigend und belebend sind, ist das Interessanteste für mich, und das, was ich für das Wichtigste halte, die Frage, wie können die beiden Seiten so unterschiedlich denken?

Nun, das ist eine Frage der Sozialpsychologie oder der Individualpsychologie. Wie ich bereits geschrieben habe, ist die einfache und faule Herangehensweise, die wir praktisch alle verfolgen, daß wir einfach denken, die andere Seite sei böse oder hinterhältig oder hinterlistig oder dumm oder wahnhaft, usw., usw., usw. Aber die unausweichliche Realität ist, glaube ich, daß tatsächlich beide Seiten aufrichtig sind! Selbst wenn sie vielleicht böse oder hinterlistig oder was auch immer sind, ist für mich immer noch eindeutig, daß sie sich die meiste Zeit wahrscheinlich nicht einmal selbst so sehen! Ich denke immer an das, was ich als Schauspieler gelernt habe, nämlich daß ein Schauspieler eine Figur niemals so darstellen darf, als sei diese bewußt böse. Jeder Mensch rationalisiert seine Handlungen. Es gibt im wirklichen Leben keinen oder fast keinen „Richard den Dritten“, mit anderen Worten, Menschen, die ihre eigenen Handlungen als böse ansehen.

Das Interessanteste ist, wie ich schon sagte, die Frage, wie es sein kann, daß Menschen so unterschiedlich denken und die Tatsachen in ihren Köpfen so unterschiedlich ordnen können. Und ich glaube, daß das Denken an die Gegenseite als böse oder was auch immer nur eine völlige und totale Zeitverschwendung darstellt und sehr destruktiv ist. Ich versuche nicht, eine Art von Kumbaya-Haltung zu propagieren. Ich denke buchstäblich taktisch, und ich denke darüber nach, wie diese Probleme schließlich auf praktische und gewaltlose Weise gelöst werden können. (Kann bitte jemand sagen: „Wahlen?“)

Ich bezweifle, daß die Menschen jemals meinem Vorschlag folgen werden, der lautet: Widme deine Energie dem Versuch herauszufinden, wie deine Feinde so „falsch“ liegen können. Verschwende nicht deine Zeit damit, deine Feinde anzuschreien oder sie zu verunglimpfen. Das führt zu nichts und ist destruktiv. Versuche herauszufinden, was da vor sich geht!

Letztendlich glaube ich, daß es mehr psychologischer als soziologischer Natur ist. Es könnte sogar etwas so einfaches sein, wie daß Menschen entweder liberal oder konservativ geboren werden (obwohl wir alle Menschen kennen, die im Laufe ihres Lebens von einer Philosophie zur anderen gewechselt sind); daß etwas Biologisches am Werk ist: in diesem Fall müssen wir lernen, wie wir miteinander auskommen! Und wie ich schon so oft geschrieben habe, haben die Väter der Verfassung versucht, ein System zu entwerfen, das dies möglich macht, und ich glaube, wir sollten uns möglichst bemühen dies zu würdigen.

Wir sind „gefallene“ Wesen (ich meine das nicht unbedingt in einem religiösen Sinn), „unvollkommen“. Wir brauchen also ein Regierungssystem, das in diesem Sinne entworfen wurde. Das ist das Problem mit allen utopischen Visionen: Entweder berücksichtigen sie nicht die Unvollkommenheit der menschlichen Natur, oder sie befürworten Diktaturen der Linken oder der Rechten in dem Bemühen, der menschliche Unvollkommenheit auszuweichen. Die Menschen haben utopische totalitäre Visionen, in denen jeder „gezwungen“ wird, perfekt zu sein. Aber die menschliche Unvollkommenheit setzt sich schließlich wieder durch, so daß totalitäre Lösungen nicht funktionieren. Nur ein Regierungssystem, das unsere Unvollkommenheit und unsere Unterschiede berücksichtigt, kann eine Chance haben, zu überdauern.

Wenn ich „Unvollkommenheit“ sage, dann ist das selbst ein unvollkommenes Wort und Konzept. Vielleicht sind wir nicht unvollkommen, vielleicht liegt die Unvollkommenheit in den politischen Systemen, die wir bisher entworfen haben, vielleicht liegt das Problem darin, daß diese Systeme ein tiefes Verständnis der menschlichen Natur nicht vollständig berücksichtigt haben. Aber ich glaube, daß die Verfassung der Vereinigten Staaten unter den bisher geschaffenen diejenige ist, die der Perfektion bei weitem am nächsten kommt.

Es ist sinnlos, an diesem Punkt über die Sachfragen zu debattieren. Wir haben dieses Stadium noch gar nicht erreicht! Zuerst müssen wir lernen, wie wir uns miteinander austauschen können und wie wir verstehen können, wie der andere zu dem Schluß kommt, zu dem er kommt. Das muß erreicht werden, bevor ein Dialog produktiv sein kann.

Was auch immer die Erklärung für all dies ist, gebe dich nicht mit einfachen Antworten zufrieden. Wir alle haben im Laufe der Jahrhunderte verschiedene psychologische oder soziologische Erklärungen gehört, die tausendfach wiederholt wurden. Offensichtlich sind diese Erklärungen nicht sehr hilfreich und wahrscheinlich nicht sehr sachlich.

Gehe tiefer.

Und ich möchte hinzufügen: Versuche dich so streng wie irgend möglich an die beobachtbaren Tatsachen zu halten. Vermeide um jeden Preis Spekulationen oder Schlußfolgerungen oder Interpretationen oder Theorien oder das Vermuten oder Paraphrasieren oder den Glauben, du wüßtest, was im Kopf des anderen vorgeht.

Vielleicht habe ich das in der Vergangenheit geschrieben, aber ein psychiatrischer Kollege von mir hat vorgeschlagen, daß es sogar „liberale Amöben“ und „konservative Amöben“ geben könnte. Die konservativen Amöben „ziehen es von Natur aus vor“ mehr oder weniger an einem Ort zu bleiben und zu pulsieren. Die liberalen Amöben bewegen sich sehr viel von Ort zu Ort.

Vielleicht kann man das so sehen, daß das Vorhandensein von zwei Arten für die Amöben insgesamt das Beste ist. Vielleicht hilft das den Amöben als Gruppe am Leben zu bleiben. Vielleicht gibt es Vorteile für beide Amöbenarten und es ist irgendwie gut, daß sie sich gegenseitig die Waage halten.

Was sollen wir also daraus schließen? Ich denke, daß die Väter der Verfassung genau das im Sinn hatten, als sie versuchten, ein System zu entwerfen, in dem „liberale und konservative Amöben“ miteinander auskommen können, ohne zu versuchen sich gegenseitig aufzufressen!

Und dies:

Eines haben alle Formen von Irrationalität gemein: zu Schlußfolgerungen kommen ohne ausreichende Beobachtung.

 

Sechs Irrtümer bei politischen Diskussionen

Die Hauptsache, die mir aus den letzten Monaten im Gedächtnis geblieben ist, ist die starke Tendenz auf beiden Seiten des politischen Spektrums, der anderen Seite böse Motive zu unterstellen. Das ist endemisch und beruht auf einer Reihe von Trugschlüssen.

Der erste Trugschluß besteht darin, daß man mit Sicherheit wissen kann, was im Kopf eines anderen Menschen vorgeht.

Der zweite Trugschluß besteht darin, daß man mit Sicherheit wissen kann, was die Motive eines anderen Menschen sind.

Der dritte Trugschluß besteht darin, daß die Menschen von ihrer „Bosheit“ wissen, daß ihnen die Bosheit ihrer Motive bewußt ist, wie Shakespeares Richard der Dritte, der dem Publikum Monologe darüber hält, wie er sich bewußt daran erfreut böse zu sein. Menschen sind nicht so. Jeder rationalisiert sein Verhalten und seine Überzeugungen, um sich selbst in ein günstiges Licht zu rücken. Man kann die Frustration verstehen, die wir alle empfinden: Wir sind frustriert, daß die andere Person die Wahrheit nicht so sieht, wie wir sie sehen, und das wollen wir durchbrechen, indem wir sie verurteilen oder wütend auf sie sind. Das funktioniert aber nicht! Das ist keine Strategie! Eines hat mich beim Betrachten der Anklageerhebung und des Prozesses beeindruckt: Auch wenn ich starke Gefühle gegenüber der anderen Seite hege, so war mir doch klar, daß die Menschen auf allen Seiten tatsächlich (zum größten Teil) glaubten, was sie sagten! Ich bin der festen Überzeugung, daß man sich selbst etwas vormacht und es sich einfach macht, wenn man etwas anderes glaubt.

Der vierte Trugschluß ist der Trugschluß, auf moralische Urteile über andere zurückzugreifen, statt zu sehen, daß es wahrscheinlich Gründe dafür gibt, warum Menschen so denken, wie sie denken: Es ist keine moralische Frage, es ist eine praktische Frage! Es geht darum, herauszufinden, was tatsächlich im Kopf des anderen vorgeht, indem man ihn fragt, ohne zu urteilen und ohne Zorn. Wenn du wütend wirst, muß du wirklich innehalten und dich selbst in Frage stellen. Wenn du wütend wirst, dann gibt es eine Art von Wahrheit, der du dich nicht stellen willst. Sie könnte so einfach sein wie die Wahrheit der Tatsache, daß andere Köpfe anders denken als der eigene.

Der fünfte Trugschluß ist, daß der Mensch rational ist und daher durch Vernunftgründe überzeugt werden kann. Verzeihung, schau dich um! Die beste Chance, zu einer Art von Übereinkunft oder einem Kompromiß mit anderen zu kommen, besteht nicht darin, ihnen deine Meinung aufzuzwingen oder mit ihnen zu streiten, sondern darin, eine Haltung der Geduld und Neugierde gegenüber der anderen Seite einzunehmen und ihnen Fragen zu stellen, die nicht als Manöver des „Jetzt hab ich dich!“ konzipiert sind. Sich den Dingen auf diese Weise zu nähern, erfordert ein enormes Maß an Selbstbeherrschung und Selbstkenntnis. Du mußt dir tatsächlich bewußt sein, wie sich die Wut und Frustration in deinem Körper aufbaut, und du mußt loslassen, einfach einatmen, ausatmen, dich erholen und deine Großzügigkeit und deine Argumentationsfähigkeit wiederfinden sowie deinen Wunsch, einen echten emotionalen und intellektuellen Kontakt mit der anderen Person herzustellen. Zu denken, daß die andere Person böse ist, ist zu einfach! Das ist der leichte Weg! Und es ist dumm.

Der sechste Trugschluß ist die Tendenz, zu Schlußfolgerungen zu kommen, anstatt sich nur an beobachtbare Fakten zu halten. Dieser Trugschluß umfaßt die meisten der anderen oben genannten Trugschlüsse: z.B. zu der Schlußfolgerung zu kommen, daß man weiß, was die Motive eines anderen sind, oder daß man weiß, was im Kopf des anderen vorgeht.

 

Die Kunst der Kommunikation bei politischen Diskussionen

Wie kann man ein erfolgreiches Gespräch mit jemandem führen, mit dem man absolut nicht übereinstimmt? Zunächst einmal, wenn man wütend wird oder die andere Person wütend ist, ist das keine Kommunikation, also kann man es auch gleich ganz seinlassen.

Das ganze Ziel der Kommunikationskunst besteht darin, wahrnehmen zu können, wozu die andere Person in der Lage ist. Wenn du das nicht wahrnimmst, wirst du scheitern. Die andere Person wird sich angegriffen und nicht respektiert fühlen, und sie wird einfach mehr in den Abwehrmodus gehen. An Meinungen klammert man sich fest und die Meinung von jemandem egal worüber auf eine übermäßig heftige Weise anzufechten, wird psychologische Abwehrmanöver der anderen Person auslösen.

Um ein erfolgreiches Gespräch zu führen, mußt du ein gewisses Einfühlungsvermögen für die Meinung der anderen Person zeigen. Dies erfordert ein hohes Maß an Einsicht in dich selbst, denn es geht darum, in der Lage zu sein wahrzunehmen, ob du selbst auf offensichtliche oder sehr subtile Weise abstoßend oder ungeduldig oder respektlos oder auf irgendeiner Ebene manipulativ bist. Wenn du in der Lage bist, solche Dinge genau wahrzunehmen, wird die andere Person dir dankbar sein und sich dir eher öffnen und dir eine gewisse Verwundbarkeit zeigen, einschließlich des verletzlichen Gefühls, zuzugeben, daß man vielleicht nicht recht hat, daß man vielleicht irgendeinen Fehler in seinem Denken oder Wahrnehmen oder hinsichtlich der Grundlagen seines Wissens gemacht hat. Das ist eine sehr verletzliche Position, in der man sich befindet, und sie bei der anderen Person nicht wahrzunehmen, ist der Grund, warum jede Art von Gespräch scheitern wird.

Ich nehme diesen Standpunkt aus der Erfahrung meiner Arbeit als Psychotherapeut ein. Ein Psychotherapeut arbeitet „an der Oberfläche“. Das bedeutet, daß der Therapeut nach Anzeichen dafür sucht, für welche Art von Dingen der Patient in diesem Moment offen sein könnte, um etwas über sich selbst zu lernen. Man vermeidet es, die Knöpfe des Patienten zu stark zu drücken oder auf etwas zu zielen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt zu tief sitzt, denn dadurch wird das psychologische Abwehrsystem des Patienten nur noch stärker in Aktion treten. Man muß also nach Wegen suchen, um einen Pfad in die Psyche des anderen zu finden. Das ist eine sehr subtile Kunst. Es ist unmöglich, dies zu erreichen, ohne sehr sorgfältig auf alle Zeichen und Hinweise zu achten, die die andere Person dir gibt, ob sie bereit ist, sich deinem Untersuchungsansatz zu öffnen oder nicht. Es erfordert exquisites Timing und Fingerspitzengefühl und eine Art Rhythmusgefühl, ähnlich dem, was ein Stand-Up-Comedian und jede Art von Darsteller intuitiv weiß: wie man das Publikum liest, um sagen zu können, ob es mit einem mitgeht oder nicht. Wenn es nicht mit dir ist, mußt du etwas ändern: das Thema wechseln oder die „Angriffslinie“ ändern oder den Rhythmus ändern oder einfach einen Moment lang still sein und beobachten, usw.

Die effektivste Methode ist stets, wirklich mehr daran interessiert zu sein, die andere Person zu verstehen, als sie davon zu überzeugen, daß du rechthast. Du mußt deine Ansichten nicht darlegen, du kannst sie einfach immer wieder nach ihren Ansichten fragen. Selbst in dieser Situation mußt du außerordentlich wachsam sein gegenüber jeder Art subtiler Manipulation oder Beurteilung oder Rechthaberei, die du in deine Fragestellung einbringen könntest. Du mußt jede Art von sokratischer Fragestellung vermeiden, bei der offensichtlich ist, wohin du die andere Person führen willst oder wo du voreingenommen sein könntest; jede Art von Fragestellung, bei der offensichtlich ist, was deiner Meinung nach die „richtige“ Antwort ist, und bei der du die andere Person auf subtile Weise davon überzeugen willst, die richtige Antwort so zu geben, wie du sie siehst. Das erfordert eine tatsächliche Haltung des empathischen Interesses an der anderen Person. Du mußt für eine Weile aufhören, an dich selbst zu denken. Du mußt eine Haltung der Verletzlichkeit deinerseits an den Tag legen, wenn du willst, daß die andere Person ihre Abwehr aufgibt und es zuläßt, auch für deinen Standpunkt durchlässig zu sein. Eine Möglichkeit, dies zu tun, besteht zum Beispiel darin, deine Rede mit Wendungen wie „Ich könnte mich irren“ oder „so sehe ich die Dinge“ oder „das ist meine Meinung“ zu würzen.

Du mußt die umgekehrte Psychologie anwenden: dränge nicht nach dem, was du willst. Versuche die Psyche der anderen Person mit tatsächlichem Interesse zu erforschen und Wege zu finden, wie sie dir spontan das geben könnte, was du willst, oder wo du vielleicht Gebiete der Übereinstimmung finden kannst.

Am Ende des Gesprächs sollten beide froh sein, daß du das Gespräch geführt hast. Wenn die Erfahrung irgendwann anfängt, von dieser Art von Atmosphäre abzuweichen, mußt du sehr schnell deinen Ansatz ändern.

 

Humor

Humor dient oft als sozial akzeptables Mittel, um ein gewisses Maß an Aggression, Meinungsverschiedenheiten, Protest und um Kontroverses auszudrücken. Es ist auch oft ein Medium, um über Tabuthemen zu sprechen. Und manchmal ist es das einzige Mittel in einer Gesellschaft, um die nackte Wahrheit auszusprechen! In einer Gesellschaft, in der es implizit oder explizit geboten ist, daß wir uns alle jederzeit einig sein müssen; daß wir niemals ein bißchen spielerisch aggressiv miteinander umgehen können und daß nur indirekte Aggression und Manipulation erlaubt sind; wir immer wachsam sein müssen, ob jemand Anstoß nimmt, auch wenn er ungerechtfertigt Anstoß nimmt oder seine beleidigten Gefühle dazu benutzt, Sprache und Gedanken zu unterdrücken; in einer solchen Gesellschaft ist Humor nicht erlaubt. Grundsätzlich ist die Unterdrückung des Humors die Unterdrückung der Wahrheitsfindung.

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Für mich ist die ganze Vorstellung, „beleidigt“ zu sein, passiv-aggressiv und oberflächlich. Ich bin dagegen, durch etwas anderes „beleidigt“ zu sein als schlicht durch altmodische Vulgarität oder etwas in der Art. Das ist es, worauf sich das Wort „beleidigt“ einst bezog. Erst in jüngster Zeit hat sich das Wort „beleidigt“ auf praktisch jeden Winkel der menschlichen Erfahrung ausgedehnt. Privilegierte, naive, unerfahrene und oberflächliche Menschen werden durch so tiefgreifende Dinge wie Krieg, Armut, Gier und Ungerechtigkeit „beleidigt“.

Das Wort „beleidigt“ bezieht sich per Definition auf relativ triviale Dinge. Krieg, Armut, Gier und Ungerechtigkeit sind sehr tiefgreifende Angelegenheiten, die die Menschen seit Tausenden von Jahren zu überwinden versuchen. Sie waren zu allen Zeiten Teil des menschlichen und tierischen Lebens. „Beleidigt“ zu sein, ist ein sehr oberflächliches Gefühl und im Grunde genommen dieser Themen einfach unwürdig. Wenn jemand dieses Wort benutzt, weiß ich sofort, daß diese Person vollkommen daneben ist.

Versteht das niemand? Versteht denn niemand, wie lächerlich oberflächlich ein Gefühl wie „beleidigt sein“ ist? Ach, komm schon!

Es ist ja nicht so, daß unsere heutige Generation von Menschen diese Dinge irgendwie plötzlich entdeckt hat oder irgendwie klüger oder fähiger oder scharfsinniger ist als frühere Generationen. Wenn überhaupt, dann ist das Gegenteil der Fall. Seien wir ehrlich, die Vorstellung, daß diese wunderwirkende Generation diese Probleme irgendwie lösen wird, ist ungefähr so klug wie etwas, das sich ein dreijähriges Kind einfallen lassen würde.

 

Die Spielregeln

Es gibt nicht nur eine Viruspandemie. Es gibt einen Tsunami des gesellschaftlichen Wandels, und vieles davon ist nicht gut.

Die Menschen können sich nicht mehr darauf einigen, anderer Meinung zu sein. Sie können kein rationales Gespräch mehr führen. Fast alle Menschen scheinen außerordentlich oberflächlich zu sein, was den Grad des Informiertseins durch tatsächlich beobachtbare Fakten betrifft; gleichzeitig sind sie völlig davon überzeugt, daß sie Recht haben. Ich sehe nicht viele Anzeichen dafür, daß jemand jemals die andere Seite erforscht, um zu sehen, ob es bestimmte Fakten oder Verbindungen zwischen den Fakten gibt, die ihm fehlen.

Wenn ich mich ernsthaft mit einer Frage befassen will, schaue ich mir immer an, was die andere Seite berichtet, und ich versuche, all die verschiedenen Seiten zu triangulieren und eine Art Übersicht zusammenzufügen. Ich nähere mich dem ganzen wie einem akademischen Projekt. Ich versuche, ein Student des Sujets zu werden. Ich schaue mir verschiedene Quellen von unterschiedlichen Seiten an. Ich versuche, nicht wie ein Jurist zu argumentieren, der nur Fakten darlegt, die seine Ansicht unterstützen, während er andere Fakten ignoriert, die seine Ansicht nicht unterstützen. Ich schneide die verschiedenen Informationen buchstäblich aus, um sie an einer Stelle einzufügen, damit ich sie analysieren und alles integrieren kann. Soweit möglich, stelle ich Links zu meinen Quellen zur Verfügung. Ich bringe auch längere tatsächliche Zitate, anstatt sie zu paraphrasieren.

Ja, das ist ein bißchen zeitaufwendig. Es dauert ein paar Stunden, ein solches Thema zu recherchieren. Aber diese Zeit ist besser genutzt, als die gleichen drei Stunden bei der Auseinandersetzung mit fünf verschiedenen Personen über Dinge zu verbringen, die du nicht wirklich verstehst. Außerdem ist es befriedigend, wenn man etwas mit einiger Integrität kommentieren kann. Man kann hinterher stolz auf sich sein. Und wenn man das ganze als Wettbewerb betrachten will, gibt es wirklich keine bessere Art des Wettstreits! Aber das Problem ist, daß sich die Leute nicht an die Regeln halten wollen. Sobald du sie mit Fakten konfrontierst, die sie nicht wirklich verstehen oder nicht recherchiert haben, werden sie dich als unmoralisch oder verrückt oder was auch immer angreifen. Ich verstehe nicht wirklich, wie Menschen das tun können. Es bedeutet, daß sie kein Gewissen haben. Ich schätze, ich weiß einfach nicht, wie es ist, so zu sein. Es ist auch unglaublich oberflächlich. Wie können Menschen so leben?

Eine Sache, über die ich in letzter Zeit viel nachgedacht habe, ist, daß die Wahrheit viele Teile hat. Manchmal gibt es 20% der Wahrheit, die einfach nicht betrachtet werden, weil sie nicht bequem zu den anderen 80% passen. Die Leute wollen also nicht auf die 20% schauen. Das ist ein schwerwiegender Fehler. Warum können wir uns nicht die ganze Wahrheit ansehen, einschließlich der Wahrheit, die auf der unserer Seite entgegengesetzten Seite stehen könnte? Wenn die Menschen das nicht können, sagt mir das, daß ihre Überzeugungen für sie eine Qualität der Abwehr haben. Mit anderen Worten, sie wollen die andere Seite nicht hören und weichen ihr aus oder greifen sie, beim Versuch sie zu unterdrücken, sogar an. Das sollte uns alle betroffen machen! Es kommt auf die Spielregeln an, und der Zweck heiligt nicht die Mittel, das heißt, auf lange Sicht ist das Mittel der Zweck!

Eine andere Sache, die mir zeigt, daß Menschen nicht rational funktionieren, ist, wenn sie sehr hitzig werden oder die andere Seite angreifen oder zum Schweigen bringen wollen. Ist es nicht offensichtlich, daß dies das Verhalten von jemandem ist, der tatsächlich sehr unsicher ist, was sein Verständnis der Wahrheit betrifft? Menschen, die von ihren Fakten überzeugt sind, brauchen nicht aggressiv zu werden. Menschen, die sich ihrer Fakten sicher sind, können es sich tatsächlich leisten, Mitgefühl für andere zu zeigen, die Hilfe brauchen, um ein Thema zu verstehen. Es ist in Ordnung nicht die ganze Geschichte vor sich zu haben, aber es ist nicht in Ordnung, sich selbst oder anderen vorzumachen, daß man das alles beherrscht, wenn das gar nicht der Fall ist.

Die Wahrheit ist kein Wettbewerb. Wir sind alle Gewinner, wenn wir voneinander lernen können. Es ist kein Stammeskrieg. Selbst diejenigen von uns, die stark unterschiedlicher Meinung sind, sollten in der Lage sein, miteinander zu reden. Wenn wir das nicht können, stimmt auf grundlegender Ebene etwas nicht mit unserer Suche nach der Wahrheit.

 

„Politische Psyche“, „politische Neurose“ und moralisches Urteilsvermögen: „Sie sind ein Lügner“ versus „Wir haben eine unterschiedliche Wahrnehmung“

Eine interessante Frage im Leben ist, ob Menschen, die mit dir nicht einverstanden sind, lügen oder einfach in einem anderen Wahrnehmungsuniversum als deinem eigenen leben. Ich denke, die Antwort ist fast immer letzteres.

Wenn es um Politik geht, glaube ich nicht einmal, daß es letztlich etwas damit zu tun hat, welche Fakten über welche von künstlicher Intelligenz gelenkten Nachrichtenkanäle verfügbar sind. Letztlich wissen wir einigermaßen, welche unterschiedlichen Narrative zur Verfügung stehen. Ich glaube, wir bevorzugen bestimmte Narrative, die auf unserem „politischen Charakter“ basieren.

Meiner Meinung nach ist es auch nicht so einfach zu bestimmen, welche Arten der gängigsten politischen „Charaktere“ „gesünder“ sind. Ich glaube, die Natur hat uns im Grunde genommen so konzipiert, daß wir ein wenig nach rechts oder links neigen. Es ist die Frage, ob das eine Folge des natürlichen Systems der psychisch neurotischen Abwehrkräfte ist (ja, die Neurose ist auch ein Teil der Natur – sie existiert, nicht wahr?) oder doch ein bestimmter Teil der Natur, mit dem wir geboren werden.

Ein fast unwiderstehlicher Fallstrick besteht im Rückgriff auf das Hinstellen der anderen Seite als „böse“ oder „unmoralisch“. Es ist fast unwiderstehlich, weil wir einfach ungeheuer frustriert sind, wenn wir auf ein Hindernis für das stoßen, was wir für die Wahrheit halten, da wir unsere Wahrnehmung der Wahrheit als Richtschnur für das Leben und die Sicherheit von uns selbst und unserer Kultur verwenden. Die Stärke dieser Gefühlslage bei der Verurteilung der anderen Seite ist also völlig verständlich. Ich denke jedoch, daß diese ganze Vorgehensweise des Rückgriffs auf moralische Urteile dysfunktional ist – sie funktioniert nicht und zeitigt keine wünschenswerten Ergebnisse.

Gibt es so etwas wie das Böse? Ich denke, das ist eine sehr wichtige Frage, und die unterschiedlichen Antworten, die verschiedene Menschen auf diese Frage haben, sagt uns tatsächlich eine Menge über ihre „politische Psyche“. Meiner Ansicht nach gibt es das Böse. Ich glaube, das ist im Grunde eine konservative Sichtweise, aber ich denke, daß sich die Menschen auf der linken Seite auch, zumindest auf emotionaler Ebene, einer Art vagen Konzepts des Bösen verschrieben haben, obwohl die Ideologie der Linken einem solchen Konzept wahrscheinlich nicht entgegenkommt. Das Konzept des Bösen kommt im Grunde genommen aus der Religion, und die Linke neigt dazu, atheistisch zu sein und erklärt „das Böse“ zumeist als ein Produkt irgendeiner Form von Unwissenheit. Ich denke, daß die traditionellen Ansichten sowohl der Rechten als auch der Linken in dieser Frage ungenau sind.

Ich selbst hänge der Ansicht an, daß das Böse im Grunde genommen eine klinische Angelegenheit ist! Ich denke, daß die verschiedenen Formen der politischen Psyche unsere Wahrnehmung dessen, was der Wahrheit entspricht, im Grunde genommen beeinträchtigen. Produkt ist die politische Neurose. In ähnlicher Weise ist es unsere Unfähigkeit, der Wahrheit über uns selbst und unsere Umstände ins Auge zu blicken, die die individuelle psychologische Neurose hervorruft.

Ich denke, dies ist zumindest ein Teil der Erklärung für die unglaublich starken Emotionen, die in der politischen Arena freigesetzt werden.

[Die Ansichten, die ich hier zum Ausdruck bringe, sind meine Version/Paraphrasierung/Vereinfachung/Entwicklung von Ansichten, die zuerst in den Schriften von Wilhelm Reich, Ellsworth Baker, Charles Konia und anderen Schülern dieser drei Autoren artikuliert wurden – siehe Amazon, um ihre Schriften zu finden.]

 

Beobachtung, Fakten und Beweise versus Paraphrasierung, Vermutungen, Schlußfolgerungen und Meinungen

Ich postete: „In den letzten 12 Monaten hat sich die Unfähigkeit der Menschen, Fakten (Beobachtungen) von Meinungen (Rückschlüsse) zu unterscheiden, dramatisch verstärkt.“

Ein Facebook-Freund kommentierte: „Ich lese gerade ... [ein] Buch über das Zerlegen von Argumenten und es zerlegt Argumente in vier Komponenten: Meinung (vorgebrachte Schlußfolgerungen), Tatsachen (vorgebrachte Beweise), Rückschlüsse (implizierte Schlußfolgerungen) und Annahmen (implizierte Beweise). Ich denke, daß in der heutigen Zeit ein Argument nur noch selten aus einer Meinung besteht, die durch Fakten untermauert wird. Stattdessen haben Rückschlüsse und Annahmen die anderen Komponenten zunehmend verdrängt. Statt einer Meinung, die durch Fakten untermauert wird, gibt es nur noch Rückschlüsse und Annahmen.“

Ich antwortete: „Gut gesagt. Ich denke oft auch in Begriffen des Paraphrasierens: Menschen zitieren ihre Gegner selten sachlich oder fassen ihre Ansichten oder ihr Verhalten korrekt zusammen. Alles ist Paraphrase im wörtlichen und übertragenen Sinne. So bilden sich Meinungen auf der Grundlage von Paraphrasen von Paraphrasen von Paraphrasen. Irgendwann wird es durch das Flüstern von Ohr zu Ohr zur reinen Fantasie.“

 

Sich gegenseitig „psychoanalysieren“: Über den Glauben man wisse, was in den Köpfen anderer Leute vorgeht

Ist jemandem aufgefallen, wie häufig es in den letzten Jahren geworden ist, daß Leute behaupten zu wissen, was andere Leute, mit denen sie nicht einverstanden sind, motiviert, oder daß sie behaupten zu wissen, was andere denken?

Solche Behauptungen können zum Beispiel die Form annehmen: „Du sagst das nur, weil [fülle die Lücke aus].“

Es ist, als ob heutzutage jeder denkt, daß er eine Kombination aus begabtem Psychoanalytiker und brillantem Hellseher ist. Und sie benutzen diesen verblendeten Glauben an sich selbst, um sich zu rechtfertigen, daß sie andere Menschen auf holzschnitzartige Karikaturen reduzieren.

Populäre soziale Theorien kommen mir heutzutage seltsam psychologisch vor. Zum Beispiel die Theorie, daß alle Mitglieder bestimmter Gruppen rassistisch sind. Das ist im Grunde eine psychologische Behauptung, die gleichzeitig eine soziologische ist. Nicht nur das, sondern dazu gehört die kolossal wahnhafte und grandiose Fantasie, daß man eine riesige Anzahl von Menschen auf einen Schlag „psychosoziologisch“ analysieren kann.

Als ob andere Menschen für die Menschen nicht mehr wirklich real wären. Als ob andere Menschen da draußen nur Figuren in einem Disney-Film wären oder so. Wie können Menschen eigentlich so denken und noch einen Funken Selbstachtung haben?

Wir sehen das ständig auch in der politischen Arena: „Trump [oder seine Unterstützer] haben das nur getan, weil ____“ oder „Biden hat das nur getan, weil_____.“

Wie konnten die Menschen so erstaunlich verblendet und wahnhaft werden, daß sie glauben, sie wüßten tatsächlich, was andere Menschen motiviert? Das ist im besten Fall intellektuell faul und unehrlich. Im schlimmsten Fall ist es eine buchstäbliche Pest des sozialen Wahnsinns, die die Zivilisation selbst bedroht.

 

Behalte die ewigen Wahrheiten im Auge

Leute, die denken, man könne nicht freundlich zu Leuten sein, mit denen man nicht übereinstimmt, leiden an historischer Kurzsichtigkeit. Jede Ära ist sowohl historisch einzigartig als auch nicht historisch einzigartig. Einige der Details ändern sich im Laufe der Zeit, aber die ewigen Wahrheiten bleiben unabhängig von den Umständen bestehen. Es ist immer „das Ende der Welt“ und es ist nie das Ende der Welt. Es ist immer Zeit für eine Revolution und es ist nie Zeit für eine Revolution. Alles ist ein Ja und ein Nein.

Sei weise. Behalte die ewigen Wahrheiten im Auge. Der Mensch ist unglaublich gut im Überleben. Alles wird gutwerden. Es gibt immer mehr Gutes in der Welt als Schlechtes.

Verliere nicht den Kopf. Behandele andere Menschen richtig, unabhängig davon, wer sie sind oder wer du bist. Erfinde keine Ausreden dafür, Menschen schlecht zu behandeln, es gibt keine.

Was uns eint, ist immer wichtiger als das, was uns trennt. Deshalb können wir unterschiedlicher Meinung sein und trotzdem Freunde sein. Das Ziel ist nicht, war nie und sollte nie die Beseitigung aller Meinungsverschiedenheiten sein. Eine perfekte Welt ist nicht eine, in der sich alle einig sind. Durch Meinungsverschiedenheiten entsteht Fortschritt, so wird die Wahrheit immer wieder neu entdeckt. Eliminiert man die Freiheit, anderer Meinung zu sein, eliminiert man jede Wahrheit, jeden Fortschritt und jede Gerechtigkeit.

Dies sind Beispiele für ewige Wahrheiten.

 

Pseudo-moralische Urteile als Ersatz für Fakten und als Technik der „Emotionellen Pest“

Wenn Menschen sich dazu hinreißen lassen, moralische Urteile zu fällen, die auf ihren Phantasien über die Motive von Menschen beruhen, mit denen sie nicht einverstanden sind, dann ist das für mich ein Zeichen dafür, daß die Menschen, die diese moralischen Urteile fällen, versuchen, die schwache faktische Grundlage ihrer Meinung zu kompensieren. Wenn jemand die Fakten nur unzureichend kennt, ist der Versuch verlockend die moralische Verurteilung als Abkürzung zu nutzen; als Ersatz für eine rationale Argumentation und als Methode, um zu gewinnen, ohne den Verstand einschalten zu müssen. Die Vernunft einzusetzen ist mühsam. Die pseudomoralische Verurteilung derjenigen, mit denen man nicht einverstanden ist, ist einfach und eignet sich gut für die sozialen Medien, die gemeinhin ein Vehikel für Oberflächlichkeit sind.

Pseudo-moralische Anschuldigungen über die Motive des Gegners zu erheben, kann auch eine bewußte Technik sein, um zu versuchen, einen Gegner zu besiegen, bei dem man sich bewußt ist, daß er die Tatsachen auf seiner Seite hat. Da man weiß, daß man ihn mit Fakten nicht schlagen kann, versucht man, ihn durch die Manipulation der öffentlichen Meinung zu schlagen. Der Psychiater Wilhelm Reich nannte das „die Emotionelle Pest“.

Wir erleben derzeit sowohl eine virale als auch eine sozio-emotionale Pest. Wir tun unser Bestes, um die virale Seuche zu beseitigen. Aber was tun wir, um die Emotionelle Pest sowohl in der Gesellschaft als auch bei uns selbst zu beseitigen?

Jede Seite der politischen Spaltung glaubt, daß die andere Seite die Emotionelle Pest manifestiert, auch wenn niemand den Begriff kennt.

Aber bei der Emotionellen Pest geht es nicht nur darum, wer die Fakten auf seiner Seite hat, sondern auch um die Methoden, mit denen man versucht zu gewinnen. Mit anderen Worten: Der Zweck heiligt nicht immer die Mittel. Mitunter sind die Mittel der Zweck. Wir alle sollten unser Bestes tun, um die Emotionelle Pest aus uns selbst und aus dem gesellschaftlichen und politischen Leben um uns herum zu verbannen.

 

Kritisieren ist eine Form von Angst

Wenn Menschen in kritischer Stimmung sind, handelt es sich im Grunde um einen emotionalen/physiologischen Zustand, bei dem es um Kampf oder Flucht geht. Das ist leicht zu erkennen, wenn man einen Moment innehält und darüber nachdenkt. Normalerweise sind die Dinge, die man in einer Kampf- oder Fluchtstimmung tut, nicht produktiv. Das sieht man beispielsweise ständig in der Politik. Diese Art von Interaktionen sind also eigentlich kontraproduktiv und führen zu keinem konstruktiven Ergebnis. Gemeinhin kann ein solcher Geisteszustand den Dialog eher verhindern als fördern. Das ist es, was ich mit der Aussage meine, daß Kritik eine Form von Angst ist. Sie ist sehr oft im wesentlichen eine Form des Angriffs, der dann bei der Person, die kritisiert wird, eine Abwehrhaltung provoziert.

Man sieht das oft in Familien und anderen Liebesbeziehungen. Zum Beispiel kritisieren Eltern oft ihre Kinder, weil sie um das Wohlergehen des Kindes besorgt sind. Das ist ein Beispiel für einen ziemlich rationalen Grund, das Kind zu kritisieren, aber es gibt auch viele andere Arten von Kritik, die von Ängsten angetrieben werden, die nicht rational sind und stattdessen durch unbewußte emotionale Reaktionen der Eltern hervorgerufen werden, die vielleicht wenig bis gar nichts mit dem Gegenstand der Kritik zu tun haben. Wenn eine halbrationale Form von Kritik vorliegt, ist die Kritik selbst oft nicht hilfreich oder konstruktiv, im Gegensatz zu einer anderen Form der Interaktion oder Diskussion.

 

Die Kunst der Kommunikation

Wie führt man ein erfolgreiches Gespräch mit jemandem, mit dem man heftige Meinungsverschiedenheiten hat? Zunächst einmal: Wenn man wütend wird oder wenn die andere Person wütend ist, ist das keine Kommunikation, also kann man es auch gleich ganz seinlassen.

Das Ziel der Kunst der Kommunikation ist es wahrzunehmen, wozu die andere Person fähig ist. Wenn du das nicht wahrnimmst, wirst du scheitern. Die andere Person wird sich angegriffen und nicht respektiert fühlen, und sie wird nur noch mehr in eine Abwehrhaltung geraten. Meinungen sind sehr fest verankert, und wenn du die Meinung einer Person zu irgendetwas in einer übermäßig energischen Art und Weise in Frage stellst, wird die andere Person ein psychologisches Abwehrmanöver einleiten.

Um ein erfolgreiches Gespräch zu führen, mußt du ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen für die Sichtweise der anderen Person zeigen. Dies erfordert ein hohes Maß an Einsicht in sich selbst, denn es geht darum, zu erkennen, ob man selbst auf irgendeiner Ebene beleidigend, ungeduldig, respektlos oder manipulativ ist, auf offensichtliche oder auch sehr subtile Weise. Wenn du diese Dinge genau wahrnehmen kannst, wird sich die andere Person dir gegenüber verpflichtet fühlen und eher bereit sein, sich dir zu öffnen und dir eine gewisse Verletzlichkeit zu zeigen, einschließlich des verletzlichen Gefühls, zuzugeben, daß man vielleicht nicht recht hat, daß man vielleicht irgendeinen Fehler in seinem Denken oder seiner Wahrnehmung oder in seiner Wissensbasis gemacht hat. Das ist eine sehr verletzliche Position, und wenn man sie beim anderen nicht registriert, ist das der Grund, warum jedes Gespräch scheitern wird.

Ich vertrete diesen Standpunkt aus meiner Erfahrung als Psychotherapeut. Ein Psychotherapeut arbeitet „an der Oberfläche“. Das bedeutet, daß der Therapeut nach Anzeichen dafür sucht, welche Dinge der Patient in diesem Moment über sich selbst lernen möchte. Man vermeidet es, den Patienten zu sehr zu bedrängen oder auf etwas abzuzielen, das zu dem bestimmten Zeitpunkt zu tief ist, denn das würde sein psychologisches Abwehrsystem nur noch stärker in Gang setzen. Man muß also nach Wegen suchen, um in die Psyche einer anderen Person einzudringen. Dies ist eine sehr subtile Kunst. Es ist unmöglich, dies zu erreichen, wenn man nicht sehr sorgfältig auf alle Zeichen und Hinweise achtet, die die andere Person dir sendet, ob sie bereit ist, sich für deine Fragen zu öffnen oder nicht. Es erfordert exquisites Timing und Taktgefühl und eine Art Rhythmusgefühl, ähnlich dem, was ein Stand-up-Comedian oder eine andere Art von Künstler intuitiv weiß: wie du das Publikum wahrnimmst und erkennst, ob es mit dir mitgeht oder nicht. Wenn es nicht mitgeht, mußt du etwas ändern: das Thema wechseln oder die „Angriffslinie“ ändern oder den Rhythmus ändern oder einfach einen Moment lang still sein und beobachten, usw.

Die wirksamste Methode ist immer, wirklich mehr daran interessiert zu sein, die andere Person zu verstehen, als sie davon zu überzeugen, daß du recht hast. Du mußt deine Ansichten nicht darlegen, sondern kannst sie einfach weiter nach ihren Ansichten fragen. Selbst in dieser Situation mußt du außerordentlich wachsam sein, hinsichtlich jeder Art von subtiler Manipulation oder Beurteilung oder Argumentation, die du in deine Fragestellung einbringen könntest. Du mußt jedwede Art von Sokratischer Fragemethode vermeiden, bei der es offensichtlich ist, wohin du die andere Person leiten willst oder was deine Voreingenommenheit sein könnte; jede Art von Befragung, bei der es offensichtlich ist, was du für die „richtige“ Antwort hältst, und bei der du die andere Person auf subtile Weise davon überzeugen willst, die aus deiner Sicht richtige Antwort zu geben. Dies erfordert eine tatsächliche Haltung des empathischen Interesses an der anderen Person. Du mußt für eine Weile aufhören, an dich selbst zu denken. Du mußt eine Haltung der Verwundbarkeit an den Tag legen, wenn du willst, daß die andere Person in ihrer Abwehr nachläßt und sich erlaubt, auch für deine Sichtweise sich zu öffnen. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, besteht darin, deine Rede mit Redewendungen wie „Ich könnte mich irren“ oder „So sehe ich die Dinge“ oder „Das ist nur meine Meinung“ zu würzen.

Du mußt die umgekehrte Psychologie anwenden: dränge nicht auf das, was du willst. Versuche die Psyche des anderen mit echtem Interesse zu ergründen und Wege zu finden, wie er dir spontan das geben kann, was du willst, oder wo du vielleicht Bereiche entdeckst, in denen ihr übereinstimmt.

Du mußt geduldig sein und darfst nicht auf ein bestimmtes Ergebnis drängen.

Am Ende des Gesprächs sollten beide froh sein, daß sie das Gespräch geführt haben. Wenn das Gespräch zu irgendeinem Zeitpunkt von dieser Atmosphäre abweicht, mußt du deine Herangehensweise sehr schnell ändern.

 

Einige Ratschläge zum Leben und Überleben

Tu, was immer du tun mußt. Atme. Lebe. Kämpfe. Gib kein Pardon. Kämpfe um jeden Zentimeter. Sei gut zu dir selbst und versuche gut zu anderen zu sein, während du für das kämpfst, was du brauchst. Wenn du stark bist, kannst du um dein Leben kämpfen und dabei noch gut zu anderen sein. Verliere deine Seele nicht. Sie ist die ultimative Quelle für deine Selbstachtung, deine Güte und damit deine Stärke. Das ist es, was dich stark macht, nicht der oberflächliche Anschein von Stärke, sondern eine gute Seele zu haben. Oft entpuppen sich die sanftmütigsten Menschen als die stärksten, weil sie, wenn es nötig ist, Rope-a-dope können [Boxtaktik, die den Gegner ermüdet und Fehler begehen läßt]. Die Fähigkeit einen Schlag einzustecken, ist manchmal ein viel wichtigerer Faktor im Leben als die Fähigkeit einen Schlag auszuteilen. Es gibt viele Menschen, die stark erscheinen, aber innerlich schwach sind. Menschen, die stark sind, aber keine gute Seele haben, sind letztlich fragil. Eine gute Seele zu haben, hat vielleicht ihren Preis, aber sie macht dich fähig, dich mit dem Wind zu biegen, wie es andere Menschen nicht können, denn wenn du eine gute Seele hast, bist du Teil des Windes und er ist Teil von dir. Sei ehrlich. Das ist der einzige Weg zur Erhaltung einer starken Seele. Gehe mit der Wahrheit um. Hab keine Angst vor ihr. Sie wird dich nicht umbringen. Lügen werden dich umbringen. Lügen sind für die Schwachen.

 

Sei wer du bist

Oft wird uns von anderen eingeredet, daß unsere größten Qualitäten unsere größten Schwächen sind und daß wir uns für sie schämen sollten. Aber wir haben keine andere Wahl, als so zu sein, wie wir sind. Wir müssen also erkennen, daß die Eigenschaften, für die wir uns geschämt haben, in gewisser Weise manchmal Ausdruck großer Stärken sein können, von denen wir gar nicht wußten, daß wir sie haben. Wir müssen uns diese Eigenschaften zu eigen machen und verstehen lernen, wie sie Stärken sein können, und anstatt uns dafür selbst zu kritisieren, sollten wir sie akzeptieren und stolz auf sie sein.

 

Liebe und Grausamkeit

Grausam zu sein ist leicht, aber es macht dich schwach.

Liebe ist schwer, aber sie macht dich stark.

 

Über andere urteilen

Über andere (oder sich selbst) zu urteilen, ist immer fruchtlos und ein Zeichen von Unwissenheit.

 

Politischer Wahn

Oft scheint es so, als ob die Menschen nur aus „Lust“ am Streiten über Politik streiten. Es scheint eine Art Bedürfnis zu erfüllen. Es ist einfach ein Ventil für Aggressionen, die sich in den Menschen auf die eine oder andere Weise aufgestaut haben, und die dann in die politische Arena verlagert werden. Ein Beispiel dafür ist, daß die Menschen völlig unfähig sind, eine sachliche Diskussion über politische Orientierungen oder Überzeugungen zu führen. Die Politik wird zu einem Ort, an dem man seine gesamte negative Energie ablassen kann. Es ist, als ob sich die gesamte Existenz auf zwei Pole ausrichtet, wie ein unwiderstehliches magnetisches oder elektrisches Feld, und das Ergebnis ist eine völlig nutzlose Kakophobie aus zusammenhanglosem Geschrei, dessen Integrität weit unter der von betrunkenen Fans bei einer Sportveranstaltung liegt. Es ist durch und durch stammesorientiert: Fakten werden so angeordnet, daß sie die eigene ideologische/stammesbezogene Position unterstützen, und es ist einfach ein Haufen nutzlosen Lärms, aus dem niemand wirklich etwas lernt, außer daß er seine Mannschaft noch lauter anfeuern kann. Jeder hat seine eigenen „Fakten“, von denen er fest überzeugt ist, daß sie die einzig mögliche Wahrheit und die einzig mögliche „moralische“ Position darstellen. Die Liebe zur Polarisierung wird größer als die Liebe zur Wahrheit, und jeder Sinn für unsere grundlegende Einheit geht verloren. Es ist, als ob ein Team glaubt, daß Yin die einzig gültige Polarität ist, und das andere Team glaubt, daß Yang die einzig gültige Polarität ist, ohne die Tatsache zu verstehen oder sich darum zu kümmern, daß sowohl Yin als auch Yang notwendig sind, um eine Einheit zu schaffen, und daß jede rationale Zusammenfassung politischer Überzeugungen dies berücksichtigen würde. Das Ergebnis ist, daß die Ansichten sowohl der Linken als auch der Rechten mehr und mehr die Qualität einer Art Phantasie annehmen, die sich immer weiter von jeder Art von Realität entfernt. Es ist wie zwei gegensätzliche Wahnsysteme. Und genau wie bei einem Wahn werden die Überzeugungen starr und mit absoluter Gewißheit vertreten, völlig unempfänglich für jede Art von logischer Diskussion, weil die Überzeugungen eine emotionale und keine rationale Funktion erfüllen.

„Wir können sehen, daß menschliche Denksysteme mit Toleranz verbunden sind, solange sie an Wirklichkeiten haften. Je weiter sich der Denkprozeß vom Wirklichen entfernt, desto mehr Intoleranz und Grausamkeit ist erforderlich, um seine Existenz zu sichern.“ (Reich W 1949: Äther, Gott und Teufel. Frankfurt: Nexus, 1983, S. 16)

 


Fußnoten

(1) Anmerkung des Übersetzers: Der Myers-Briggs-Typenindikator ist ein Instrument, mit dessen Hilfe die von Carl Gustav Jung entwickelten psychologischen Typen erfaßt werden sollen.

 

zuletzt geändert
02.07.23

 

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